Koma
Es war nun schon drei Monate her. Drei Monate, in denen ich jeden Tag ins Krankenhaus gefahren bin, in denen ich immer seine Hand gehalten habe. Drei Monate, die mein Leben auf "Stopp" gestellt haben. Es waren die drei Monate, in denen Louis im Koma lag. Ich ging, wie jeden Tag, den Flur entlang und begegnete mehreren Krankenschwestern, die mich freundlich anlächelten, was ich mit einem Nicken quittierte. Ich kannte sie alle schon, kein Wunder bei den täglichen Besuchen. Aber ich wollte unbedingt, dass Louis aufwacht. So sehr. Es war so, als hätte er mein Herz herausgerissen und mit sich genommen. Leise klopfte ich an die Tür und ein leises "Herein" ertönte von innen. Ich klopfte immer und wenn eine Antwort kam, war meistens der Doc oder eine der Krankenschwestern da. Ich öffnete die Tür und schloss sie ebenso leise, wie ich sie geöffnet hatte. Ein matt wirkender Doktor sah mir in die Augen. Er sah müde und erschöpft aus, Folgen vom vielen Arbeiten. "Hallo. Wie geht es ihm heute?" Er seufzte und strich sich durch die vom Alter gezeichneten grauen Haare. "Naja, die Werte haben sich ein wenig gebessert. Er ist stabil, müsste also bald aufwachen." Ich atmete aus. Gut. Bald wird er aufwachen! Innerlich jubelte ich, doch äußerlich zeigte ich keine Reaktion. Nur ein kleines, leises Lächeln ließ ich über mein Gesicht huschen. "Das ist schön. Wann wird es denn ungefähr sein?" Ich ging auf das Bett zu und nahm mir einen Stuhl, auf den ich mich dann setzte. Lou´s Hand hatte ich schon in meinen Händen, bevor er antworten konnte. "Das kann ab jetzt immer sein. Es kann morgen oder in einer Woche passieren, das liegt jetzt ganz an ihm." Gedankenverloren betrachtete ich die Linien in seiner Haut. Seine Hand war kalt, leblos. Sein Gesicht so eingefallen, als wäre er schon tot. Von seiner Blässe ganz zu schweigen. Ich nickte und sah, wie der Doc aufstand und aus dem Raum ging. Lange saß ich noch so da, die Hand von Lou´s betrachtend, bis es dunkel wurde und die Krankenschwestern mir sagten, dass ich heimgehen müsste. Aber wie immer antwortete ich, dass ich hier bei ihm schlafen würde. Wie immer. Ich kuschelte mich also in sein Bett und legte meinen Kopf auf seine Brust. Mit den Gedanken bei ihm und dieser unendlichen Sehnsucht im Herzen schlief ich schließlich ein.
Ein Sonnenstrahl holte mich aus meinen Träumen und er erwärmte meine Wange. Ich öffnete die Augen und blinzelte. Es war so hell. Habe ich wirklich so lange geschlafen?, fragte ich mich verschlafen und setzte mich auf. Plötzlich erklang ein leises Lachen neben mir, schlagartig schoss ich hoch. "Hallo Zayn." Mein Atem stockte. Mein Blick verlor sich in diesen wundervollen blauen Augen, die mich jedes Mal um den Verstand brachten. So blau wie der Ozean, wie der Himmel. Wie die schäumende Gischt bei Gewitter auf hoher See. So, wie sie nur zu Louis gehörten. Mir stiegen Tränen in die Augen und ich flüsterte: "Louis." Dann fiel ich ihm um den Hals und bedeckte seine Wangen mit Küssen. Küssen, die für Dankbarkeit standen. Für Zuneigung, Glücklichkeit, Fröhlichkeit und Liebe. Dafür, dass ich endlich meinen Freund wiederhatte. Und mit ihm mein Herz. Aber nein, das stimmte nicht ganz. Mein Herz hatte ich nicht bekommen, denn das hatte er schon längst gestohlen und würde es auch immer behalten. Immer.
Lächelnd gab ich Mr. Warner die vier vollgeschriebenen Blätter. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht und seine Augen fingen zu strahlen an. "Viel geschrieben, hmm?" Er klang fröhlich. Naja, anscheinend liest er meine Geschichten gerne. "Ja, ich konnte nicht anders." Er lachte. "Jaja, wie immer, hmm?" Auch ich lachte. "Ja, wie immer."
