Kapitel 73

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Samu's Sicht

"Bin gleich soweit.", murmelte Talea, als ich den Kopf durch die angelehnte Badezimmertür steckte um nachzusehen, wie lange sie noch brauchte. 
Warum Frauen immer stundenlang vor dem Spiegel standen hatte ich noch nie begriffen.

Während ich auf sie wartete, schickte ich meiner Mutter eine Nachricht via WhatsApp. Ich hatte mich erst ein einziges Mal bei ihr gemeldet, seit ich aus dem Krankenhaus entlassen worden war.
Wahrscheinlich wartete sie bereits sehnsüchtig auf ein Lebenszeichen von mir, nachdem dieser Unfall ihr so einen großen Schrecken eingejagt hatte.

"Wir können jetzt los.", sagte Talea und lächelte schüchtern, während sie ihre Jacke anzog.
Obwohl es bereits Mai war, war es in Helsinki noch recht kühl und zu allem Überfluss regnete es ständig.
Ich schnappte mir ebenfalls meine Jacke, nahm die Schlüssel vom Küchentisch und dann machten wir uns auf dem Weg zum Auto.
"Samu, ich habe eine Bitte an dich.", sagte meine hübsche Beifahrerin mit nachdenklicher Miene, nachdem wir bereits einige Kilometer weit gefahren waren.
"Was denn?"
"Können wir Osmo bitte nichts davon erzählen? Ich meine...von dieser Sache zwischen uns. Ich weiß nicht, wie er es aufnehmen wird und ich will momentan nicht provozieren, dass er sich aufregt oder sich den Kopf darüber zerbricht."
Ihre Stimme klang ernsthaft besorgt und sie wirkte angespannt, fast so, als wäre es ihr unangenehm, mit mir darüber zu reden.
"Natürlich. Ganz wie du willst.", antwortete ich und bemühte mich, dabei möglichst gelassen zu klingen. Doch ihre Bitte brachte mich ins Grübeln.
Wollte sie das zwischen uns wirklich geheim halten?
"Danke.", murmelte sie leise, den Blick starr geradeaus auf die Straße gerichtet.
Verdammt.
Ich konnte einfach nicht aufhören darüber nachzudenken.

"Weiß er nichts davon?"
"Wovon?"
Sie wirkte verwirrt.
"Von uns. Was damals passiert ist, meine ich. Hast du ihm nie davon erzählt?"
Das machte mich schon ein bisschen neugierig.
Ich wollte es wissen.
War ich über all die Jahre ihr kleines Geheimnis geblieben?
"Natürlich nicht. Ich bin doch nicht wahnsinnig. Weißt du, was los gewesen wäre, wenn ich ihm aufgetischt hätte, dass ich mein erstes Mal mit einem fremden Mann erlebt hatte, der noch dazu mehr als zehn Jahre älter war? Außerdem bist du sein bester Freund. Osmo wäre ausgeflippt.", sagte sie aufgebracht.
Okay, das war auf jeden Fall eine klare Ansage.
Jetzt konnte ich mir endgültig sicher sein, dass Osmo nichts von unseren bisherigen Begegnungen wusste.
Nach unserem Wiedersehen in Köln hatte ich manchmal das Gefühl gehabt, dass er etwas wusste, oder zumindest etwas ahnte, dass er mich anders ansah oder anders mit mir sprach.
Doch Taleas Worten zu Folge hatte ich mir das nur eingebildet.
"Abgesehen davon glaube ich ohnehin nicht, dass er private Details aus meinem Sexleben hören will.", fügte sie hinzu und verzog angewidert das Gesicht.
Definitiv ein berechtigter Einwand.

Wir schwiegen wieder eine Weile.
"Lass uns einfach versuchen, das erstmal für uns zu behalten. Wir beide wissen nicht wohin das führt. Bitte versteh das."
Sie klang noch immer nachdenklich, fast ein wenig bedrückt.
Ich konnte natürlich verstehen, warum sie die Sache so angehen wollte.
Was in der kommenden Zeit zwischen uns passieren würde, wusste niemand. Ich wusste lediglich, dass ich offen für das war, was die Zukunft bringen würde.
Ich wollte mehr Zeit mit Talea verbringen, sie noch besser kennenlernen und herausfinden, was das wirklich zwischen uns war.
Dieses kleine Fünkchen, das vermutlich schon vor mehr als zehn Jahren angefangen hatte sich zu entwickeln.

Nach ungefähr 20 Minuten erreichten wir das Krankenhaus.
Ich stellte das Auto auf dem Parkplatz ab und wir schlenderten entspannt in das große Gebäude.
Die Mitarbeiter, die an uns vorbeiliefen, nickten uns gewohnt freundlich zu und lockerten die Anspannung, die mich ergriff, sobald ich dieses Gebäude betrat, so zumindest ein klein wenig auf.
Ich hasse Krankenhäuser.
Okay, vermutlich tut das so ziemlich jeder.
Bei Osmos Zimmer angekommen, öffnete ich nach kurzem Anklopfen die Tür, ließ Talea den Vortritt und schloss sie leise wieder.
"Hey. Schön, dass ihr da seid.", murmelte er und klang etwas heiser.
Er hatte sich in seinem Bett aufgesetzt und lächelte uns fröhlich zu.
Der riesige Verband, der tagelang seinen Kopf umgeben hatte, war inzwischen durch einen kleineren und weniger bedrohlich wirkenden ersetzt worden und auch die Schwellungen und Blutergüsse in seinem Gesicht waren deutlich zurückgegangen.
"Du siehst gut aus. Wie geht's dir heute?", sprach Talea und setzte sich zu ihm auf die Bettkante.
"Mir geht's gut. Du musst dir keine Sorgen machen.", antwortete Osmo und tätschelte aufmunternd ihre Schulter. Noch immer war ihr deutlich anzumerken, wie sehr der Unfall ihres Bruders sie mitgenommen hatte.

Irgendwann kam die behandelnde Ärztin ins Zimmer. Sie begrüßte uns mit einem festen Händedruck, widmete sich dann kurz Osmo, der sichtlich erschöpft war, da selbst Kleinigkeiten ihn noch immer ziemlich anstrengten, und wandte sich dann wieder uns zu. "Er ist noch immer ziemlich schwach und braucht viel Ruhe. Es wird vermutlich noch ein bis zwei Wochen dauern, bis wir ihn entlassen können.", sagte sie und richtete ihre Brille, die sie um einiges älter wirken ließ, als sie vermutlich wirklich war.
"Aber es wird doch wieder alles gut, oder?", fragte Talea und ließ ihren besorgten Blick zu Osmo schweifen, der inzwischen eingedöst war.
"Seien Sie unbesorgt. Er hat alles gut überstanden. Jetzt muss er nur noch wieder fit werden. Es ist völlig normal, dass dieser Prozess etwas Zeit in Anspruch nimmt."
Sie lächelte aufmunternd und wandte sich dann ab, um das Zimmer zu verlassen.
"Vielen Dank.", sagte Talea mit erstickter Stimme.
Sie lächelte gequält und augenblicklich schossen ihr Tränen in die Augen. Verdammt.
Nicht weinen.
"Ich glaube, wir sollten uns auch wieder auf den Weg machen.", sagte sie an mich gewandt und versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Doch dafür war es längst zu spät.
Ich nickte stumm und wartete dann, bis sie sich auf gewohnt liebevolle Art von Osmo verabschiedet hatte.

Forever Yours / Samu & TaleaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt