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Sie hatten die Befragung abbrechen müssen. Emily war in einer erneuten Panikattacke gefangen, die in ihrem Gesundheitszustand bedenklich war.

Julia hatte sich auf eine Parkbank draußen zurückgezogen, um durchatmen zu können und ein wenig zur Ruhe zu kommen. Sie machte sich schwere Vorwürfe, dass sie selbst die Panikattacke verschuldet hatte. Wie hatte sie nur so dumm sein können, das Wort Vater in den Mund zu nehmen? Wieder und wieder schalt sie sich dafür! Doch sie konnte es nicht mehr ändern. Was passiert war, war passiert. Nun sollte sie sich stattdessen darauf konzentrieren, wie es weitergehen konnte und was sie heute alles Neues erfahren hatte.

Eine Sache war dabei ganz offensichtlich: Emily erinnerte sich nicht an ihre Eltern. Ihre Eltern waren für sie zwei fremde Menschen auf einem Foto, auf dem sie nichts weiter erkannte als ihre Puppe.

Ihre Puppe Lilly – die imaginäre Freundin.

Auch darüber schienen sie nun Klarheit zu haben, so ungläubig Julia zunächst auch gewesen war. Emilys imaginäre Freundin schien die Puppe zu sein, die sie auf dem Foto in den Händen hielt. Vermutlich hatte diese für die kleine, dreijährige Emily eine große Bedeutung gehabt, weshalb sie sich in ihrer Einsamkeit nach der Entführung ihre geliebte Lilly als Spielpartnerin herbeigesehnt hatte. So sehr, dass sie sich schließlich eingebildet hatte, sie sehen zu können – und das bis heute tat.

Die Vorstellung, dass die vierzehnjährige Emily noch immer mit einer imaginären Puppe sprach, war verrückt! Sah sie Lilly in der Größe, in der sie sie in Erinnerung hatte? Oder tauchte die Puppe für Emily in Lebensgröße auf? Die Vorstellung war faszinierend – und zugleich unendlich traurig. Eine Puppe war die einzige Gesellschaft gewesen, die Emily in elf Jahren Gefangenschaft gehabt hatte. Eine Puppe, die nicht einmal real war! Eine vage Erinnerung an ein anderes Leben, ein glückliches Leben, das gerade einmal dreieinhalb Jahre gedauert hatte. Und darüber hinaus die einzige Erinnerung, die das Mädchen an diese Zeit zu haben schien.

„Was hat man dir in diesen vielen Jahren nur angetan ...", sprach Julia wie so oft mit sich selbst.

Sie hatte sich lange mit Dr. Frank über alles unterhalten. Sowohl das, was sie unbeabsichtigt belauscht hatte, als auch das, was bei der Befragung vorgefallen war. Alle wichtigen Infos hatte sie selbstverständlich auch an Maike weitergeleitet. Zum Beispiel, dass Jens Wagner nichts weiter als ein Fahrer gewesen war. Dass Emily noch nie zuvor mit ihm zu tun gehabt hatte. Und dass Emily ihren Entführer Vater nannte, es aber nicht ihr biologischer Vater zu sein schien. Der wahre Täter war noch irgendwo dort draußen – und womöglich schon auf der Suche nach seinem nächsten Opfer. Er musste unbedingt aufgehalten werden!

„Und das werde ich tun, Emily. Ich werde es tun, sodass du ein sicheres Leben führen kannst."

Ein sicheres Leben, ja. Aber würde es jemals normal werden? Wieder dachte Julia an das Gespräch mit Dr. Frank zurück. Die Psychologin war sehr besorgt über die Tatsache gewesen, dass der Entführer sich Emily gegenüber als ihr Vater ausgegeben hatte. Was würde das für die Beziehung mit Emilys echtem Vater bedeuten? Inwiefern würde es die Beziehung beeinflussen?

Es schien zumindest wichtig zu sein, dass man Peter Neumann Emily gegenüber nie als Vater bezeichnete, sondern stets als Papa. Niemals sollte irgendjemand Julias Fehler wiederholen. Denn das Wort Vater löste bei dem Mädchen verständlicherweise große Ängste aus.

Die Aussicht auf das erste Aufeinandertreffen von Emily mit ihren Eltern erfüllte Julia mit besorgter Nervosität. Wie würde Emily reagieren? Allzu weit war diese Begegnung nicht mehr entfernt. In ungefähr zwei Stunden würde die Familie hier eintreffen.

Die Familie. Emily hatte noch eine kleine Schwester bekommen, von der sie überhaupt nichts wusste. Sarah. Sechs Jahre alt. Ein zuckersüßer Blondschopf, wie Julia auf einem Foto gesehen hatte.

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