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Sie setzten ihren Weg fort, bis sie schließlich auf einem unscheinbaren Dach stehen blieben. Wenn sie weiter in die Richtung wollten, war der Weg versperrt. Sie mussten genau am Ende eines der Viertel angekommen sein, die auf dem Stadtplan Ashvilles durch Quadrate eingezeichnet waren. Die nächsten Häuser ragten viel höher in die Luft und waren von ihrer Position nicht zu erreichen. Doch Isabella kannte die Runner lange genug, um zu wissen, dass sie einen Plan hatten.

Ihr war schon aufgefallen, dass sich auf den meisten Dächern Dachluken befanden, durch die man vom obersten Stockwerk auf das Dach gelangen konnte. Allerdings hatte sie sie bisher immer nur als Möglichkeit für die Wachmänner gesehen, aufs Dach zu gelangen. Doch als Jackson seine Hände um den Griff schloss und die Luke mit einem Ächzen aufzog, wunderte sie sich nicht einmal mehr. Natürlich waren die Runner nicht nur auf den Dächern unterwegs. Trotzdem spürte sie die Gänsehaut, die sich über ihren Körper zog und sie wusste, dass nicht die kalte Luft sie ausgelöst hatte. Die Menschen, die in diesem Gebäude arbeiteten, hatten keine Ahnung, dass ihre ärgsten Feinde sich in ihrer Abwesenheit in das Haus schlichen.

Jackson ließ die Beine hineingleiten, ohne überhaupt nachzusehen, ob die Luft rein war. Aber das war auch nicht nötig. Die offiziellen Arbeitszeiten der Stadt gingen bis Punkt sechs Uhr abends, dann verließen alle Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze und die Gebäude wurden verriegelt.

Damit keine Runner eindringen konnten. Wenn sie nur wüssten.

Nacheinander folgten die anderen Runner. Sie befanden sich in einem Großraumbüro und wie Isabella vermutet hatte, war der Raum wie ausgestorben. Die Sonne stand tief am Himmel und warf ihre letzten Strahlen auf die Schreibtische, die akkurat angeordnet im Raum standen. Fünf Reihen, mit je fünf Schreibtischen. Dokumente und Aktenordner waren säuberlich gestapelt, Stifte ordentlich an den Rand des Tisches gelegt. Alles für den Feierabend bereitgemacht. Wie es sich gehörte.

Sie trat näher an einen der Schreibtische. Es interessierte sie brennend, woran hier gearbeitet wurde. Doch gerade als sie die Hand ausstreckte, um ein Blatt Papier vom Stapel zu nehmen, pfiff Blue sie zurück.

„Nichts anfassen!", wies er sie an. „Niemand darf wissen, dass wir hier waren."

„Wollt ihr ihnen kein Zeichen hinterlassen?", fragte Isabella. „Ihnen Angst einjagen? So, wie bei den Gewächshäusern."

Blue schüttelte den Kopf. „Sie wissen, dass wir auf den Dächern unterwegs sind. Aber sie wissen nicht, dass wir dieses Büro nutzen, um zum nächsten Haus zu kommen. Wenn sie es bemerken und die Dachluke versperren, ist der Weg hier abgeschnitten."

Isabella nickte und zog schnell die Hand zurück. Wieder etwas, wovon sie ihrer Mutter berichten konnte. Vielleicht musste sie ihr nicht einmal das Versteck verraten. Vielleicht war es genug, ihr zu sagen, wie sie die Runner behindern konnte.

Sie wandte ihren Blick ab und sah, dass die Runner sich bereits an einem geöffneten Fenster versammelt hatten. Als sie näherkam, erkannte sie, was sie vorhatten. Die Wand des nächsten Hauses war etwa einen Meter entfernt und sie erkannte dieselbe Art von Sprossen, die sie immer nach oben klettern mussten, wenn sie das Versteck verließen und ihren Run begannen. Isabella streckte den Kopf aus dem Fenster. Sie liefen bis ans Ende des Daches, das sich viele Meter über ihnen erstreckte. Doch sie waren weit mehr als eine Armeslänge von dem Fenster entfernt, an dem sie jetzt standen. Wie sollten sie sie erreichen?

Diesmal machte Kate den Anfang. Sie kletterte auf das Fensterbrett und ging in die Knie, um nicht mit dem Kopf gegen das obere Ende des Fensterrahmens zu stoßen. Ruhig und kontrolliert beugte sie sich mit ausgestrecktem Arm nach vorne, bis ihre Hände die Sprossen erreichte. Mit der rechten Hand griff sie nach der nächsten Stufe, bis ihre Arme ganz ausgestreckt waren und stieß sich dann mit einem Satz vom Fenster ab. Die Sprossen knirschten kurz, als Kate nur mit ihren Händen an ihnen hing, bis sie mit den Füßen eine Sprosse ertastet hatte und nach oben zu klettern begann. Jackson war der nächste, doch er wartete, bis Kate fast ganz oben angelangt war.

Runner - Die Jagd beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt