Kapitel 64

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Samu's Sicht

Zielstrebig lief ich durch das Krankenhaus, um zu Osmo zu gelangen. Es war mir wichtig, ihm in dieser schweren Zeit beizustehen und ihm zu zeigen, dass ich für ihn da war, dass er das nicht alleine durchstehen musste. Die Schwestern, die den Gang entlang liefen, nickten mir freundlich zu.
Noch immer fühlte es sich irgendwie befremdlich an, in diesem Krankenhaus zu sein, in dem mein bester Freund nach unserem Unfall tagelang im Koma gelegen hatte.
Beim Gedanken an die Ungewissheit, die ich gespürt hatte, lief mir auch jetzt noch ein kalter Schauer über den Rücken.

Als ich die Tür zu Osmos Zimmer öffnete, war ich etwas überrascht, als ich Talea an seinem Bett sitzen sah.
Die beiden bemerkten mich und schauten in meine Richtung.
Während Osmo müde lächelte, machte sich Ernüchterung auf Taleas Gesicht breit. Sie straffte die Schultern und wandte sich wieder ihrem Bruder zu.
"Hey Samu. Setz dich doch.", sagte Osmo und deutete auf den freien Stuhl, der am Tisch stand.
Ich zog ihn neben das Bett und ließ mich darauf sinken. Talea, die nur knapp einen Meter von mir entfernt saß, beachtete mich gar nicht.
Sie behandelte mich wie Luft und versetzte mir damit erneut einen schmerzhaften Stich.
Das ließ ich mir jedoch nicht anmerken.
Ich wollte später unter vier Augen mit ihr reden. Nicht hier, wo jeder mitbekam, was los war.
Besonders Osmo wäre mit Sicherheit nicht begeistert davon und in seinem aktuellen Zustand wollte ich ihm sowas ohnehin keinesfalls zumuten.
Doch deswegen war ich nicht hier.

"Wie geht's dir?", fragte ich an ihn gewandt und musterte ihn prüfend.
Er sah noch immer ziemlich mitgenommen aus, doch er war endlich wach. Das war das wichtigste.
Auch mich hatte es nicht kalt gelassen, ihn so zu sehen.
Obwohl das künstliche Koma nur eine Vorsichtsmaßnahme gewesen war, hatten sich die Bilder doch in mein Gedächtnis gebrannt.
"Mir geht's gut. In ein paar Tagen bin ich den Kram hier endlich los.", murmelte er und machte eine abfällige Handbewegung in Richtung der Geräte, die sich neben seinem Bett befanden, seine Vitalfunktionen überprüften und ihn über einen dünnen Schlauch mit Sauerstoff versorgten.

In den zwei Stunden, die ich bei Osmo im Krankenhaus verbrachte, wechselte Talea kein einziges Wort mit mir.
Sie behandelte mich wie Luft, so als wäre ich gar nicht da.
Doch anhand ihrer Körpersprache merkte ich ihr an, dass es ihr schwer fiel, sich nicht zu mir umzudrehen, wenn ich mit Osmo sprach.
Sie war angespannt und fummelte ständig mit einer Hand an ihren Haaren herum, die sie heute offen trug. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass sie nervös war.
Warum zur Hölle ignorierte sie mich, wenn ihr das so schwer fiel.
Ich wurde einfach nicht schlau aus ihrem Verhalten.
In einem Moment schlief sie noch eng an mich gekuschelt in meinen Armen ein und im nächsten Moment tat sie so, als würde sie mich gar nicht kennen. Das machte mich fast wahnsinnig.

Gegen 15 Uhr verabschiedete sie sich schließlich von Osmo.
Nach allem was er durchgemacht hatte, war er noch immer ziemlich erschöpft und brauchte viel Ruhe. Nichtsdestotrotz versprach sie ihm, am nächsten Tag wieder vorbei zu kommen.
Die beiden hingen sehr aneinander. Schon damals hatte er mir oft erzählt, dass seine Schwester einer der wichtigsten Menschen in seinem Leben war.
Damals, als ich noch nicht geahnt hatte, was für eine Rolle die Schwester meines besten Freundes auch einmal in meinem Leben spielen würde.

Nachdem Talea ihm einen Kuss auf die Stirn gedrückt hatte und ein paar Schritte zurückgetreten war, erhob auch ich mich, schob den Stuhl beiseite und verabschiedete mich von Osmo.
"Kümmer dich gut um sie. Nicht, dass sie abreist, bevor ich hier rauskomme.", sagte er und lächelte müde.
Im Moment befürchtete ich eher, dass ich der Grund dafür sein könnte, dass Talea vorzeitig nach Deutschland zurückkehren wollte.
Das durfte auf keinen Fall passieren. "Mache ich.", erwiderte ich knapp und verließ dann hinter ihr das Zimmer.

Ich würde mich liebend gerne um sie kümmern, doch anscheinend wollte sie das nicht länger zulassen.
Sie distanzierte sich von mir.
Auch jetzt, wo wir nebeneinander durch die langen Gänge des riesigen Krankenhauses liefen, die auf beängstigende Weise still waren und den typischen sterilen Krankenhausgeruch verbreiteten, wechselte sie kein Wort mit mir.
Als sie dann, nachdem wir das Gebäude verlassen hatten, nicht den gleichen Weg einschlug wie ich, nämlich den, der zum Parkplatz führte, konnte ich ihr Verhalten nicht länger hinnehmen. Ich machte kehrt und folgte ihr mit schnellen Schritten.

Forever Yours / Samu & TaleaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt