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Eiskaltes Wasser prasselte auf Is' Körper hinunter. Sie war alleine im Waschraum der Runner und obwohl sie schon einige Minuten dabei war, sich den Schmutz von der Haut zu schrubben, wollte sie das Wasser noch nicht abstellen.
Noch immer klebten Reste von Dreck und Blut unter ihren Fingernägeln. Ihre weiße Kleidung hatte sie ausgezogen und achtlos neben sich auf den Boden geworfen. Braune und rote Schlieren zogen sich durch die Pfütze, die sich zu ihren Füßen gesammelt hatte.

Mit beiden Händen rieb sie sich über das Gesicht. Sie hatte das Gefühl, nicht sauber zu werden und wusste, dass das mit Wasser nicht zu ändern war. Rook hatte Recht. Egal, wie oft sie sagte, dass es ihr leidtat, dass sie es bereute, würde es doch nichts ändern. Wegen ihr hatten die Runner Jackson verloren und Fish und Meredith. Sie wünschte sich, weinen zu können, doch ausgerechnet jetzt, wo keiner sie beobachten konnte, wollten keine Tränen kommen.

Obwohl sie nicht mehr in ihr altes Leben zurückwollte, hatte der Zeitungsartikel sie doch getroffen. Sie erinnerte sich an Blue, an die Geschichte seiner Kindheit. Er hatte gesagt, das einzige, was er sich gewünscht hatte, war, dass seine Eltern ihn suchten und in die Arme schlossen. 

Ihre Mutter hatte sie aufgegeben. Viel zu schnell.

Und ihr Vater? Wusste er, dass sie noch lebte, oder würde er durch einen Zeitungsartikel erfahren, dass auch Isabella gestorben war? Ihr armer, armer Vater. Er hatte ihr gesagt, er wollte nicht noch seine zweite Tochter verlieren und doch würde er genau diese Nachricht erhalten. Sie wünschte sich, ihm sagen zu können, dass sie lebte. Dass er sich keine Sorgen um sie machen sollte. Aber wie sollte sie das anstellen? Ab jetzt konnte sie genauso wenig nach draußen, wie die anderen Runner. Nie mehr würde sie die Straßen Ashvilles entspannt entlangspazieren können. Nie mehr mit dem Zug fahren, Rabastan Wulfs Statue berühren. Sie hatte vieles aufgegeben und nichts erreicht. Nur ihre Welt war Stück für Stück zerbrochen.

Mit matten Armen zog sie sich die schwarzen Klamotten über und schob den ehemals weißen Kleiderhaufen mit dem Fuß in eine Ecke.

Auf einmal betrat jemand den Raum. Jeremiah trat wortlos auf sie zu und blieb vor ihr stehen. Und da schossen ihr die Tränen in die Augen, bevor sie sie zurückhalten konnte. Überrascht spürte sie, wie sich seine Arme um sie schlossen. Sie legte ihr Gesicht an seine Brust und spürte sein Herz klopfen.

„Es tut mir leid.", flüsterte sie. „Du musst mir glauben. Ich weiß jetzt, auf welcher Seite ich stehe."

„Es hat einen hohen Preis gekostet.", flüsterte er.
Is wusste nicht, wie lange sie so standen. Sie verstand nicht, warum er es tat. Warum er sie tröstete, obwohl sie die Schuld am Tod seiner Freunde trug. 

Als er sich von ihr löste, sah sie zwei frisch gestochene Kreuze an seinem Arm. Die Haut darum war rot und gereizt.

„Komm.", sagte er dann. „Wir warten gemeinsam."

Eine angespannte Stille erfüllte das Wohnquartier. Die Runner saßen zusammen und sagten doch kein Wort. Sie wirkten niedergeschlagen und fast so, als erwarteten sie das Ende. 

Zum ersten Mal schien Jeremiah keine Lösung zu finden. Keinen anderen Ort, an dem sie in Sicherheit waren. Keinen Plan, wie sie sich und ihr Versteck schützen konnten. Erst jetzt schien Is klar zu werden, dass dieses Versteck wirklich alles war, was die Runner hatten. Der einzige Ort, der für sie ein Zuhause war und sie verspürte unglaubliche Erleichterung, dass sie ihrer Mutter nicht verraten hatte, dass sie sich unter der Erde versteckten. Sie hatte ihnen schon so viel genommen, wenigstens am Verlust ihres Zufluchtsortes wollte sie nicht die Schuld tragen. 

Is ließ den Blick über die Runner schweifen. Jeremiah saß auf dem Boden, die Hände gefaltet und die Augen geschlossen. Seine Lippen bewegten sich leicht, als würde er sich selbst Mut zusprechen. 

Runner - Die Jagd beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt