Zwei Runner, einer mit schmutzig-blonden Haaren und weit auseinanderstehenden Augen und ein anderer, ein Junge, der nicht älter als 14 Jahre als sein konnte, schienen das Essen vorzubereiten. Isabella war überrascht, hier Kinder zu sehen. Zwar war der Junge mit Abstand der Jüngste im Raum, doch bewegte er sich so selbstverständlich, als lebte er schon lange hier unten. Was suchte er hier bei den Runnern? Warum war er nicht bei seiner Familie?
Der Dunkelhäutige, der noch immer neben ihr stand, war ihrem Blick gefolgt, dachte aber, dass sie die sporadisch zusammengezimmerte Küche betrachtete.
„Es ist kein Luxus, aber mehr als genug zum Leben.", sagte er mit einem Schulterzucken.
„Wie habt ihr das alles unbemerkt hierhergebracht?", fragte Isabella und wies in den Raum. Sie konnte sich absolut nicht vorstellen, wie meterlange Tische durch die engen Tunnel geschleppt wurden. „Woher habt ihr frische Lebensmittel?"
„Die Runner leben nicht nur hier unten.", antwortete er mit einem Lächeln, beugte sich näher und senkte die Stimme. „Wir sind überall."
Als er ihren verdutzten Blick sah, lachte er auf und sein Lachen war laut und tief. Er streckte ihr seine Hand entgegen, die groß war, wie ein Suppenteller.
"Ich bin übrigens Cube."
Sein Händedruck war fest und warm und ihre gesamte Hand verschwand zwischen seinen Fingern.
Plötzlich bemerkte sie, dass sich die Stimmung im Raum verändert hatte. Die Gespräche waren leiser geworden, hatten sich in ein Tuscheln, ein Flüstern, gewandelt. Die übrigen Runner hatten die Köpfe zusammengesteckt. Es bestand kein Zweifel – sie hatten bemerkt, dass sie hier war.
Isabella spürte ihre Blicke wie Berührungen auf der Haut. Die Angst, die sie für einen Moment vergessen hatte, war zurück. Cube schien ihr milde gestimmt, doch das galt nicht für die restlichen Runner. Sie vertrauten ihr nicht und gaben sich keine Mühe, es zu verheimlichen.
Der Vorhang vor einem der übrigen beiden Löcher wurde beiseitegeschoben und eine junge Frau trat heraus. Sie band ihr tiefschwarzes Haar zu einem wirren Knoten nach oben. Ihre Haut war dunkler als die der meisten Runner, doch nicht so tiefbraun, wie Cubes Körper. Sie wirkte verschlafen und rieb sich die Augen. Ezra, der zweite der beiden Runner, die Isabella zum Versteck gebracht hatten, löste sich von seinem Platz.
„Dein Schönheitsschlaf hat nichts gebracht, Kate.", rief er. Die Frau blieb stehen und sah in seine Richtung.
„Ich glaube, du hast ihn nötiger, als ich.", erwiderte sie lachend und deutete in Richtung des Raumes, aus dem sie gekommen war. „Du bist an der Reihe."
Der Runner grinste und verschwand hinter dem Vorhang.
„Wir schlafen in Schichten.", erklärte Cube. "Es müssen immer genug Runner fit und ausgeschlafen sein. Der Raum, in dem Ezra verschwunden ist, ist der Schlafraum, der andere der Waschraum. Es ist nicht viel Wasser da und warm ist es sowieso nicht, also brauch nicht zu lange."
Isabella hörte ihm nur mit halbem Ohr zu. Die junge Frau, Kate, hatte sie entdeckt. Eine Falte entstand auf ihrem Nasenrücken, als sie die Augen zu Schlitzen verengte. Ohne den Blick von ihr zu nehmen, ging sie zu den Tischen und ließ sich zu einer Gruppe Runner auf die Bank fallen, steckte den Kopf mit ihnen zusammen und begann zu tuscheln.
Isabella wandte sich ab. Warum hatten sie sie überhaupt aufgenommen, wenn sie ihr jetzt so feindselig gegenübertraten? Doch jetzt war noch nicht die Zeit, sich darum zu kümmern. Im Moment war es wichtig, möglichst viele Informationen zu sammeln. Sie zählte elf Runner im Raum. Sicher befanden sich einige im Schlafraum und ein paar im Badezimmer. Vielleicht war sogar eine Gruppe auf den Dächern unterwegs. Nach Anzahl der Stühle und Größe des Raumes zu urteilen konnten aber nicht mehr als 25 Menschen hier leben.
Sie betrachtete die Runner im Raum, doch keines der Gesichter kam ihr auch nur im Geringsten bekannt vor. Sie hatte es nicht anders erwartet und machte sich nicht die Mühe, sich die Gesichter einzuprägen. Solange der Weg zum Versteck nicht bekannt war, würde ihrer Mutter eine Beschreibung nichts nützen. Stattdessen sah sie sich weiter um. An der Wand hinter der Küche befand sich ein großes Regal, das in etwa zwanzig Fächer aufgeteilt war, in denen die unterschiedlichsten Dinge lagerten. Sie erkannte Bücher, Kleidung, kleine Kisten und lose Blätter. Isabella nahm sich vor, sich später genauer dort umzusehen, denn etwas anderes lenkte gerade ihre Aufmerksamkeit auf sich.
In der Nähe der Küche, direkt in einer Ecke an der Wand, stand, sichtlich alt und offenbar selbst zusammengezimmert, ein Klavier. Isabella war verwirrt. Ein Klavier war das letzte, was sie im Versteck der Runner erwartet hatte. Sie gab ihrer Neugier nach, ging darauf zu und legte einen Finger auf die Tasten. Ein Ton erklang, schief und eingerostet, als würde nur selten jemand darauf spielen, doch immerhin funktionierte es.
„Lev hat versucht, es zu reparieren. Niemand hier kann spielen. Jemina versucht es immer wieder.", erklärte Cube, der ihr gefolgt war. Er senkte die Stimme. „Sei besser nicht in der Nähe, wenn es soweit ist."
Ein hölzerner Trinkbecher verfehlte seinen Kopf um Zentimeter und prallte gegen die Wand. Isabella fuhr herum. Eine junge Frau mit hellbraunen, langen Haaren und einem Mausgesicht, hatte auf Cube gezielt.
„Pass besser auf, was du sagst.", rief sie, doch sie lachte. Eine seltsame Art von Humor hatten sie.
„Warum habt ihr ein Klavier?", fragte Isabella mit zitternder Stimme. Der fliegende Becher hatte ihr einen Schrecken eingejagt.
„Was denkst du, Isabella?"
Die raue Stimme, die ihr an Cubes Stelle antwortete, jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Vermutlich hätte sie sie unter tausenden wiedererkannt. Der Mann mit dem Pferdeschwanz und der Narbe im Gesicht, der gestern das Gespräch mit ihr geführt hatte, war unbemerkt hinter sie getreten. „Wir sind Menschen, die essen, schlafen, sich die Zeit vertreiben. Was dachtest du, was wir hier unten tun? Däumchen drehen?"
Isabella schwieg. Sie hatte nie darüber nachgedacht, was die Runner taten, wenn sie nicht rannten und Anschläge auf die Stadt verübten. Überhaupt hatte sie nie richtige Menschen mit gewöhnlichen Bedürfnissen in ihnen gesehen und auch jetzt fiel es ihr nicht leicht.
Der Anführer wirkte auch eine Nacht später nicht weniger furchteinflößend. Das Haar, das er diesmal offen trug, fiel strähnig in sein Gesicht, dunkle Schatten lagen unter seinen Augen und sie erkannte, dass sein rechtes Auge milchig weiß wirkte. Sie war sich jetzt sicher, dass er auf dieser Seite blind war.
„Du wirst bald sehen, dass das Rennen sehr viel mehr erfordert, als die Füße abwechselnd auf den Boden zu setzen. Planung und Wissen sind lebenswichtig, genau wie Vertrauen und Erholung.", sagte er und streckte ihr seine Hand entgegen. Zahlreiche schwarze Kreuze befanden sich an seinem Arm. Sie schienen nicht aufgemalt zu sein, sondern wie das Zeichen der Runner unter die Haut gestochen. Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln, als er ihrem Blick folgte.
„Eines für jeden Freund, der uns verlassen hat."
Sie nickte. Die Frage, ob auch eines für Meredith stand, brannte ihr auf der Zunge, doch kein Ton kam aus ihrem Mund. Stattdessen nahm sie seine Hand. Sein Griff war fest, die Hände abgearbeitet und rau.
„Mein Name ist Jeremiah.", sagte er.
„Isabella.", antwortete sie, doch zu ihrem Erstaunen schüttelte er den Kopf.
„Nein. Isabella ist zu lang. Du brauchst einen knappen Namen, den man schnell rufen kann. Außerdem sollte dich nicht jeder erkennen, solange du ein Rabe bist. Zu deiner eigenen Sicherheit."
Sie wollte fragen, was er damit meinte, ‚solange sie ein Rabe war', doch er hatte bereits die Augen konzentriert zusammengekniffen. „Wir nennen dich-"
"Bella", wollte sie sagen. So hatte Meredith sie immer genannt. So nannten sie ihr Vater und viele ihrer Freunde.
„Is.", sagte Cube.
Jeremiah nickte. "Das ist gut. So soll es sein."
Dann hob er die Stimme und wandte sich um, zu den anderen Runnern im Raum. „Habt ihr alle gehört? Ihr Name ist Is!"
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Runner - Die Jagd beginnt
Science FictionDie Erde, wie wir sie kennen, gibt es nicht mehr. Zu viel Schaden haben Kriege und Verwüstung angerichtet. Isabella lebt gut behütet in Ashville, einer Stadt, die aufgebaut wurde, um seine Bewohner zu schützen. Keine Bedrohung dringt über die Stadtm...
