Kapitel 56

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Talea's Sicht

"Melde dich, wenn irgendwas ist. Du kannst mich jederzeit anrufen.", sagte Samu und lächelte gequält.
Fühlte er genauso wie ich?
Wohl kaum.
Immerhin hatte er ja seine perfekte blonde Freundin, die zu Hause auf ihn wartete.
"Okay. Bis dann.", murmelte ich und wandte mich von ihm ab.
"Bis bald, Talea."
Ohne mich nochmal umzudrehen steuerte ich geradewegs auf die Eingangstür zu.
In der Wohnung angekommen ließ ich meinen Rucksack, mit den wenigen Sachen, die ich bei mir hatte, auf den Boden sinken und fiel erschöpft auf die riesige Couch im Wohnzimmer.
Die letzten Tage hatten mich ausgelaugt. Sowohl körperlich, als auch emotional.
Mein Halbbruder hatte zwar das schlimmste überstanden und war auf dem Wege der Besserung, doch es gab trotzdem etwas, das mich mehr beschäftigte, als es eigentlich sollte und ständig durch meinen schmerzenden Kopf geisterte: Samu.
Ihm wieder so nah zu kommen, hatte all die Gefühle und Erinnerungen von damals wieder aufgewühlt und sie zu neuem Leben erweckt.
Er war ein Mann von der Sorte, die man einfach nicht vergessen konnte.
Verdammt.

Nachdem ich mich endlich wieder aufgerafft hatte, stieg ich unter die Dusche.
Das warme Wasser, das auf meinen Körper prasselte, entspannte mich augenblicklich und half mir dabei, mich zumindest ein wenig besser zu fühlen.
Frisch geduscht und in meiner bequemen Lieblingsjogginghose machte ich es mir wieder auf dem Sofa gemütlich.
Ich schaltete den Fernseher ein und checkte meine Nachrichten auf WhatsApp und die neuesten Beiträge meiner Freunde auf Instagram, während im Hintergrund irgendeine finnische Nachrichtensendung lief.
Die Zeit zog wie im Flug an mir vorbei. Erst das laute Knurren meines hungrigen Magens holte mich zurück ins Hier und Jetzt.
Draußen dämmerte es bereits und mein Handy zeigte an, dass es fast 20 Uhr war.
Ich brauchte dringend etwas zu Essen. Zum ersten Mal seit drei Tagen hatte ich wieder richtigen Hunger.
Gerade als ich die App des Lieferdienstes öffnen wollte, bei dem Osmo und ich in den vergangenen Wochen schon häufiger bestellt hatten, bekam ich einen Anruf.
Samu.
Wie gebannt starrte ich auf das Display. Ich hatte seine Nummer eingespeichert, nachdem er mich am Abend des Unfalls angerufen hatte.

"Hey.", murmelte ich, nachdem ich den Anruf entgegengenommen hatte.
"Hey. Alles okay bei dir?"
Der Klang seiner tiefen Stimme sorgte dafür, dass ich augenblicklich eine Gänsehaut bekam.
Verdammt.
Warum hatte er so eine intensive Wirkung auf mich?
"Ja. Ja, ich denke schon.", entgegnete ich und versuchte gefasst zu wirken, während meine Gedanken verrückt spielten.
Nichts ist okay, solange ich alleine bin. Ich will wieder bei dir sein.
Ich will, dass du mich wieder in den Arm nimmst und mich alles andere für einen Moment vergessen lässt.

Das was in mir vorging, behielt ich jedoch für mich.
Das war vorbei.
Seit wir das Krankenhaus verlassen hatten, waren wir nur noch zwei Menschen, die nichts weiter miteinander teilten, als einen wichtigen Menschen.
Osmo.
Mein Halbbruder, sein bester Freund. Das dachte ich zumindest.

"Du klingst irgendwie niedergeschlagen."
Fuck.
Er hatte einfach ein viel zu gutes Gespür dafür, wie ich mich wirklich fühlte. Ich konnte ihm nichts vormachen.
Einen Moment lang haderte ich mit mir, doch schließlich gab ich zu, dass mich etwas bedrückte.
"Ich hasse es, alleine zu sein. Ich bin hier in dieser riesigen Wohnung, aber Osmo ist nicht da. Diese Stille macht mich wahnsinnig."
Jetzt wusste er, wie ich mich wirklich fühlte.
Seine Antwort auf mein ungewohnt ehrliches Geständnis überraschte mich jedoch.
"Geht mir genauso.", murmelte er und atmete hörbar aus.
Wie bitte? Das konnte nicht sein Ernst sein.
"Du bist nicht alleine.", sprach ich meinen Gedanken laut aus und bereute sogleich meinen anklagenden Tonfall. Das ging mich überhaupt nichts an. "Doch, das bin ich.", entgegnete er leise aber bestimmt.
Während ich noch über seine Antwort nachdachte, sprach er weiter:
"Ich habe mich von Vivianne getrennt, falls du das meinst. Sie ist vor vier Wochen ausgezogen."
Er klang ruhig und gefasst und erweckte nicht den Eindruck, als würde er sehr unter der Trennung leiden.
"Oh, das wusste ich nicht. Tut mir leid.", stotterte ich entschuldigend.
Ich war mal wieder voll ins Fettnäpfchen getreten und hatte damit vermutlich einen wunden Punkt bei ihm getroffen.
Auch wenn er sich das in diesem Moment nicht anmerken ließ.

"Ich vermisse dich, Talea."
Diese Worte, die plötzlich und ohne Vorwarnung aus ihm herausplatzten, trafen mich vollkommen unerwartet. Ich schluckte ein paar Mal schwer, bevor ich überhaupt zu einer Antwort ansetzen konnte.
"Warum sagst du sowas, Samu?"
Meine Stimme war nur ein verunsichertes Flüstern und mein Herz klopfte wie wild.
Selbst meine Hand, in der ich das Handy hielt, zitterte vor Nervosität.
Das konnte er nicht ernst meinen.
Er konnte mich nicht vermissen.
Ich bin ein Niemand.
Eine Frau, die keinerlei Bedeutung für ihn hat.

Es herrschte Stille in der Leitung, bis Samu auf meine Frage, die eher rhetorischer Natur war, antwortete. "Weil es die Wahrheit ist."
"Du kannst gerne zu mir kommen, wenn du nicht alleine sein willst. Ich meine, ich würde mich wirklich freuen."
So verunsichert hatte er noch nie geklungen.
Er machte immer einen absolut selbstsicheren und so entschlossenen Eindruck.
Vor allem wenn es um Frauen ging.

"Okay.", entgegnete ich leise und nickte, obwohl ich natürlich wusste, dass er das nicht sehen konnte.
"Ich hole dich ab. Bis gleich."
Dann legte er auf und ich war noch mehr durch den Wind, als vor diesem Telefonat.
Hatte ich mich wirklich darauf eingelassen, mit zu ihm zu gehen?
Fuck.
Bereits jetzt ahnte ich, dass ich damit womöglich einen riesigen Fehler gemacht hatte.
Zu viel Nähe würde früher oder später dafür sorgen, dass ich Gefühle für ihn entwickelte.
Gefühle, die über etwas lockeres und freundschaftliches hinausgingen.
Und für soetwas war Samu definitiv nicht der richtige.

Forever Yours / Samu & TaleaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt