Kapitel 74

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Talea's Sicht

Samu legte seinen Arm um meine Schultern, als wir schweigend auf den Ausgang zusteuerten.
Dass er nach allem was passiert war mal derjenige sein würde, der sich am meisten um mich sorgte, wäre mir niemals in den Sinn gekommen.
"Alles wird gut.", sagte er leise und lächelte liebevoll auf mich hinab.

Wir fuhren zurück zu seiner Wohnung und schwiegen fast die komplette Fahrt über. Doch die Stille war nicht unangenehm.
Mit Samu war das alles irgendwie anders.
In Gedanken ging ich immer wieder durch, was die Ärztin über Osmos Gesundheitszustand und über den Prozess der Genesung gesagt hatte.
Wir mussten Geduld haben und er musste es langsam angehen lassen. Geduldig zu sein gehörte definitiv nicht zu meinen Stärken, doch ich war fest entschlossen, das zu schaffen und nicht verrückt zu werden.
Gemeinsam mit Samu.
"Ich gehe erstmal kurz nach Hause. Also in Osmos Wohnung. Du weißt schon, was ich meine.", stotterte ich nervös, nachdem wir aus dem Auto gestiegen waren und uns jetzt gegenüberstanden.
"Was hast du vor?", fragte Samu und machte noch einen Schritt auf mich zu. Er schien nicht besonders erfreut darüber zu sein.
"Ich muss ein paar Dinge erledigen. Und ich brauche neue Klamotten.", entgegnete ich und versuchte seinem eindringlichen Blick standzuhalten. Seine Augen waren so blau, dass sie mich fast schon allein wegen ihrer Farbe einschüchterten.
"Sehen wir uns nachher wieder?", fragte er und strich mir eine verirrte Strähne aus dem Gesicht.
Ich versuchte es mir nicht anmerken zu lassen, doch ich war unglaublich erleichtert und mein Herz machte vor Freude einen Sprung als ich hörte, dass er mich so schnell wie möglich wiedersehen wollte.
"Wenn du willst.", antwortete ich und konnte mir mein seliges Lächeln dabei einfach nicht verkneifen.
Liebeskranke Vollidiotin.
"Und ob ich das will.", raunte Samu und küsste sanft meine Stirn.
Die Berührung seiner Lippen war federleicht, doch sie versetzte mein Inneres sofort in helle Aufregung.
Mein Herz klopfte wie wild und ein aufgeregtes Kribbeln schlich sich durch meinen ganzen Körper.
Ich war wie Wachs in seinen Händen und ich konnte einfach nichts dagegen unternehmen.
"Okay.", flüsterte ich und erwiderte sein Lächeln, doch noch bevor ich mich zum Gehen abwenden konnte, ergriff er meine Hände und hielt mich sanft fest. "Ich hole dich ab. Um 18 Uhr?", schlug er vor und legte den Kopf schief.
"Um 18 Uhr.", wiederholte ich seine Worte leise und nickte zustimmend.
Obwohl wir zuletzt, im wahrsten Sinne des Wortes, Tag und Nacht beieinander gewesen waren, freute ich mich wie ein kleines Kind darüber.
"Dann bis später!"
Ich löste mich langsam aus seinem Griff und lief dann die Straße entlang, um zu Osmos Wohnung zu gelangen.

Als ich sie betrat wurde ich wieder daran erinnert, was passiert war.
Die Wohnung war leer und totenstill, denn mein geliebter Halbbruder lag noch immer im Krankenhaus.
'Nicht mehr lange.', sagte ich in Gedanken zu mir selbst, um das beklemmende Gefühl zu vertreiben, dass mich beschlichen hatte, als ich durch diese Tür gekommen war, und das seitdem auf meinen Schultern lastete wie ein schwerer Fels.
Doch nachdem ich ein entspannendes Bad genommen und mein selbsternanntes Beauty-Ritual vollzogen hatte, sah die Welt schon anders aus.
In meiner grauen Lieblingsjogginghose und einem lockeren T-Shirt machte ich es mir auf dem Sofa bequem, um meine beste Freundin anzurufen.
Ich hatte sie bereits per WhatsApp vorgewarnt und angekündigt, dass ich mich im Laufe des Tages bei ihr melden würde, denn ich wusste, dass sie ständig unterwegs und immer im Stress war.
"Taleeeaaa", begrüßte sie mich überschwänglich und so laut, dass mir vor Schreck fast das Handy aus der Hand fiel.
Anna ist ein extrem fröhlicher und lebensfroher Mensch und genau das strahlte sie auch zu jeder Zeit aus. Selbst beim Telefonieren.
"Wie geht's dir? Wie läuft es bei dir in Finnland? Ich hab gehört, was mit Osmo passiert ist. Das war bestimmt schrecklich. Wie geht's ihm denn?"
Sie plapperte wie ein Wasserfall drauf los und ließ mich gar nicht zu Wort kommen.
Da wir uns aber seit fast vier Wochen nicht mehr als ein paar kurze Nachrichten geschickt hatten, konnte ich ihr das nicht wirklich verübeln. "Mir geht es ganz gut, aber die letzten Tage haben mich ziemlich fertig gemacht.", antwortete ich und seufzte hörbar.
"Und was ist mit Osmo? Wie geht es ihm?"
"Den Umständen entsprechend. Er muss noch eine Weile im Krankenhaus bleiben, aber die Ärzte sagen, dass alles wieder gut wird."
"Zum Glück.", stieß sie erleichtert hervor.
Da Anna und ich fast wie Geschwister aufgewachsen waren, stand auch sie meinem Halbbruder sehr nah.
"Aber was machst du dann jetzt, wenn du den ganzen Tag alleine bist? So hattest du dir deine Zeit in Finnland doch sicher nicht vorgestellt."
Oh nein. Ganz und gar nicht.

"Ich bin ja nicht alleine.", antwortete ich geistesabwesend und bereute diesen Satz wenige Sekunden später auch schon.
Verdammt.
Mir war klar, dass ich ihr jetzt alles erzählen musste. Wirklich alles.

Forever Yours / Samu & TaleaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt