(Zayn)
Ich ging, den Kopf gesenkt, durch die vielen Menschen, darauf bedacht, nicht aufzufallen. Meine schwarzen Haare hingen mir ins Gesicht und bedeckten mein blaues Auge. Es pochte und wenn ich es anfassen würde, würde ich wahrscheinlich aufschreien. Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass hinter der Ecke solche Typen stehen und mich zusammenschlagen könnten. Tja, getäuscht, Malik. Sei leise! Nein, ich bin immer hier also darf ich auch was sagen! Warum rede ich eigentlich mit mir selber?! Wer bist du überhaupt?! Ich bin dein zweites Ich, du Dummkopf! Ach ja? Und das wäre? Jawaad! Schon mal darüber nachgedacht?! Aha, ja klar, du willst also mein zweiter Vorname sein? Haha, dass ich nicht lache! Diskutiere nicht mit mir und schau lieber nach vorne, da kommt nämlich grad ein Elefantentaxi! Überrascht blickte ich auf. Und tatsächlich: Ein riesiger Elefant kam auf mich zu, auf seinem Rücken ein Kaufmann, der mich verachtend anblickte. Ich zog den Kopf ein und sprang nach rechts, um ihm Platz zu machen. Plötzlich prallte ich gegen einen Körper und wurde unsanft zurück gestoßen. "Verpiss dich Mann!", rief eine tiefe Stimme. Ohne mich umzudrehen, lief ich in die entgegen gesetzte Richtung und ließ mich ein paar hundert Meter weiter an einer schmutzigen Brückenwand hinab gleiten. Ich hatte die Augen geschlossen, den Mund ein Stück geöffnet und atmete hektisch ein und aus. Die Luft war so dick, als ob es keinen Sauerstoff mehr geben würde. Dank der Brücke blieb ich von der gleißenden Sonne verschont, aber die Hitze war überall und trieb mir den Schweiß auf die Stirn. Eigentlich müsste ich das gewohnt sein, aber solche Temperaturen waren nicht normal. "Hey! Du!" Irgendwer rief da, aber sicherlich nicht mich. Wer ruft mich denn schon? Es interessiert ja keinen, wie es mir geht, was ich fühle ... "Ich meine dich! Komm schon, mach die Augen auf!" Meint der jetzt wirklich mich?! Ich öffnete die Augen und sah vor mir einen Mann. Erst erkannte ich ihn nicht, da meine Augen verkrustet waren von dem Schweiß, doch als ich sie ein wenig zusammen kniff, weiteten sie sich und ich rutschte automatisch ein Stück zurück. "Hey, ich tue dir nichts!" Er streckte seine Hand aus und wollte meinen Arm umschlingen, doch wieder zuckte ich zurück. Es war der Elefantentaxi-Fahrer, der mich so verachtend angesehen hatte. Stimmt ja auch! Sie dich doch mal an! Du bist so erbärmlich, ein Nichtsnutz! Ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals, als ich an die Worte meines Unterbewusstseins dachte und mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. "Was ist denn los? Sag doch was!" Er sah mich an, das konnte ich spüren. Ganz langsam kreuzte ich meinen Blick mit seinem und mein Atem stockte. Er hatte wundervolle grau-blaue Augen, die leicht wässrig waren. "Was d - denn?", krächzte ich. Es war schon eine Zeit her, seitdem ich das letzte Mal geredet hatte. "Wie heißt du?" Ich antwortete nicht. Was interessiert es ihn schon? Gar nichts! Tja, wo Jawaad Recht hat, hat er Recht ... "Ich tue dir nichts! Bitte, rede einfach mit mir!" Warum will er das überhaupt?! Andere Menschen gehen einfach an mir vorbei, als wäre ich Luft, und er? "W - warum?" Ich schlang die Arme um meinen Körper und kniff meine Augen zusammen, als ich das Knurren meines Magens hörte. "Hast du Hunger?", kam es natürlich gleich von diesem Mann. Ich schüttelte verhemmt den Kopf, doch er lachte nur. "Komm, ich kaufe dir was!" Wieder schüttelte ich den Kopf. Er soll sein Geld selbst verwenden und nicht an mich verschwenden. Das ist es nicht wert. Irgendwann werde ich sowieso sterben, also ist es egal, wann. "Doch! Komm mit!" Plötzlich spürte ich Arme um meinen Oberkörper und ich quiekte auf. Schreiend schlug ich um mich, doch das änderte nichs an der Tatsache, dass ich verteidigungsunfähig war. Er hatte mich fest im Griff. "B - bitte l - lass mich r - runter!", wimmerte ich. Sein Griff verstärkte sich nur noch mehr und ich biss fest die Zähne zusammen, um nicht aufzuschreien. Es tut verdammt nochmal weh! Mann Malik, jetzt sei nicht so eine Heulsuse! Er gibt dir was zu Essen, du Dummkopf! Also benimm dich wenigstens! A - aber ... er tut mir weh! Nichts "aber"! Jetzt hör auf zu flennen und reiß dich zusammen! Mit aller Kraft hielt ich also die Tränen zurück, die sich in meinen Augen aufgestaut hatten. "Alles okay? Moment mal - weinst du?!" Mit geschlossenen Augen schüttelte ich wieder den Kopf. Er muss nicht wissen, wie erbärmlich ich bin! Sein Griff lockerte sich plötzlich und sofort ergriff ich die Gelegenheit, strampelte mich frei und rannte davon. Zum Glück waren viele Handelswägen auf dem Weg, sodass er mir nicht folgen konnte. Als ich am Abend wieder unter der Brücke lag und einschlafen wollte, dachte ich darüber nach, ob es vielleicht ein Fehler war, weg zu rennen. Vielleicht ist es Schicksal. Aber es muss nicht sein. Dann schlief ich schließlich ein.
Am nächsten Morgen wachte ich mit Kopfschmerzen auf. Ich hatte einen Hitzestich. Und schon wurde mir übel und ich beugte mich über den braunen, sandigen Boden, um das heraus zu würgen, das in meinem Magen war - also nichts. Schwer atmend lehnte ich mich zurück und schloss die Augen. In meinem Kopf tat alles weh, als ob ein Specht seinen Unterschlupf darin bauen würde. Ich schluckte. Mein Mund war trocken, mein Magen leer. Ich müsste etwas essen. Dann beschaffe dir was! Aber ich kann nicht schon wieder stehlen! Warum? Du hast es doch sonst auch immer gemacht! Aber es ist falsch! Ist es denn noch falsch, wenn du es zum Überleben brauchst? Darauf wusste ich keine Antwort. Einerseits war es notwendig, aber andererseits würde ich sowieso bald sterben. Also warum noch die Mühe? Ich beschloss, nichts zu essen und den ganzen Tag unter der Brücke zu liegen und nichts zu tun. Doch jemand störte mich. "Warum bist du gestern abgehauen?" Langsam öffnete ich die Augen, mein Kopf dröhnte unerträglich. "Weil - ahh." Ich fasste mir an den Schädel und verzog das Gesicht. Irgendwas gegen diese Schmerzen wäre perfekt ... Als ob du so etwas bekommen würdest! Na und?! Man darf doch wohl träumen, oder?! Nein, du nicht. Ach ja? Und wieso bitteschön?! Weil du ein Straßenkind bist vielleicht?! Pff! Sei leise! Ich kann nichts für meine Vergangenheit! Jaja! Ich dich auch!
"Was ist los? Tut dir was weh?" Nein überhapt nicht, weißt du! Sei nicht so frech! Habe ich dir nicht gesagt, du sollst die Klappe halten?! Nein. Na gut, dann sage ich es jetzt: Halte verdammt nochmal deine Klappe! Jaja! Arghhhh! "Äh - nein, alles gut." Wow, ich habe einen vollständigen Satz gesagt, was für ein Weltwunder! Verächtlich über mich selbst schüttelte ich den Kopf und der Mann hob eine Augenbraue. Seine Haare waren perfekt zur Seite gegeelt und in seinem Gesicht war kein Makel zu erkennen. Er war auch nicht dünn, was auch gegen einen Straßenmenschen sprach. "Ja klar! Das kannst du dir selber erzählen, ich sehe doch, wie scheiße es dir geht!" Was soll ich denn jetzt sagen?! "Ähm - ja - nein?" Er lachte und dieses Lachen überzog meinen Körper mit einer Gänsehaut. "Du bist süß! Komm mit, du bekommst was gegen die Schmerzen! Und jetzt renn bitte nicht weg, ja?" Ich schluckte. Was will er mit mir machen?! Vergewaltigen oder schlimmer? "W - was machst d - du mit m - mir?", stotterte ich verängstigt. Seine Augen wurden groß und er sah mich traurig an. "Ich tue dir nicht weh! Wirklich nicht! Warum glaubst du mir denn einfach nicht?" Verzweifelt hob er die Hände in die Luft und fuhr sich durch die schönen, sauberen Haare. "Wie kann ich dir beweisen, dass ich dir nichts tue?" Wieder schluckte ich. Mein Gehirn stellte sich auf einmal ab und mein Mund formte ein "Küss mich!", was ich gleich darauf bereute. Meine Augen wurden riesig, als ich bemerkte, was ich gesagt hatte und er langsam auf mich zukam. "Halte ganz still, ja?" Er wartete nicht lange und presste seine Lippen auf meine. Plötzlich war so ein undefinierbares Gefühl in meinem Bauch, als würden tausend Elefanten darin trampeln und immer mehr dazukommen. Ganz langsam bewegte er seinen Mund und ich brauchte erst einen Moment, um zu verstehen, was hier gerade passierte. Fast automatisch erwiderte ich den Kuss und war in diesem Augenblick der glücklichste Mensch der Welt. Naja, nicht wirklich der Welt, aber es war der schönste Moment in meinem ganzen Leben. Und so sollte es auch immer bleiben.
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