7.

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Mit einem lauten Keuchen fuhr Isabella aus dem Schlaf. Ihr Herz raste und ihr Schlafanzug klebte an ihrem Körper. Das Klingeln war immer noch da. Mit einem lauten Schlag fegte sie ihren Wecker auf den Boden, wo er schlagartig verstummte. Die Stille, die folgte, hämmerte mindestens genauso laut in ihren Ohren.

Nur ein Traum, versuchte sie sich zu beruhigen. Es war nur ein Traum. Erleichterung durchflutete sie, als sie erst die Finger, dann Arme, Beine, Zehen streckte. Alles reagierte, alles funktionierte. Alles unter Kontrolle.

Sie schlug die Bettdecke zurück und öffnete das Oberteil ihres Schlafanzugs. Rot und glänzend zog die Narbe sich über ihren Bauch. Ohne die Behandlung mit der Salbe war sie kein bisschen blasser geworden.

Mit einem Handtuch wischte sie sich den Schweiß vom Nacken und betrachtete sich im Spiegel. Ihre Augen waren rot und geschwollen und ihre Nase kribbelte noch von ihren Tränen am Vorabend.

Während sie sich mit einer Bürste durch die Haare fuhr, versuchte sie den bitteren Geschmack zu verdrängen, den der vergangene Abend hinterlassen hatte. Dabei war doch alles gut. Meredith hatte ihr verziehen und jetzt, wo ihre Eltern über das Zeichen an ihrem Arm Bescheid wussten, musste sie sich auch darüber keine Gedanken machen.

Gleich würde sie nach unten gehen und zusammen mit ihrer Familie frühstücken. Sie alle würden so tun, als wäre nichts geschehen und mit betont freundlicher Miene eine betont unverfängliche Unterhaltung beginnen. So war es immer nach einem Streit. So würde es auch heute sein.

Trotzdem warf sie einen nervösen Blick zu Merediths Zimmer, als sie sich auf den Weg nach unten machte. Die Tür war geschlossen und nichts war zu hören. Vermutlich wartete sie schon am Frühstückstisch.

Isabella beschloss, Meredith auf dem Weg zur Schule noch einmal zu sagen, wie leid es ihr tat. Sie hatte das Gefühl, dass ihre Entschuldigung am vergangenen Abend nicht ausreichte und wollte nicht, dass etwas zwischen ihnen stand. Vielleicht würde Meredith ihr dann auch erklären, was es mit dem Zeichen auf sich hatte.

Doch als Isabella den Speisesaal betrat, saßen nur ihre Eltern mit gesenkten Köpfen am Tisch. Ihr Vater sah auf, als er sie bemerkte, und verzog den Mund zu einem Lächeln, doch er konnte die Sorgenfalten nicht verbergen, die sich tief in seine Stirn gegraben hatten. Ein flaues Gefühl breitete sich in Isabellas Magengrube aus.

"Wo ist Meredith?", fragte sie.

Ihr Vater räusperte sich, doch es war ihre Mutter, die antwortete.

"Sie wird heute nicht mit dir zur Schule gehen."

Isabella starrte ihre Mutter an. „Was? Aber wieso nicht?"

Meredith hatte noch nie in der Universität gefehlt und bald standen Prüfungen an. Ihre Eltern legten so großen Wert auf ihre Ausbildung, dass sie sich nicht vorstellen konnte, dass sie sie mit Schulverbot bestrafen würden.

Sie zog ihren Stuhl zurück und setzte sich, ohne ihre Eltern aus den Augen zu lassen. „Etwa wegen gestern Abend? Es tut mir leid, dass ich das gesagt habe."

„Du hast richtig gehandelt, Isabella.", sagte Amber. „Die Sache braucht dich nicht weiter zu beschäftigen. Konzentriere dich auf die Schule und lass die Erwachsenen damit umgehen."

"Aber-"

Der Blick ihrer Mutter gab ihr zu verstehen, dass kein Widerspruch erwünscht war.

Sich auf die Schule zu konzentrieren war leichter gesagt als getan. Isabella war mit den Gedanken nicht bei der Sache. Das erste Mal seit Jahren machte sie sich alleine auf den Weg, saß alleine in einem Doppelsitz im Zug und verabschiedete sich nicht kurz vor den Schultoren von ihrer Schwester. Immer und immer wieder fragte sie sich, was gerade zuhause passierte und in welch großem Ärger Meredith stecken musste, wenn sie nicht in die Universität gehen durfte.

Runner - Die Jagd beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt