Kapitel 99

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Talea's Sicht 

Osmo eilte zu mir und schloss mich in seine Arme. Er zog meinen Kopf an seine Brust und streichelte beruhigend über meinen Rücken.
"Was ist hier eigentlich los?", flüsterte er und ich spürte, dass er zu Samu hinüber blickte.
Verdammt.
Jetzt war alles aufgeflogen.
Osmo wusste worum es ging und früher oder später würde er jedes Detail aus mir herauskitzeln.
"Wir haben uns ineinander verliebt.", antwortete Samu mit heiserer Stimme. "Es ist einfach so passiert. Ich wusste, dass du nicht begeistert sein würdest, aber gegen Gefühle kann man eben nichts machen."
Er klang genauso niedergeschlagen, wie ich mich im Moment fühlte.
Er hatte mir seine Liebe gestanden und es war ihm dabei vollkommen egal gewesen, dass Osmo alles mit angehört hatte. Er schien es also wirklich ernst zu meinen.

Ich spürte deutlich, wie Osmos Körper sich anspannte, während er langsam und kontrolliert ein- und ausatmete. "Ich glaube es ist besser, wenn du jetzt gehst. Sie braucht erstmal ein bisschen Zeit.", sagte er leise und nickte entschlossen.
"Okay.", gab Samu resigniert zurück. Dann verschwand er einfach und wir waren wieder alleine. Osmo und ich und die Millionen Fragezeichen, die diese Situation hinterlassen hatte.

Um wieder einen halbwegs klaren Gedanken fassen zu können stieg ich als erstes unter die Dusche.
Ich wollte das alles von mir abwaschen. Den Schweiß, die Tränen, die Ungewissheit.
Es war einfach zu viel.
Das heiße Wasser, dass über meinen Körper strömte, half mir dabei mich ein wenig zu entspannen, doch es half nicht dabei meinen Kopf auszuschalten, oder die unzähligen Gedanken darin zu sortieren. 

Nachdem ich mich fertig geduscht und angezogen hatte, ließ ich mich wortlos neben Osmo aufs Sofa sinken. Er hatte den Fernseher eingeschaltet, doch er wandte seinen besorgten Blick nicht mehr von mir ab, seit ich neben ihm saß. Ich wusste, was gleich folgen würde.
"Erzählst du mir, was passiert ist?"

Ich seufzte hörbar. Natürlich wusste ich, dass er es nicht böse meinte. Ganz im Gegenteil.
"Du musst nicht, wenn du nicht willst. Ich dachte nur, du willst vielleicht drüber reden."
"Ja, du hast ja recht."
Ich schnappte mir die kuschelige Decke und wickelte mich darin ein, bevor ich zum ersten Mal nach dieser Aktion den Mut hatte, meinem Bruder in die Augen zu schauen.
"Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll.", murmelte ich und vergrub mein Gesicht in meinen Händen.

"Wann hat das angefangen?", fragte er. "Vor 10 Jahren."
Heilige Scheiße. Wäre die Situation nicht so dermaßen unangenehm und emotional aufwühlend, hätte ich in diesem Moment wahrscheinlich über Osmos verdutztes Gesicht gelacht.
"Vor 10 Jahren? Wieso? Ich meine, woher kanntet ihr euch?"
"Wir haben uns bei einem Konzert in Köln kennengelernt."
"Habt ihr...? Ihr habt doch damals nicht... Oder?"
"Ja."
"Verdammt. Dieser Mistkerl."
Osmo war aufgebracht und ballte die Hände zu Fäusten.
"Hör auf damit. Samu trifft keine Schuld. Ich war alt genug um das selbst zu entscheiden.", entgegnete ich.
"Trotzdem. Du bist meine Schwester." "Woher sollte ich wissen, dass ihr irgendwann mal zusammen in einer Band spielt? Ich kannte Sunrise Avenue doch nicht mal."

"Was ist dann passiert?", hakte er weiter nach.
"Letztes Jahr bei eurem Konzert in Köln sind wir uns dann wieder begegnet." "Heilige Scheiße. Ich stand daneben und hab die ganze Zeit nichts von all dem mitbekommen."
Osmo war vollkommen fassungslos und schüttelte ununterbrochen den Kopf. "Ich dachte, er würde mich nicht mehr erkennen.", erklärte ich.
"Aber das hat er, oder?"
"Ja, das hat er."
"Und dann seid ihr wieder im Bett gelandet?"
"Ja.", gab ich beschämt zu.
"Verdammt. Wieso hab ich nichts gemerkt? Wieso hast du nicht mit mir darüber geredet?"
"Weil du mein Bruder bist und er dein Freund."
"Jetzt macht das alles auch Sinn.", sagte er plötzlich gedankenverloren.
"Was meinst du?"
"Samu hat oft von einer Frau geredet, die ihm in jungen Jahren den Kopf verdreht hat, aber er hat sie danach nie wiedergesehen."
"Ich glaube nicht, dass er damit mich gemeint hat."
Immerhin hatte es sicher Hunderte Frauen in seinem Leben gegeben.

"Was ist danach passiert?"
"Er wollte meine Nummer haben, aber er hat sich nicht bei mir gemeldet. Bis wir uns dann auf Rikus Party wieder über den Weg gelaufen sind. Er und diese Vivi... Erst an dem Tag habe ich erfahren, dass es die ganze Zeit über eine Frau an seiner Seite gab."
"Er hat sie betrogen."
Osmo seufzte und schloss angespannt die Augen.
"Mit mir.", stellte ich resigniert fest.
"Habt ihr euch gestritten?"
"Ja. Ich hab ihm eine Ohrfeige verpasst und ihm gesagt, dass ich ihn nie wiedersehen will."
"Aber das war nicht das, was du wirklich wolltest, oder?", fragte er und legte seinen Arm um mich.
"Ich hatte Gefühle für ihn. Schon damals. Aber spätestens dann wusste ich ja, wie er mit Frauen umging und was er von Beziehungen hielt."
"Bei den beiden lief es schon seit einer halben Ewigkeit ziemlich beschissen. Aber Samu hat lange gebraucht, um dann endgültig den Schlussstrich zu ziehen."
"Aber das ist keine Entschuldigung dafür, oder?"
"Nein, das ist es sicher nicht. Aber du hast ihm anscheinend irgendwann verziehen.", sagte Osmo und sah mich nachdenklich an.
"Ja, das habe ich."
Ich musste unwillkürlich an den Unfall der beiden denken und mir wurde auf der Stelle übel.
"Warum?"
Ich atmete tief ein und aus bevor ich zu reden begann.
"Er hat mich angerufen, kurz nachdem ihr diesen Unfall hattet. Ich hab mich sofort auf den Weg ins Krankenhaus gemacht, weil ich für dich da sein wollte. Samu war auch da. Ich hatte tierische Angst um dich, aber er war da. Er hat mich in den Arm genommen, hat mich getröstet und war Tag und Nacht einfach für mich da."
"Ich bin echt sprachlos.", brachte er kopfschüttelnd hervor.
"Es tut mir leid.", flüsterte ich.
"Hör auf dich zu entschuldigen. Erzähl mir lieber, warum ihr euch so heftig gestritten habt."
Okay, das war definitiv der unangenehmste Teil an der ganzen Geschichte.
"Ich wollte gestern Nachmittag bei ihm vorbeischauen. Als er mir dann die Tür aufgemacht hat, stand Vivi neben ihm. Alles sah so aus, als wäre da noch immer etwas zwischen den beiden. Und den Rest hast du ja selbst mitbekommen..."
Ich seufzte und zog mir die Decke über den Kopf, sodass mich die schützende Dunkelheit umgab.
Sie schützte mich jedoch nicht vor der Wahrheit.
"Glaubst du ihm?", fragte Osmo.
"Was meinst du?"
"Glaubst du Samu, dass da nichts mehr zwischen Vivi und ihm ist? Glaubst du ihm, dass er Gefühle für dich hat?"
"Ich weiß es nicht."
Meine Stimme war nur noch ein erbärmliches Flüstern.
"Hmm."
Osmo wirkte nachdenklich.
"Warum muss alles so kompliziert sein?", fragte ich kopfschüttelnd.
"Nimm dir einfach die Zeit, die du brauchst. Lass es langsam angehen und hör auf dein Bauchgefühl. Und vergiss auf keinen Fall, dass ich jederzeit für dich da bin."
Wir beide sagten nichts mehr. Osmo zog mich nur noch in seine Arme und hielt mich fest, bis mein Gedankenkarussel aufgehört hatte sich zu drehen.

Forever Yours / Samu & TaleaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt