(Für Finchen0123, hoffe, jetzt passt er :D)
Du stehst wie versteinert da, deine Hände hängen schlaff an dir herab, deine Augen trüb, als würde ein Schleier davorhängen. „Es geht nicht.", sagt er mit seiner tiefen, schönen Stimme, und du willst am liebsten einfach zusammenbrechen. Doch das Einzige, was du ihm als Antwort gibst, ist ein leises „okay". Einfach nur ein „okay". Es war euer Wort für Liebe, euer Wort, das ihr immer gesagt habt, wenn ihr ‚ich liebe dich' zum Ausdruck bringen wolltet. Und jetzt sagst du es, und er lächelt ganz leicht, als würde es durch einen kleinen, schwachen Windstoß auf sein Gesicht gewischt werden. „Auf Wiedersehen, Josi.", flüstert er, kommt ein letztes Mal auf dich zu, legt seine Hand an deine Wange. Dreht sich dann um, lässt dich vollkommen fertig mit der Welt dort stehen, wo er dich mit den Worten ‚Es ist aus.' konfrontiert hat, und du völlig überrumpelt warst. Genau genommen bist du es jetzt immer noch.
„Komm schon, Josi!", ruft deine Mutter, erstarrt aber sofort, als sie sieht, in welchem Zustand du im Flur stehst, wie leer deine Augen aussehen und wie kraftlos du wirkst, als würdest du gleich in dich zusammen fallen wie ein Kartenhaus. „Josi?", flüstert sie, kommt näher, nimmt dich in den Arm. Ihre Arme fühlen sich gut an, tröstend, sanft, als wärst du das Wichtigste in ihrem Leben. Du merkst, dass deine Beine zu zittern anfangen und es nicht mehr lange dauert, bis der Damm bricht, der all deine Trauer zurück gehalten hat. „Lass es raus, lass alles raus.", flüstert deine Mutter dir ins Ohr, du kannst dich nicht mehr halten und schluchzt leise an ihrer Schulter. Der Geruch ihrer Strickjacke steigt dir in der Nase, er ist vertraut, aber du willst am liebsten den Geruch deines Ex-Freundes riechen. Erinnerungen rauschen vor deinem inneren Auge vorbei; Erinnerungen, die ihr beide im Laufe von zwei Jahren wunderschöner Beziehung gesammelt habt. Du fragst dich, wieso er so plötzlich Schluss gemacht hat, weißt darauf aber keine Antwort. In deinem Herz entsteht ein Schmerz, der sich ausbreitet, alle Areale deines kleinen Körpers erobert, schließlich die komplette Kontrolle über dich hat.
Die Arme deiner Mutter halten dich nicht, als deine Beine nachgeben und du auf den kalten, harten Fliesenboden sinkst, die Wange auf ihn legst und die Augen schließt. Sie kniet sich zu dir hinunter, sagt irgendwas, aber nichts dringt zu dir durch. Du bist in einer Blase gefangen; einer Blase, die dich von allem isoliert, die nichts durchdringen lässt, nichts außer den endlosen Schmerz, der in deinem Herzen wütet. Immerzu denkst du an ihn, kannst nicht aufhören, dir die Schuld an dem Beziehungsaus zu geben, denn an ihm lag es bestimmt nicht. Du musst es gewesen sein. Deine Mutter hebt dich hoch, legt dich im Wohnzimmer auf der Couch ab und macht dir einen Tee, du starrst nur mit leerem Blick die Wand gegenüber von dir an und weißt nicht, wie du reagieren sollst. Soll ich weinen, ausrasten oder einfach still bleiben? Du weißt es nicht.
Und das ist immer noch so, als du ein Jahr später in der Bibliothek stehst, in der du arbeitest, einen Kunden bedienst und danach einem anderen Mann den Inhalt eines Buches erzählst, das Liam's Lieblingsbuch war. Unweigerlich schweifen deine Gedanken zu ihm ab, du beißt fest die Zähne zusammen, um nicht zu weinen, und als der Kunde fragt, ob alles okay sei, nickst du nur. Hinter dir hört man das leise gehaltene Gespräch zwischen einer Freundin und einer anderen Kundin, die gerade über ‚Herr der Ringe' reden. Nachdem der Mann, den du beraten hast, weg ist, entschuldigst du dich mit gepresster Stimme und stürmst dann aus dem Laden. Über deine Wangen laufen Tränen, immer mehr werden es, du kannst sie nicht stoppen. Die Leute auf der Straße sehen dich verwirrt und mitleidig an, doch du ignorierst es geflissentlich und rennst zu dir nach Hause. Gott sei Dank wohnst du immer noch bei deiner Mutter, und das Haus ist nicht allzu weit entfernt.
„Josi? Wieso bist du jetzt schon –„, fängt sie an, aber als sie dich sieht, tränenüberströmt und völlig fertig, verstummt sie und bereitet die Arme aus. Sie weiß inzwischen, dass sie dir nicht mit reden helfen kann, und lässt es deshalb lieber sein. Du fällst in ihre geöffneten Arme, weinst all den Kummer heraus, der sich in dem letzten Jahr in deinem Herzen angestaut hat. Du bist traurig, verletzt und enttäuscht, dass er dich allein gelassen hat, dass er einfach gegangen ist, sich nicht mehr bei dir gemeldet hat; kein einziges Mal. Deine Augen brennen, deine Mutter setzt dich vorsichtig auf einen Stuhl und kniet sich vor dich, um dir ins Gesicht sehen zu können. „Es ist wegen ihm, oder?" Du nickst, deine Unterlippe zittert stark. Sie seufzt, setzt sich vor dich auf den Boden und nimmt deine kalten, knorrigen Hände in ihre starken. „Ich habe eine Überraschung für dich.", sagt sie leise und sieht dir dabei lächelnd in die Augen. Sie lässt eine deiner Hände los, greift in ihre rote Lederhandtasche, holt einen kleinen Zettel heraus und legt ihn dir in die offene Handfläche. Erst verstehst du nicht, was das für einen Sinn hat, aber als du auf den Zettel blickst und eine Nummer erkennst, werden deine Augen groß. „I-Ist das...?" Sie nickt. Du kannst es nicht glauben, fällst deiner Mutter schluchzend um den Hals und bedankst dich gefühlte tausend Mal. In dem Moment fühlst du dich ein klein wenig besser, denn du hast einen kleinen, aber doch wichtigen Punkt abgehakt, der dich näher zu deinem Ziel bringt.
Um elf Uhr in der Nacht liegst du auf dem Bett, deine Balkontür ist geöffnet und lässt frische Luft herein; leise Geräusche dringen von draußen in dein kleines, gemütlich eingerichtetes Zimmer, und durch das Licht werden ein paar Mücken angelockt, die in deinem Zimmer herumschwirren, und nur auf den Augenblick warten, in dem du das Licht abschaltest. Aber darum kümmerst du dich gerade herzlich wenig, denn dein Blick ist auf den Zettel in deiner Hand gerichtet. Immer wieder streichen deine Finger über die säuberlich geschriebenen Zahlen der Handynummer, die deine Mutter dir besorgt hat. Irgendwann nimmst du all deinen Mut zusammen und tippst die Zahlenfolge in dein Handy ein, während dir vor Nervosität Schweißperlen auf der Stirn stehen. Es tutet ein paar Mal, und du denkst schon, er nimmt nicht ab, bis ein Knacksen ertönt, du die Luft anhältst und seine wunderschöne Stimme am anderen Ende der Leitung erklingt. „Payne?", fragt er, und du kannst erst einmal nicht antworten; der Klang seiner Stimme hypnotisiert dich zu sehr in dem Moment. „Payne?", wiederholt er, und du antwortest mit leiser, dünner Stimme. „Hier ist Josi." Für eine Sekunde ist alles still, dann fragt er, welche Josi es wäre, du verdrehst die Augen und sagst: „Deine Ex-Freundin. Kennst du mich denn nicht mehr?"
Als er nicht antwortet, spürst du einen Stich im Herzen, denn anscheinend hat er dich wirklich vergessen, aus seinem Leben radiert wie einen unnötigen One-Night-Stand. „Josi.", flüstert er, du kannst das Unglauben und die Freude heraushören. „Ja.", hauchst du zurück, und dankst deiner Mutter im Geiste noch einmal. „Ich hab dich nicht vergessen." Du bekommst Tränen in den Augen, atmest tief durch und schaltest auf Lautsprecher, da deine Hand so zittert, dass du das Handy nicht mehr halten kannst. „W-Wirklich?" Deine Stimme klingt brüchig, leise, als würdest du niemanden wecken wollen. „Ja. Ich habe immer an dich gedacht, jeden Tag." Ein leises Schluchzen entkommt deinem Mund, du presst die Lippen zusammen und nimmst einen tiefen Atemzug. Ist alles okay?, fragt er mit seiner wunderschönen Stimme, und du antwortest nur mit einem glücklichen ‚Ja'. „Josi, ich ... ich war dumm, sehr dumm. Kann nicht ohne dich. Vergibst du mir?" Und in diesem Augenblick, in dem du all die Dinge noch einmal siehst, den Schmerz über seine Abwesenheit noch einmal spürst und merkst, wie sehr du ihn liebst, kannst du nicht anders, als die Worte ‚Ich vergebe dir' zu sagen, und dir damit ein neues, schönes Leben zu beschaffen. Ein Leben ohne Schmerz, ohne Hürden; ein Leben mit dem Menschen, der dir am Wichtigsten ist, dem Menschen, ohne den du nicht auskommst.