(Zayn)
Ich lag unter der Brücke, der Boden war kalt und die Kälte fraß sich in meine Glieder. Ich konnte mich nicht bewegen, meine Zehen und Finger spürte ich kaum noch. Der Schmerz in meiner Brust war atemberaubend - ich würde es nicht mehr lange aushalten. Mir war plötzlich wieder heiß und Schweißperlen tropften von meiner Stirn. Meine Atmung verschnellerte sich und ich fühlte mich einfach nur elend. Bald sterbe ich, bald bin ich nicht mehr hier. Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen und vor Erschöpfung schloss ich die Augen. Alles war still, die Schneeflocken bahnten sich durch den Wind einen Weg zu meinem Platz. Langsam bedeckten sie mich mit einem eiskalten und doch wunderschönen Kleid, das den Tod herbeiführen konnte. Die Natur wird zwar vom Mensch verändert, doch der Mensch ist ihr immer unterlegen.
Jetzt spürte ich meine Finger und Zehen nicht mehr und meine Nase fühlte sich feucht an, wie alles eigentlich. Ein Zittern durchfuhr meinen Körper und eine weitere Hitzewelle überflutete mich. Es war so, als wäre man im Meer, indem es heiße und kalte Stellen gab. Genauso war es jetzt. Es wechselte immer wieder zwischen heiß und kalt, Schmerz und Starre. Zittern und Ruhe. Alles immer nach dem gleichen Schema. Ein neuer Schmerz durchzuckte mich und ich stöhnte leise auf. Niemand hörte mich, keinen interessierte es, dass ich hier unter der Brücke, umgeben von Schnee, starb. Dass ich Schmerzen erlitt und schreien und rennen wollte - aber ich konnte nicht. Eine Träne rann meine Wange hinab und blieb an meinem Kinn hängen. Sie war durchsichtig, so wie meine Seele. Diese war durchschaubar und der Lebensinhalt war weg. Keine Farbe, kein Strahlen, nichts. Nur Leere.
Mich überflutete die Erinnerung an den schlimmsten Tag meines Lebens, es tat so weh.
Flashback
"Louis! Komm, wir müssen los!" Stille im Haus. Vielleicht ist er ja im Schlafzimmer? Doch als ich hochging, gähnte der Raum vor Leere und in mir bereitete sich ein mulmiges Gefühl aus. Wo ist er? "Lou!", schrie ich aus ganzem Herzen immer wieder. Doch immer wieder antwortete er nicht. Ich rannte aus dem Haus und erstarrte. An der Garage, an der ich vor vielleicht einer Stunde noch vorbeigegangen war, war ein Mann. Und er drückte Louis gegen das Tor. Der Mann drückte ihn immer und immer wieder dagegen, bis er nur noch schlaff in den Armen des Mannes hing. Wut brodelte in mir und ich sprintete zu meinem Freund. "VERPISS DICH ODER DU WIRST WAS ERLEBEN!", schrie ich das Arschloch an und er wich erschrocken zurück. Ich bekam gar nicht mehr mit, wie er weglief, denn ich kniete mich besorgt zu Louis herunter. Er hatte zahlreiche Wunden, sein Kopf war blutübersät und sein Atem ging flach. "Louis! Lou...", er öffnete langsam die Augen. Sie waren mit so viel Schmerz gefüllt, mit so viel Leid. Wofür hat er das verdient?! "Lou, alles wird gut! Hörst du? Alles wird gut!" Ich strich ihm sanft kleine Haarsträhnen aus dem Gesicht und lächelte schwach. "Zayn ... es tut so weh.." Schnell nahm ich seine Hand und drückte sie. "Alles wird gut, es geht dir bald wieder gut, versprochen!" Er schloss seine Augen und lächelte leicht. "LOU!" Er reagierte nicht. Panisch riss ich ihn hoch und hievte ihn ins Auto. Er muss ins Krankenhaus! Mein Handy lag auf dem Fahrersitz, hastig griff ich danach und wählte die Nummer. "Schnell, ich brauche einen Krankenwagen! Interstate 10, Seattle! Beeilen Sie sich!" Das Handy schmiss ich achtlos weg, Louis hatte die Augen immer noch geschlossen. Nur das regelmäßige Heben und Senken seines Brustkorbs verriet, dass er noch lebte. Die nächsten zwei Minuten waren eine reine Qual, mir kamen sie wie Stunden vor, wie Tage, Wochen, Monate. Immer wieder rannen mir Tränen die Wangen hinab, und als ich dachte, dass es vorbei war, flossen immer wieder neue nach. Lou regte sich immer noch nicht. "Sir, lassen Sie uns an ihn ran!" Grob drängten vier Sanitäter mich beiseite und ich konnte nur benommen zusehen. Was, wenn er stirbt? Was dann? "Sir, es tut mir leid. Wir können nichts mehr für ihn tun." WAS?! NEIINNEINNEIN! In meinen Gedanken echoten immer wieder die Worte "Wir können nichts mehr für ihn tun." Schluchzend sank ich auf die Knie und brach auf der Stelle zusammen. Ich spürte Hände, die mich streichelten, beruhigende Worte, doch ich hörte sie nicht. Mir war es egal, dass ich wahrscheinlich total krank aussah, schluchzend, auf dem Boden kniend. Aber mir war es egal, alles war mir egal. Ich hatte meine große Liebe verloren, mein Ein und Alles. Mein Lebensinhalt ist weg, ich bin alleine. Allein.
Flashback Ende
Und jetzt liege ich hier. Allein, gebrochen, obdachlos, krank. Heiße Tränen liefen mir die Wangen hinab und aus meinem Mund bahnte sich ein Schluchzer, der in der Stille der Nacht verhallte. Alles war ruhig, außer mir. Niemand war da, niemand wollte mich. Ich fühlte mich beschmutzt und verbraucht. Einfach unnötig. Schritte näherten sich mir, aber es kann niemand sein. Wahrscheinlich hyperventilliere ich nur wieder... Eine Stimme drang an mein Ohr, doch sie klang ganz leise. Es klang so, als wäre ich in Deutschland und die Stimme in Australien. So weit weg. Ich spürte, wie die Blutvergiftung die letzten Kraftreserven meines Körpers raubte. Mein Herz schlug immer langsamer und ich wusste, dass bald alles vorbei sein würde. Gleich sehe ich Lou wieder... Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen und in meinem zerbrochenen Herzen wurde es warm. Als ich die Augen öffnete, sah ich weiß. Alles war weiß, sonst gab es nichts. Ganz weit hinten, in weiter Ferne, kam ein Punkt auf mich zu. Er wurde immer größer und nach und nach konnte ich einen Menschen erkennen. Es war Lou. Ein Lächeln überzog mein Gesicht und ich strahlte. "Bist du bereit, Zayn?" Eins war klar: ich bin bereit! "Ja!" Er nahm meine Hand, zog mich hoch und ich konnte Freude in seinen Augen erkennen, aber vor Allem Liebe. Seine Lippen berührten sanft die meinen und es fühlte sich so gut an. So richtig. "Ich bin bereit.", hauchte ich an sein Ohr und Hand in Hand gingen wir wieder vereint in unsere Zukunft. Vereint.