Wieder ertönte ein Schuss. Diesmal war es Blue, der aufschrie. Er verlor den sicheren Halt, stürzte nach vorne. Im letzten Moment konnte er sich fangen und sein Gewicht wieder verlagern, doch er hatte den nötigen Schwung verloren. Als er seine Füße abstieß, um auf das nächste Dach zu springen, wusste Is bereits, dass es nicht reichen würde. Seine Hände umschlossen gerade noch die Dachkante, als sein Körper gegen die Wand schmetterte. Is stoppte, stürzte zu ihm und umschloss seine Handgelenke mit ihren Fingern. Doch er war schwer und ihre Arme schon schwach. Unbarmherzig zog sein Gewicht sie nach unten. Er würde sie mit sich in den Abgrund ziehen, wenn sie ihn nicht losließ, aber das würde sie nicht. Sie konnte ihn nicht im Stich lassen.
„Cube!", schrie sie. „Ich brauche dich!"
Is betete, dass der Runner sie hörte. Er war ihre einzige Chance.
Blue starrte zu ihr hoch. Es war das erste Mal, dass sie Panik in seinen Augen sah. Sie konnte ihn nicht mehr länger halten. Ihre Hand rutschte ab.
"Lass los.", keuchte er. "Bring dich in Sicherheit."
Is schüttelte den Kopf. Tränen der Verzweiflung vernebelten ihr die Sicht, während ihre Finger sich verkrampften. Sie erinnerte sich daran, wie mühelos er sie nach oben gezogen hatte, als sie sich in derselben Situation befunden hatte. Warum konnte sie ihn nicht genauso leicht halten? Aber sie würde ihn nicht loslassen. Lieber würde sie mit ihm in die Tiefe stürzen. Ihr Körper zitterte. Sie konnte nicht mehr. Wie von selbst glitten ihre Finger auseinander. Blues Augen trafen ihre. Ein stummer Abschied.
Zwei dunkle, kräftige Hände schraubten sich um Blues Handgelenke. Is schluchzte laut auf, als Blues Gewicht endlich nicht mehr an ihren Armen zerrte.
Mit einem lauten Ächzen zog Cube Blue nach oben. Is stürzte nach hinten, rappelte sich sofort wieder auf und half Cube, Blues Arm über seine Schulter zu hängen.
Blue humpelte. Sie hatten sein Bein getroffen.
Gemeinsam schafften sie es hinter den Schornstein, der in der Mitte des Daches ein wenig Schutz bot. Is war die letzte, die dahinter verschwand. Noch ein paar Schüsse wurden abgefeuert, dann war alles still. Vorsichtig wagte Is einen Blick um die Ecke. Die Wachmänner standen noch immer in Position, doch sie bewegten sich nicht.Is ließ sich zurücksinken und presste die Hände in die Seite, während sie verzweifelt versuchte, wieder Luft zu bekommen. Mit zusammengebissenen Zähnen zog Blue neben ihr sein rechtes Hosenbein nach oben. Dunkles Blut sickerte aus einer Wunde an seiner Wade. Is wandte schnell den Blick ab.
„Sie haben Phoebe erwischt.", rief Robbe. „Wir müssen sie ins Versteck zurückbringen. Schnell."
Der schwarze Stoff von Phoebes Oberteil glänzte nass. Sie verlor viel Blut, das war selbst bei Dunkelheit zu erkennen. Is betete, dass sie den Weg ins Versteck überleben würde.
Robbe und Car halfen Cube, Phoebe über dessen Schultern zu legen, damit er sie tragen konnte. Er war der größte und kräftigste von ihnen, doch auch ihn musste ein zusätzliches Gewicht auf dem Rücken belasten. Aber sie hatten keine andere Wahl. Sie konnten Phoebe nicht zurücklassen.
„Wir nehmen den Eingang neben J7.", wies Blue sie keuchend an. „Wir legen den restlichen Weg unter der Erde zurück. In der Luft schaffen wir es nicht. Wer weiß, wo sie noch auf uns lauern."
Eine neue Ladung Schüsse ertönte. Die Runner zuckten zusammen. Doch die Schüsse hatten nicht ihnen gegolten. Sie waren leise, weit weg.
Niemand musste es aussprechen und doch hatten sie alle den gleichen Gedanken. Sie waren nicht die einzigen, die gejagt wurden. Die anderen Runner waren noch auf den Dächern und vermutlich gerade im Visier der Wachmänner.

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Runner - Die Jagd beginnt
Science FictionDie Erde, wie wir sie kennen, gibt es nicht mehr. Zu viel Schaden haben Kriege und Verwüstung angerichtet. Isabella lebt gut behütet in Ashville, einer Stadt, die aufgebaut wurde, um seine Bewohner zu schützen. Keine Bedrohung dringt über die Stadtm...