(Louis)
Ich lief die verlassenen, verschneiten Straßen entlang und ging zielstrebig auf ein kleines Cafe zu. Es war bunt geschmückt und sah mit seinen vielen flauschigen Dekos furchtbar einladend aus. Es war in einer dunklen Gasse, in die niemand auch nur einen Schritt wagte. Warum das Geschäft hier war, wusste niemand. Die Kirchenglocke läutete. Es war anscheinend schon halb neun. Eine gute Zeit, um langsam auf den Markt zu gehen. Ich würde heute wieder nicht viel bekommen, wie auch? Es war Winter, der kälteste, den es jemals gab, der Schnee war einen halben Meter hoch und es war Weihnachten. Keiner wäre hier, um die flauschigen Schafe oder die kleinen Verkaufsstände zu betrachten. Hin und wieder ertönte ein Bellen, doch ich ließ mich nicht beirren und öffnete die Tür des Cafes.
Warme Luft schlug mir entgegen, ich zitterte. Meine Augen schlossen sich automatisch, krampfhaft hielt ich sie offen. Ich durfte nicht einschlafen. Es würde ihm gar nicht gefallen. Ich öffnete sie wieder und sah ihn durch einen klitzekleinen Spalt hindurch in der Tür stehen. Sein Gesicht war diesmal weder wütend, noch hasserfüllt, sondern strahlte Freude aus. Das hatte ich noch nie an ihm gesehen. Was war es, das ihn zum Strahlen brachte? Sein Cafe, sein Gewinn, sein Ruhm? Oder seine Familie und die Tatsache, dass es Weihnachten war und er bald Schluss haben würde? Bei diesen Gedanken zog sich meine Brust schmerzhaft zusammen und ich atmete zitternd aus.
Ich musste stark sein. Was würde er denn denken? Ohne mich zu bewegen, kam er auf mich zu und ich öffnete widerwillig meine Augen.
Ich wollte nicht. Nicht schon wieder. Es tat so weh. Wie ein Splitter, der tief in meinem Herzen steckte und der für ein Leben lang darin bleiben würde, bis ich alt und grau war. Wenn es dazu kam. Seine braunen Haare standen ihm vom Kopf ab, wie immer waren seine Augen gefühlskalt und seine Stimme erst recht.
"Hallo Louis. Ich werde jetzt bald aufhören und nach Hause fahren. Heute werden wir nicht miteinander spielen, so leid es mir tut. Ich würde ja gerne, aber meine Familie wartet... Naja, auf jeden Fall bringst du heute 50 mit, verstanden? Und die liegen dann bis morgen in meinem Tresor, verstanden? Wenn nicht...weißt du ja, was ist!", bedrohlich zwinkerte mir zu und streifte im Vorbeigehen noch meinen Arm. "Ach ja, Louis? Frohe Weihnachten und feier schön! Alleine ist es bestimmt interessant!", er wusste genau, wie weh er mir damit tat. Warum konnte er nicht damit aufhören?
Mein Herz war doch schon wegen ihm gespalten, warum zeriss er es dann noch mehr? Ich schaffte das alles nicht mehr. 50 Euro?! Ist das sein Ernst? Wo sollte ich das denn herbekommen? Ich fühlte mich einfach nur leer. Wie immer nach jedem verdammten Auftrag. Und schon kamen mir wieder diese sechs Wörter in den Sinn, die so in meinem Herzen schmerzten.
Alleine ist es bestimmt interessant.
Meine Kehle zog sich schmerzhaft zusammen, vergelblich versuchte ich, den Kloß in meinem Hals hinunterzuschlucken. Wie erwartet half es nichts. Unbeirrt rollten mir die Tränen über die Wangen und hinterließen eine feuchte Spur der Trauer in meinem Gesicht.
Wütend knallte ich die Tür hinter mir zu. Warum musste mein Leben auch nur so sein? Warum? Ich meine, ich bin 19, habe nichts, stehe seelisch vor einem riesen Abgrund und warte nur so auf mienen Tod. Warum tat ich das? Genau: Weil ich muss. Ohne Spider konnte ich nicht leben, er versorgte mich. Naja, wenn man schlagen, vergewaltigen und verhöhnen als versorgen bezeichnen wollte.
Wie erwartet war der Christkindlmarkt wie leer gefegt und alles war still. Ab und zu war ein Kinderlachen zu hören, sonst war der ganze Hauptplatz verlassen. Was sollte ich denn jetzt tun? Niemls würde ich fünfzig Euro herbekommen, wo keine Leute waren. Aber Spider war das ja egal. Ihm war alles egal. Meine Gesundheit, Gefühle, Ängste.
Eine weitere Träne rollte meine Wange hinunter. Ich schluckte. Mein Leben war ein Scherbenhaufen, von Anfang an schon.
Ziellos trottete ich auf dem Platz herum, mittlerweile hatte ich es aufgegeben, wie ein Verrückter durch die Straßen Münchens zu laufen und setzte mich auf eine nahegelegene Bank. Mir war schwindlig und eine leichte Übelkeit stieg in mir hoch.