Die nächsten Wochen zogen an Isabella vorbei, als befände sie sich in einem immerwährenden Traum. Sie fühlte sich wie ein Roboter, der mechanisch seine ihm zugeteilten Aufgaben erledigte. Morgens frühstückte sie mit ihren Eltern, ging zur Schule, erledigte in Eile ihre Hausaufgaben und legte sich dann ein paar Stunden schlafen, bevor sie sich jede Nacht um dieselbe Uhrzeit nach draußen schlich, um von Cube in der dunklen Gasse in der Nähe des Hauses abgeholt zu werden.
Blue trainierte sie noch immer und sie führte seine Anweisungen klaglos aus, ob er sie durch die Tunnel rennen, auf Plattformen klettern, Kisten ziehen oder am Seil festklammern ließ. Sie sprang jede Nacht über weiße Linien, lernte, wie sie ihre Füße abrollte und mit den Armen den meisten Schwung erreichte, wie sie das Gleichgewicht behielt und abrupt stoppte, ohne nach vorne zu stürzen. Sie wurde besser, aber egal, wie sehr sie sich bemühte, Blue schien nie ganz zufrieden zu sein.
Im Gegenteil. Von Tag zu Tag wirkte er mürrischer und hatte an allem etwas auszusetzen. Isabella wusste auch, weshalb. Während er mit ihr im Übungsraum Zeit verbrachte, brachen die Runner ohne ihn auf, und sie bemerkte seine sehnsüchtigen Blicke, wenn eine Gruppe ohne ihn das Versteck verließ.
Doch nicht nur Blue ließ sie seine Abneigung spüren. Auch die meisten der anderen Runner mieden sie noch immer. Sie wollten während des Essens nicht neben ihr sitzen, senkten die Stimmen, wenn sie in die Nähe kam und besprachen ihre Pläne nur dann, wenn sie sicher sein konnten, dass sie nicht zuhörte.
Was Isabella jedoch am meisten belastete, war ihre völlig verschobene Zeitwahrnehmung. Sie schlief nachmittags, schlich sich abends aus dem Haus und war nachts so wach, als wäre es helllichter Tag. Jeden Morgen kurz vor Sonnenaufgang fiel sie in ihr Bett, schlief zwei Stunden, bevor sie gerädert aufwachte und zur Schule ging, wo sie kaum die Augen offenhalten konnte.
"Ein Runner muss immer ausgeruht sein.", hatte Blue ihr erklärt, als sie einmal während des Trainings ein Gähnen nicht unterdrücken konnte. "Wenn du müde bist, leg dich hin und schlaf eine Stunde. Ein müder Runner ist ein unkonzentrierter Runner. Ein unkonzentrierter Runner ist-"
"- ein toter Runner.", hatte sie brav geantwortet und innerlich die Augen verdreht. Wenn das Rennen so lebensgefährlich war, würden dann nicht überall von Hochhäusern gestürzte Runner auf den Straßen liegen? Die Frage lag ihr bereits auf der Zunge, da dachte sie an Meredith und blieb still.
So müde sie auch war, traute sie sich doch nicht, bei den Runnern zu schlafen. Zu groß war die Angst, in ihrer Gegenwart die Augen zu schließen. Sie durfte nicht unaufmerksam werden. Im Gegenteil. Viel zu lange verbrachte sie ihre Zeit schon hier, ohne etwas herausgefunden zu haben. Die Euphorie, die sie noch am Anfang gespürt hatte, war verflogen, denn die Runner machten keine Anstalten, sie in der nächsten Zeit in ihre Pläne einzuweihen.
Die einzigen, die sie freundlich behandelten, waren Cube und Jackson, doch immer öfter kam es vor, dass sie draußen unterwegs waren. In diesen Momenten saß Isabella alleine am Tisch und war vor allem Rooks Schikanen schutzlos ausgeliefert. Er schien einen besonderen Hass auf sie zu haben, oder hatte einfach Spaß daran, sie leiden zu lassen.
Eines Nachts, nachdem Isabella nach dem Training auf Cubes Rückkehr wartete, damit er sie nach Hause brachte, stand Rook in der Nähe der Küche, in der der Junge – Jackson hatte ihn Fish genannt – gerade Kartoffeln schälte.
Wie zufällig stieß Rook gegen eine Schüssel mit Kartoffelschalen, die auf dem Tresen stand. Mit einem lauten Poltern fiel sie zu Boden und blieb umgedreht liegen. Fish sagte nichts, sondern bückte sich schnell, um die Kartoffelschalen aufzusammeln, die auf dem Boden verteilt waren. Isabella verstand nicht, warum er sich das gefallen ließ. War er so etwas wie ihr Sklave? Sie hatte ihn noch kein Wort sprechen hören, seit sie hier war. Vielleicht hatten sie ihm den Mund verboten.
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Runner - Die Jagd beginnt
Science FictionDie Erde, wie wir sie kennen, gibt es nicht mehr. Zu viel Schaden haben Kriege und Verwüstung angerichtet. Isabella lebt gut behütet in Ashville, einer Stadt, die aufgebaut wurde, um seine Bewohner zu schützen. Keine Bedrohung dringt über die Stadtm...
