Das Gebäude mit der Kennziffer P67 war ein hellgrauer, fensterloser Kasten. Noch nie war Is der Stadtmauer so nah gekommen. Das Leben spielte sich in Ashvilles Innenstadt ab. An den Stadträndern befanden sich die Fabriken, einige Wohnviertel und das Viertel der Streuner, deshalb hatte es nie einen Grund gegeben, den Weg dorthin auf sich zu nehmen.
Jetzt aber ragte sie direkt vor ihr in die Höhe, größer und unüberwindbarer als je zuvor.
Aus der Nähe wirkten die Mauern noch viel massiver und dicker, als Is sie sich vorgestellt hatte. Das Gebäude, vor dem sie standen, war in die Mauer eingelassen. Sie breitete sich zu beiden Seiten hin aus und ragte sogar aus dem Dach in die Höhe, als wäre das Gebäude zuerst da gewesen und die Mauer einfach trotzdem an Ort und Stelle aufgebaut. Vielleicht war es genau so gewesen.
Befand sich hier tatsächlich der Zugang zum Kanal, wie es die Karte angedeutet hatte?
Is hatte immer gewusst, dass ab und an Waren von außerhalb in die Stadt gebracht wurden, aber sie hatte sich nie dafür interessiert. Jetzt ergab es plötzlich Sinn.
Es grenzte an ein Wunder, dass sie es unbemerkt hierhergeschafft hatten. Kaum ein Wachmann war auf den Straßen unterwegs gewesen. Vermutlich versuchten sie gerade, weitere Informationen aus Rook herauszubekommen. Is hatte kein Mitleid mit ihm.
Da Cube Phoebe auf den Schultern getragen hatte und sie alle mit Taschen beladen waren, hatten sie es nicht gewagt, über die Dächer zu rennen. Stattdessen waren sie am Boden geblieben, hatten sich in dunkle Gassen gedrückt, waren mit den Schatten verschmolzen, und hatten vorsichtig um jede Ecke gespäht, um sicherzugehen, dass sie keinem Wachmann in die Arme liefen. Noch nie hatte Is sich so unsicher gefühlt, wie auf den Straßen Ashvilles. Und doch konnte nichts gefährlicher sein, als im Versteck zu bleiben und darauf zu warten, dass die Wachmänner wiederkamen.
Nur ein Wachmann war vor dem Gebäude postiert. Konnte es möglich sein, dass der Hohe Rat den Kanal nur so schwach schützen ließ? Was, wenn sie sich getäuscht hatte, dachte Is mit einem mulmigen Gefühl. Was, wenn es doch kein Ausgang war. Meredith konnte alles Mögliche mit der Gebäudekennung gemeint haben. Vielleicht wollte sie sich das Gebäude nur näher ansehen. Vielleicht vermutete sie, dass geheime Waren in die Stadt transportiert wurden.
Aber hatten sie eine Wahl? Sie hatten kein Versteck mehr, es gab keinen sicheren Ort für sie und sie hatten keine andere Vermutung, der sie nachgehen konnten.
Die Runner warteten dicht an eine Hauswand gedrückt. Phoebe hatten sie auf dem Boden abgelegt. Noch war es stockdunkel, aber es würde nicht mehr lange dauern, bis die Sonne aufging. Sie mussten schnell handeln, denn bei Tageslicht würde es für eine so große Gruppe unmöglich sein, sich zu verstecken.
Der Wachmann bemerkte nicht, dass sich Blue und Cube von beiden Seiten anschlichen. Sie waren geübt darin und leise, was man ihnen auf den ersten Blick nicht zugetraut hätte. Is schloss die Augen und versuchte, den leisen Schlag zu überhören. Als sie die Augen wieder öffnete, lag der Wachmann bewusstlos mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden. Schnell huschten die übrigen Runner aus ihrem Versteck hervor.
Die Tür zum Gebäude besaß keine Klinke, lediglich ein kleines Kästchen war an der Wand angebracht.
„Man kann die Tür nur mit einem Chip öffnen.", erklärte Is leise.
„Wir können sie aufbrechen.", schlug Ezra vor, aber Blue schüttelte den Kopf. „So riskieren wir nur, dass ein Alarm ausgelöst wird und der Mechanismus die Tür blockiert."
„Er kann uns helfen.", sagte Is und deutete auf den bewusstlosen Wachmann. "Sicher kann er die Tür öffnen."
Mit Cubes Hilfe zerrten sie den Wachmann hoch und schleppten ihn zur Tür, wo sie seine Hand gegen den Sensor hielten.
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Runner - Die Jagd beginnt
Science FictionDie Erde, wie wir sie kennen, gibt es nicht mehr. Zu viel Schaden haben Kriege und Verwüstung angerichtet. Isabella lebt gut behütet in Ashville, einer Stadt, die aufgebaut wurde, um seine Bewohner zu schützen. Keine Bedrohung dringt über die Stadtm...
