Runner - Die Jagd beginnt

47.

Während Isabella ziellos durch die Straßen lief, überlegte sie fieberhaft, wo sie die Gefangenen hingebracht haben konnten. Noch nie hatte sie sich Gedanken darüber gemacht, hatte bislang doch kein Grund dazu bestanden. Es gab hunderte von Möglichkeiten und dennoch liefen ihre Gedanken immer am selben Punkt zusammen und irgendwo musste sie schließlich mit ihrer Suche anfangen.

Wie sie es anstellen wollte, die Runner zu befreien oder sie überhaupt zu finden, wusste sie nicht. Ebenso wenig konnte sie erklären, was sie zu dieser sinnlosen Unternehmung getrieben hatte. Vielleicht war es Blues verzweifelter Anblick gewesen, oder die traurige Geschichte, die er ihr erzählt hatte. Vielleicht war es auch der Wunsch, irgendetwas zu tun, eine Aufgabe zu haben, um nicht länger über Jacksons Tod nachdenken zu müssen.

Kämpfen bis zum Schluss, hatte er gesagt. Aber hatte er wirklich gekämpft, bis zum Schluss? Oder hatte er aufgegeben? Die Runner im Stich gelassen?

Wut erfüllte sie. Warum trauerte sie überhaupt? Hatte er nicht alles aufgegeben, nur um sich ein paar Befragungen zu ersparen? Er hatte seine Freunde enttäuscht, seine Familie. Meredith. Wütend ballte Isabella die Hände zu Fäusten, doch sie wusste, dass sie versuchen musste, einen klaren Kopf zu bewahren.

Was sollte sie ihrer Mutter sagen, wenn sie ihr begegnete? Vielleicht konnte sie sie davon überzeugen, die Runner freizulassen, wenn Isabella ihr im Gegenzug noch mehr Informationen lieferte. Sie bezweifelte, dass Amber verhandeln würde, doch im Moment musste sie die Runner erst einmal finden.

Der Jahrtausendplatz tauchte vor ihr auf, doch er war fast menschenleer. Der Rauch der Bibliothek war meterhoch in den Himmel gestiegen und musste von jedem Haus der Stadt zu sehen gewesen sein. Sicher hatte sich im Eiltempo herumgesprochen, dass die Runner die Schuld daran trugen. Aber warum war dann niemand auf den Straßen? Mussten die Menschen sich nicht freuen und neugierig vor der Ratshalle lauern, um einen Blick auf die gefangenen Runner zu erhaschen? Es sei denn, man hatte die Nachricht noch nicht verkündet.

Mit schnellen Schritten überquerte Isabella den Platz und ließ die Statue von Rabastan Wulf hinter sich zurück. Die wochenlange Übung sorgte dafür, dass sie nicht außer Atem war, als sie das große Tor erreichte.

Die Wachmänner, die davor postiert waren, öffneten ihr das Tor. Sie schöpften keinen Verdacht, denn als Tochter von Amber Almond war sie oft ein und aus gegangen. Zum Glück hatte sie noch daran gedacht, die weißen Klamotten überzuziehen, bevor sie das Versteck der Runner verlassen hatte. Sie musste schrecklich aussehen, abgekämpft und müde und sicher war ihr Gesicht verdreckt und schwarz vom Ruß, doch die Wachmänner stellten keine Fragen. Sie wussten, wenn sie es taten, würden sie nicht länger als Wachmänner arbeiten.

Isabella durchquerte die Eingangshalle, in der die eisernen Köpfe der Vertreter des Hohen Rates auf sie hinunterblickten, und eilte die ausladende Treppe nach oben. Niemand begegnete ihr auf dem Weg nach oben, schließlich war Sonntag und niemand arbeitete. Aber würden nicht mehr Leute hier sein, wenn sie die Runner hier festhielten? Schließlich war das der größte Erfolg seit Jahren. Gerade überlegte Isabella, umzukehren und an einem anderen Ort zu suchen, da hörte sie das gleichförmige Stampfen dutzender Füße.

Magnus Cort bog um eine Ecke, gefolgt von einer ganzen Gruppe Wachmänner. Als er sie erblickte, stoppte er und bedeutete den Männern hinter ihm, ebenfalls anzuhalten.

„Isabella?", fragte er überrascht. Sie schluckte. Wie sollte sie erklären, warum sie hier war? Doch er erwartete keine Antwort. „Deine Mutter hat gerade keine Zeit für dich.", sagte er. „Egal, weshalb du hier bist, ich denke, es muss bis heute Abend warten."

Isabella nickte und drängte sich an die Wand, um die Gruppe vorbeizulassen. Als sie gerade um eine Ecke gebogen waren, hörte sie Magnus Corts Stimme. „Die Hälfte positioniert sich auf dem Dach, die andere Hälfte vor den Eingängen. Jede Auffälligkeit wird sofort gemeldet."