Kapitel 30

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Talea's Sicht

Die Situation war merkwürdig.
Obwohl ich mich unheimlich wohl in Samus Nähe fühlte, wusste ich schon jetzt, dass es ein Fehler gewesen war, ihn nochmal so nah an mich heranzulassen.
Die Angst davor, mich in irgendwas zu verrennen, war einfach zu groß.
Als er mich dann nach meiner Handynummer fragte, hielt ich das zuerst für einen blöden Scherz.
Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er Interesse daran hatte, das was da zwischen uns war, aufrecht zu erhalten.
Ich meine, er ist ein berühmter Rockstar, sieht verdammt gut aus und die Frauen liegen ihm reihenweise zu Füßen.
Warum sollte er da ausgerechnet mit mir...?
Egal.
Ständig darüber nachzudenken würde es nicht leichter machen, ihn wieder zu vergessen.
Ganz im Gegenteil.

Ich steuerte geradewegs auf den Aufzug zu, drückte den Knopf fürs Erdgeschoss und lehnte mich an die Wand, als er sich in Bewegung setzte.
Eine angenehm kühle Brise wehte mir entgegen, als ich das Hotel verließ.
Ich zog den Mantel enger um meinen Körper und machte mich mit schnellen Schritten auf den Weg zur nächsten U-Bahn Station, um von dort aus direkt zu meinen Eltern zu gelangen.
Ich war spät dran und hatte keine Zeit mehr, um erst nochmal nach Hause zu fahren.
Unpünktlichkeit war ziemlich untypisch für mich und würde definitiv für noch mehr Fragen sorgen, als mein nicht ganz so frischer äußerlicher Zustand.
Ich hoffte inständig, dass Osmo und meiner Mutter nicht auffiel, dass ich die gleichen Klamotten trug wie am Abend zuvor.

Nach ungefähr 30 Minuten erreichte ich die ruhige Wohngegend, in der meine Eltern seit vielen Jahren lebten. Sie waren Eigentümer eines kleinen zweistöckigen Hauses mit einem, für Kölner Verhältnisse, großen Grundstück.
Hierher zu kommen fühlte sich jedes Mal ein bisschen wie Urlaub an.
"Da bist du ja endlich. Wir haben schon auf dich gewartet.", rief meine Mutter freudestrahlend. Hinter ihr tauchte Osmo auf, der mich ebenfalls breit angrinste.
"Tut mir leid, dass ich so spät dran bin. Ich habe zu lange geschlafen.", sagte ich entschuldigend und umarmte die beiden zur Begrüßung.
Das war immerhin nicht gelogen.
Dass ich nicht in meinem eigenen Bett und auch nicht alleine geschlafen hatte, sollte aber besser mein Geheimnis bleiben.

"Kein Problem. Osmo ist auch gerade erst gekommen.", sagte sie und sah liebevoll zwischen uns beiden hin und her.
Ich zog meine Schuhe und meine Jacke aus, stellte meine Handtasche ab und folgte den beiden dann ins Wohnzimmer.
Mein Vater, der auf dem Sofa saß und aufmerksam die Nachrichten verfolgte, stand auf und kam auf mich zu, als er mich erblickte.
Er war mindestens genauso liebevoll und warmherzig wie meine Mutter. Nur auf etwas unbeholfenere Art und Weise.

Als wir gemeinsam frühstückten, fragte meine Mutter Osmo und mich über den weiteren Verlauf des Abends aus.
Allein daran zurückzudenken machte mich nervös, doch ich versuchte das zu überspielen und mir nichts anmerken zu lassen.
"Deine Freundin hat es ja ziemlich krachen lassen.", stellte Osmo belustigt fest, nachdem meine Mutter ihr Verhör beendet hatte.
Anna.
Ich verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. Ich konnte mir schon denken, was passiert war, nachdem sie mit Riku von der Party verschwunden war.
Es war kaum zu übersehen gewesen, wie gut die beiden sich verstanden. "Warum denn?", fragte meine Mutter neugierig.
"Sie hat sich an meinen Bandkollegen Riku rangemacht. Und irgendwann sind die beiden verschwunden.", antwortete Osmo und hob vielsagend eine Augenbraue.
Meine Mutter schüttelte den Kopf, so als wüde sie keine weiteren Details hören wollen, und wechselte dann glücklicherweise das Thema. Verständlicherweise.
Anna und ich waren gemeinsam aufgewachsen und meine Eltern waren im Laufe der Jahre wie eine zweite Familie für sie geworden.
Dass man die sexuellen Aktivitäten seiner Kinder, auch wenn es nicht die eigenen waren, am liebsten ausblenden wollte, war wahrscheinlich normal.

Meine Mutter begann stattdessen zu erzählen, was sonst in der Familie los war. Das interessierte vor allem Osmo, denn die meisten unserer Verwandten sah er nur ein oder zwei Mal im Jahr.
Gerade als meine Gedanken zum wiederholten Mal zu Samu und unserer gemeinsamen Nacht abschweiften, ließ Osmo die Bombe platzen.
"Übrigens hat Talea mir versprochen, dass sie für ein paar Monate zu mir nach Helsinki kommt, wenn sie frei hat."
Er lächelte stolz und nickte.
Verdammt.
Ich hätte meinen Eltern zuerst selbst davon erzählen sollen, damit sie sich nicht hintergangen oder überrumpelt fühlten. Besonders meine Mutter war sehr sensibel, wenn es darum ging, dass sie ihre Kinder für längere Zeit nicht sehen konnte.
Allerdings hatte Osmo mich gestern Abend so mit dieser Idee überrascht, dass ich gar keine Gelegenheit dazu gehabt hatte.
Der Schock über diese Neuigkeiten war meiner Mutter jedenfalls deutlich anzusehen.
Natürlich konnte ich gut nachvollziehen, dass sie nicht begeistert sein würde, wenn auch ihr zweites Kind für längere Zeit in ein anderes Land verschwand.
"Diese Idee ist gestern Abend ganz spontan entstanden. Ich denke, es ist eine gute Möglichkeit, um mal raus zu kommen.", sagte ich und lächelte entschuldigend.
Ich wusste, dass sie mir nicht lange böse sein konnte.
"Das ist doch toll. Dann kann Osmo dir zeigen, wo er lebt.", sagte mein Vater und ergriff die Hand meiner Mutter.
Er wusste, dass er sie nach diesen Neuigkeiten erstmal ein wenig beschwichtigen musste.
"Aber du passt gut auf sie auf. Verstanden?"
Ihre Stimme klang ernst, doch sie lächelte zaghaft.
So langsam hatte ich mich mit dem Gedanken angefreundet, für ein paar Monate nach Finnland zu gehen. Vielleicht würde ich dort auch Samu wiedersehen...

Forever Yours / Samu & TaleaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt