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Als Isabella am folgenden Sonntag auf dem Weg zu den Runnern war, konnte sie das schlechte Gewissen nicht ganz unterdrücken, auch wenn sie sich zum wiederholten Male sagte, dass es Unsinn war. Sie hatte die Runner schließlich nicht verraten und niemanden in ihre Pläne eingeweiht. Warum dachte sie überhaupt darüber nach? Sie würde in ihr altes Leben zurückkehren, so, wie sie es von Anfang an gewollt hatte.

Eine positive Sache hatte das Ganze jedenfalls. Sie musste sich endlich nicht mehr heimlich aus dem Haus schleichen, auch wenn es ihrer Mutter wahrscheinlich nicht aufgefallen wäre, denn noch immer bekam sie sie kaum zu Gesicht. Beim gemeinsamen Abendessen hatte Isabella befürchtet, Amber würde versuchen, mehr Informationen aus ihr herauszubekommen, doch sie vermied es, die Unterhaltung auf die Runner zu lenken. Vermutlich wollte sie ihren Vater nicht beunruhigen. Auch unter vier Augen hatte ihre Mutter das Thema nicht angesprochen und Isabella war sich sicher, dass sie erst den Sonntag abwarten wollte, um zu sehen, ob sie ihr trauen konnte.

Sie war gespannt, was Jeremiah sagen würde. Vielleicht würde der Run überhaupt nicht stattfinden, oder ein anderes Gebäude würde das Ziel sein. Vielleicht würde es sogar sagen, wer der Rabe war? Sie hoffte nur, dass ihre Mutter nicht verraten hatte, dass Isabella es gewesen war, die ihr von dem Plan berichtet hatte.

Als sie das Tuch vor dem Eingang zur Seite schlug, befanden sich die Runner gerade in der Vorbereitung. Also würden sie rennen. Isabella hatte gehofft, dass sie sich den Run ersparen konnte, aber wie es aussah, würden sie sich ein neues Ziel suchen.

Jackson hob die Hand und lächelte, als er sie erblickte. Sie zog ihre schwarzen Klamotten aus dem Regal und wollte sich gerade in den Waschraum zurückziehen, um sich umzuziehen, da sprang Jeremiah auf eine Bank und lenkte die Aufmerksamkeit der Runner auf sich.

„Heute findet ein besonderer Run statt.", verkündete er. „Dafür brauchen wir eine Menge Runner. Das Ziel ist die Bibliothek. Wir werden-"

„Die Bibliothek?", fragte Isabella erschrocken. Sie war nicht sicher, ob sie sich verhört hatte. Er wollte tatsächlich zur Bibliothek? Hatte keiner seiner Raben ihn davor gewarnt?"

„Die Bibliothek!", wiederholte Jeremiah und runzelte die Stirn. „Gibt es ein Problem?" Schnell schüttelte sie den Kopf. Sie hörte kaum hin, als Jeremiah ihr Vorgehen erklärte. Ein dumpfes Gefühl hatte sich in ihrer Magengegend ausgebreitet. Hatte ihre Mutter doch nicht vor, den Plan so umzusetzen, wie sie es gesagt hatte? Ahnte sie vielleicht sogar, wer der Rabe sein konnte und hielt es deshalb vor ihm geheim?

Was wenn sie sich getäuscht hatte? Wenn es gar keinen Spitzel gab? Oder wenn er sich nicht unter den Wachmännern befand? Es war nur ihre Vermutung gewesen, dass es ein ranghoher Wachmann sein musste, weil er den Runnern so viele Informationen über das Vorgehen der Wachmänner geliefert hatte.

Durfte sie die Runner ins offene Messer laufen lassen? Sie hatte schon den Mund geöffnet, um Jeremiah zu warnen, da hielt sie sich im letzten Moment zurück. Wenn sie es ihnen sagte, würde das fatale Folgen haben. Sie wollte sich nicht ausmalen, was die Runner mit ihr anstellen würden, wenn sie herausfanden, dass sie sie verraten hatte.

Isabella versuchte sich zu beruhigen. Wenigstens würde ihre Mutter ihr glauben, dass sie mit dem Run auf die Bibliothek die Wahrheit gesagt hatte. Und sie hatte schließlich nur vor, ihre Wachmänner in die Nähe zu schicken, um die Runner zu beobachten.

Als sie nur wenig später mit schwarz bemalten Gesichtern aufbrachen, verdrängte die Angst Isabellas schlechtes Gewissen. Immer wieder kehrte die Erinnerung zurück, an den Moment, als sie sich verzweifelt am Rand des Daches festgeklammert hatte, über metertiefem Abgrund, und schon bereit gewesen war, loszulassen.

Runner - Die Jagd beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt