Kapitel 46

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Samu's Sicht

Es war schrecklich, Talea so am Boden zerstört zu sehen.
Ich wusste natürlich, wie viel Osmo ihr bedeutete und wie eng das Verhältnis der beiden war.
Sie hatte ihren Kopf neben seiner Schulter auf dem Kopfkissen gebettet und war irgendwann in dieser Position eingeschlafen.
"Hey. Wach auf.", flüsterte ich und tätschelte sanft ihren Rücken, um sie zu wecken.
Die ganze Nacht über so dazuliegen war sicher alles andere als bequem. "Hmm.", murmelte sie und hob langsam den Kopf an.
"Du musst nach Hause gehen. Du brauchst Schlaf.", sagte ich und beobachtete, wie sie sich langsam aufraffte.
Sie wirkte müde und erschöpft.
Ihre Augen waren geschwollen und die Tränen hatten sichtbare Spuren hinterlassen.
Trotzdem war sie wunderschön.
Das war sie schon damals gewesen.

"Ich gehe nirgendwo hin. Ich bleibe hier bei ihm.", sagte sie entschlossen und blickte besorgt auf Osmo hinab.
Ich konnte sie gut verstehen.
Wenn mich jemand aufgefordert hätte zu gehen, hätte ich mich auch geweigert.
"Dann leg dich wenigstens hin.", sagte ich und deutete auf das freie Bett.
Sie musste sich ausruhen und eine Weile schlafen.
"Ich glaube, du hast es gerade ein bisschen nötiger als ich.", murmelte sie und musterte mich dann mitfühlend.

Vermutlich hatte sie damit nicht ganz Unrecht.
Ihr besorgter Blick wanderte immer wieder zu meiner Schulter.
Die Schmerzen hatten ein wenig nachgelassen, doch sobald ich mich bewegte, wurde ich wieder daran erinnert, dass doch nicht alles ganz so in Ordnung war, wie ich vorgab.
"Bitte, Talea.", flüsterte ich.
Ich konnte einfach nicht mit ansehen, wie sie auf diesem unbequemen Stuhl hing.
"Okay.", gab sie genauso leise zurück, streichelte noch einmal über Osmos Arm und erhob sich dann schwerfällig.

Sie schlurfte zum Bett, zog ihre Schuhe aus und ließ sich seufzend darauf fallen.
Sie war so erschöpft, dass sie schon nach wenigen Minuten einschlief.
Ich ließ mich auf meinem Stuhl nach hinten sinken, streckte die Beine aus und beobachtete, wie sie friedlich schlief.
Sie atmete ruhig und gleichmäßig und konnte so hoffentlich für ein paar Stunden vergessen, was passiert war.

Wie gerne hätte ich das gleiche getan... Ich war todmüde und alle meine Gliedmaßen schmerzten, doch an Schlaf war in dieser Position gar nicht zu denken.
Es gab nur eine Möglichkeit.
Mir war bewusst, dass das eine total bescheuerte Idee war, doch ich hatte keine andere Wahl.
Wenn ich die Nacht halbwegs heil überstehen wollte, musste ich mich hinlegen.
Da sowohl Talea als auch ich hier bei Osmo bleiben durften, obwohl das auf der Intensivstation normalerweise nicht erlaubt war, wollte ich nicht auch noch so unverschämt sein und die Pfleger nach einem zweiten zusätzlichen Bett in diesem Zimmer fragen.
Immerhin ist das hier ein Krankenhaus und kein Hotel.

Schwerfällig erhob ich mich und tappste dann langsam zum Bett herüber.
Talea schlief tief und fest und hatte sich mittlerweile so zusammengekauert, dass im Bett theoretisch genug Platz für zwei Personen war.
Sollte ich...?
Ich wusste, dass sich mich dafür noch mehr hassen würde, falls das überhaupt möglich war, doch mein Bedürfnis nach Schlaf hatte sich gegen meine Vernunft durchgesetzt.

Talea's Sicht

Das gleichmäßig leise Piepen drang immer klarer zu mir durch, als ich langsam wach wurde.
Noch bevor ich die Augen öffnete, schosss durch meinen Kopf, was in der Nacht passiert war.
Osmo war nicht nach Hause gekommen, dann der Anruf von Samu, meine Taxifahrt zum Krankenhaus und mein Zusammenbruch als ich Osmo so da liegen sah.
Umgeben von unzähligen Geräten, die irgendwie beängstigend wirkten, obwohl sie nur dafür da waren, seinen Zustand zu überwachen.
Das alles war kein blöder Alptraum gewesen.
Das war die bittere Realität.

Ich befreite mich von der schweren Bettdecke, unter der es mir plötzlich viel zu warm vorkam, und streckte meine Arme aus.
Mein Kopf schmerzte und meine Gliedmaßen fühlten sich schwer an. Dieses Bett war definitiv nicht mit dem in Osmos Gästezimmer zu vergleichen, in dem ich in den letzten Wochen geschlafen hatte, wie auf einer kuschelig weichen Wolke.

Als ich blinzelnd meine Augen öffnete, blickten Samus blaue Augen auf mich hinab und mein Herz setzte für einige Schläge aus.
Heilige Scheiße.
Wenn ich nicht so verschlafen und noch nahezu bewegungsunfähig gewesen wäre, wäre ich wahrscheinlich vor Schreck aufgesprungen und aus dem Bett gefallen.
Samu saß auf der Kante des Betts, in dem ich lag, hatte sich mir zugewandt und betrachtete mich mitfühlend.
Bei Tageslicht kamen die Kratzer und Abschürfungen auf seinem Gesicht noch viel deutlicher zum Vorschein.

"Gut geschlafen?", fragte er sanft. "Hmm. Ich denke schon.", murmelte ich und zog die Decke wieder über meinen Oberkörper.
Obwohl ich die gleichen Klamotten trug, mit denen ich mitten in der Nacht überstürzt die Wohnung verlassen hatte, fühlte ich mich irgendwie entblößt.
Mein Körper verspannte sich, wenn Samu so nah bei mir war.
Am liebsten wäre ich auf der Stelle aufgesprungen, um wieder etwas Distanz zwischen uns zu bringen, doch ich wollte mich nicht wie eine Idiotin benehmen, nachdem er mir sogar sein Bett überlassen hatte.
Unser persönliches Problem miteinander war hier völlig fehl am Platz...

Forever Yours / Samu & TaleaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt