Kapitel 96

114 4 0
                                    

Talea's Sicht

Nachdem ich den Wohnungsschlüssel aus meiner Jackentasche gekramt hatte, wischte ich mir noch ein letztes Mal mit dem Ärmel meiner Jacke übers Gesicht um die Überreste meiner verlaufenen Wimperntusche zu entfernen.
Ich sah bestimmt schrecklich aus. Zumindest fühlte ich mich so.

Ich schloss die Augen und betete stumm, dass Osmo mir nichts anmerken würde, als ich den Schlüssel im Schloss umdrehte.
Einatmen, ausatmen.
Doch schon als die Tür einen Spalt breit geöffnet war, konnte ich erleichtert aufatmen. Er schien nicht Zuhause zu sein.
Es war stockdunkel und ganz still in der Wohnung, die jedoch angenehm warm und somit eine Wohltat für meinen ausgekühlten Körper war.
Womöglich waren die beiden losgezogen um etwas essen zu gehen. Das war gut. Sehr gut.
Ich wollte jetzt einfach nur alleine sein. Ich wollte meine Ruhe haben, den Kopf ausschalten und versuchen zu vergessen, was vor ein paar Stunden vorgefallen war.
Doch ich ahnte, dass das schwierig werden würde.

Ich streifte nur meine Sachen ab, schlüpfte in mein übergroßes Schlafshirt und verkroch mich dann in meinem Bett.
Der Tag war anders verlaufen als geplant. Ganz anders.
Doch vielleicht war das auch gut so und diese Aktion hatte mir endlich die Augen geöffnet.
Es tat weh.
Ja, es war die Hölle, doch vielleicht war es ein Wink des Schicksals, dass es zu Ende war, bevor die Sache mit Samu und mir einen Namen bekommen hatte.
Bevor wir allen davon erzählt hätten und sie an unserer Beziehung teilhaben ließen.

Als ich zum ersten Mal seit einigen Stunden wieder auf mein Handy schaute traf mich fast der Schlag.
17 verpasste Anrufe. Alle von Samu.
9 neue WhatsApp-Nachrichten. Alle, bis auf eine, ebenfalls von Samu.
In der anderen hatte Osmo mir vor knapp einer Stunde mitgeteilt, dass er und sein Kumpel sich noch mit anderen Freunden zum Essen verabredet hatten.
Immerhin etwas, das mich beruhigte. So musste ich mich immerhin nicht verstecken und ihm nicht erklären, warum ich so dermaßen niedergeschlagen war.
Die unzähligen Anrufe und Nachrichten von Samu bewirkten jedoch eher das Gegenteil.
Es tat weh, verdammt weh.
Warum konnte er es nicht einfach auf sich beruhen lassen? Warum musste er auch jetzt noch so hartnäckig sein, wenn allem Anschein nach nicht ich die Frau war, die in seinem Leben eine zentrale Rolle spielte?

Noch unzählige Male, während ich irgendeine finnische Unterhaltungsshow im Fernsehen anschaute, dachte ich darüber nach, ob ich mich nicht doch bei Samu zurückmelden sollte um mir anzuhören was er zu sagen hatte.
Vielleicht war es ja wirklich ganz anders, als es auf den ersten Blick gewirkt hatte.
Vielleicht gab es für alles eine ganz simple Erklärung.
Nein, nein, nein.
Ich durfte mich nicht ständig von meinen naiven Gefühlen für Samu leiten lassen.
Er richtete nichts als Chaos in meinem Kopf und in meinem Leben an. Das musste endlich aufhören.

Der nächste Morgen fühlte sich zuerst an wie jeder andere auch, aber als ich dann langsam die Augen aufschlug und mich an den vorherigen Abend erinnerte, war die Normalität, die ich für einen kurzen Moment gefühlt hatte, schlagartig wieder vorbei.
Wie ein heftiger Regenschauer prasselte alles auf mich ein.
Samu. Vivi. Die Blicke, die sie ihm zugeworfen hatte. Samus unzählige Anrufe und seine verzweifelten Nachrichten, die auf meinem Handy eingegangen waren.
Verdammt.
Ich wollte die Augen wieder schließen, mir die Bettdecke über den Kopf ziehen und alles vergessen, oder besser noch, es ungeschehen machen.
Aber das war natürlich nicht möglich. Es war die harte Realität und ich konnte mich nicht länger davor verstecken, denn das würde nichts ändern.

Osmo empfing mich mit einem fröhlichen "Guten Morgen.", als ich die Küche betrat, in der es herrlich nach Kaffee und frischen Brötchen duftete. "Guten Morgen.", gab ich zurück und zwang mich zu einem Lächeln.
Dann setzte ich mich ebenfalls an den Tisch, schnappte mir meine Tasse, die Osmo bereits gefüllt hatte und nahm einen großen Schluck daraus, bevor ich ihm endlich in die Augen sehen konnte.

"Wie war dein Abend?"
Ein ganz unverfängliches Gespräch zu beginnen war vermutlich der beste Weg um von mir selbst abzulenken. "Sehr cool. Wir waren bei diesem Italiener am Allas Sea Pool, von dem ich dir mal erzählt habe und sind dann in einer Bar in der Nähe noch was trinken gegangen.
"Klingt gut."
"Du hättest uns gerne begleiten können. Die Jungs hätten sich sicher gefreut, dich kennenzulernen."
"Beim nächsten Mal.", entgegnete ich und zwinkerte ihm zu.

Der Italiener am Allas Sea Pool...
Das Restaurant in dem ich vor ein paar Tagen noch mit Samu gewesen war.
Die Erinnerungen an diesen unglaublich romantischen Abend riefen plötzlich ein flaues Gefühl in meinem Bauch hervor und mir war augenblicklich der Appetit vergangen. Wir saßen noch eine Weile am Frühstückstisch, aber Osmo stellte mir zum Glück keine einzige unangenehme Frage.
Als er sich dann gegen 11 Uhr verabschiedete, um zu seinem Termin bei der Physiotherapie zu gehen, atmete ich erleichtert auf.
Nun hatte ich zumindest ein bisschen Zeit für mich, in der ich nicht so tun musste, als wäre alles in Ordnung. Denn das war es ganz und gar nicht.

Betrübt ließ ich mich auf dem Sofa nieder, breitete die kuschelige Decke über mir aus und schaltete den Fernseher ein.
Allerdings bekam ich davon nur wenig mit. Meine blöden Gedanken kreisten die ganze Zeit nur um eine Sache.
Um ihn.
Samu.
Ich konnte nicht aufhören zu grübeln und der Drang ihn anzurufen oder auf eine seiner unzähligen Nachrichten zu antworten wurde immer größer.
Nein, nein, nein.
Das war der falsche Weg.
Um auf andere Gedanken zu kommen schlüpfte ich wenig später in meine schwarze Sportleggins, einen grauen Sport-BH und ein dazu passendes T-Shirt und verließ kurz darauf nur mit meinem Schlüssel, meinem Handy und den Air Pods bewaffnet das Haus.
Ich wählte meine Sport-Playlist aus, die nur äußerst selten zum Einsatz kam, weil ich so gut wie nie Sport machte, und lief dann los in Richtung Park.

Natürlich wusste ich, wie es um meine körperliche Fitness bestellt war und, dass ich nicht sonderlich lange durchhalten würde, doch das war mir in diesem Moment egal.
Ich musste einfach mal raus und irgendwas tun, um auf andere Gedanken zu kommen.
Das funktionierte diesmal sogar erstaunlich gut.
Nach etwa 30 Minuten hatte ich mich körperlich so verausgabt, dass ich mich kaum noch an den Namen des Kerls erinnern konnte, der der Grund für all das war. 

Forever Yours / Samu & TaleaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt