📍Jungkook
9:56 Uhr ist viel zu früh für Unterricht. Obwohl ich montags immer erst zur dritten Stunde habe, fühlt es sich an, als wäre ich gerade erst geweckt worden. Aber so ist es auch. Vor einer Stunde lag ich noch im Bett, zugedeckt und warm.
Die Sonne zeigt sich spät am Morgenhimmel, die Tage werden kürzer und die Dunkelheit mehr. Die Heizungen im Bioraum sind kaputt, sodass es in dem Altbau fast so kalt ist wie Draußen.
Unsere Lehrerin überprüft die Anwesenheit. Weil unser Kurs zu klein ist, wurden wir mit dem jüngeren Jahrgang zusammengelegt. Zumindest mit allen, die sich in Biologie prüfen lassen wollen. Erik und seine Leute gehören nicht dazu, deswegen sitze ich hier allein, ohne Anschluss.
10:05 Uhr und meine Fingerspitzen fühlen sich schon wie Eis an. Ich vergrabe sie unter den Ärmeln meines Pullovers, als ich jedoch mitschreiben muss, funktioniert das nicht mehr.
Die Tür geht plötzlich auf. „Entschuldigen Sie die Verspätung." Der Junge mit den moosgrünen Augen, der Typ aus Eriks zweitem Stock, tritt herein. Den großen Schal schlingt er sich eng um den Hals und vergräbt sein Kinn und letzteres unter ihm. Unsere Lehrerin trägt seine verspätete Anwesenheit gleich ein. Eilig setzt er sich in meine Reihe, nur wenige Sitze entfernt von mir und der Unterricht fährt fort.
Die Jacke legt der Junge ab, aber nicht den Schal. Unter seiner Nase sind die milchigen Schläuche, die unter dem Stoff verschwinden. Aus dem Rucksack gräbt er Etui und Mappe, sowie einen Block, den er gleich aufschlägt, um das Tafelbild abzuschreiben.
Ich muss mich selber konzentrieren.Bis zur Pause schaffe ich es zweimal etwas zum Unterricht beizutragen. Der Junge mit den grünen Augen hat mindestens doppelt so oft gesprochen. Seine Sätze sind lang, seine Worte gewählt. Er hat Enzymatik besser verstanden als ich, obwohl er sich in diesem Semester noch nie hat blicken lassen.
Der Junge packt seine Sachen in Windeseile zusammen, was mich hektisch werden lässt. Den Rucksack werfe ich mir beim Gehen über die Schulter. Am Türrahmen drängle ich mich neben ihn. „Bist du neu an der Schule?", frage ich.
Der Junge scheint über meine Frage überrascht. Unsicher mustert er den Boden, ehe er mich ansieht. „Nein." Nein, das wars. Seine Augen verharren lange auf meinem Gesicht. Er verschnellert seinen Gang, ich bleibe bei ihm. Die Treppen stratzt er herauf, im Flur würdigt er mich keines Blickes. Erinnert er sich an mich? „Freitag...", setze ich an.
„Ich muss los, sorry", wirft er mir hinterher und verschwindet in einem Gang.Sorry. So einfach tut er mich ab. Als er weggeht sehe ich, dass sein Schlauch in den Rucksack führt. Nasensonde, wofür ist das nochmal da?
„Jungkook, sehen wir uns später im Aufenthaltsbereich?" Erik unterbricht meine Gedanken. Er spricht mich nur im Vorbeigehen an und schnipst mit den Fingern. Sein Selbstbewusstsein ist ihm nicht abzuerkennen. Genauso wie seine dunkelbraunen Haare, ordentlicher als die des Jungen, obwohl sie die gleiche Farbe tragen. Ein markantes Gesicht, mit gerader Nase, die ein wenig größer ist, als die des Jungen. Beide sehen auf ihre eigene Art und Weise perfekt aus, eben wie aus einem Zeitschriftenkatalog. Und doch völlig verschieden.
„Ja, ja. Bis später", antworte ich. Dem Jungen sehe ich noch immer hinterher, obwohl er längst verschwunden ist.
...
In der Mittagspause sitze ich mit Erik, Lukas und Christian an einem Tisch. Die Gespräche schwanken zwischen der Vorfreude auf die Weihnachtsferien in vier Wochen und der geringen Vorfreude vor der nächsten Klausurenphase. Schüler tummeln sich um Erik und fangen an über seine Geburtstagsfeier zu reden.
Hinter der Glasscheibe entdecke ich den Jungen. Zusammen mit drei anderen unterhält er sich, wobei er sich seitlich an das Glas lehnt. Er lacht, seine Lippen bewegen sich danach weiter auf und zu. Worüber er nur so angeregt spricht?
Direkt hinter seinem Rücken befindet sich die Tür. Nicht, dass er fallen würde, sobald man sie öffne, aber man stehe nach dem Austreten direkt hinter ihm.
Ich wühle in meiner Tasche. Noch zwei Stunden Unterricht und mir fehlen noch Bücher. „Ich gehe kurz zum Schließfach", entschuldige ich mich und stehe auf. Die Tür in den Flur schiebe ich auf, im selben Moment dreht der Junge seinen Kopf über die Schulter. Mein Anblick lässt seine Augen beunruhigt groß werden. Aus seiner Hand fällt ihm tollpatschig ein Zettel, der langsam auf den Boden sinkt. Ich hebe ihn auf und halte ihm ihn hin. „Bitte", sage ich.
Er zieht ihn mir aus der Hand, das Kinn in seinem Schal vergraben, sehen seine grünen Augen auf einmal ganz dunkel aus. Er sagt nichts, zieht seinen Mantel enger zu. Ich kann nicht anders, als ihm auf die Schläuche zu starren, bevor ich mich mit einem flüchtigen Lächeln verabschiede und dabei leicht meinen Oberkörper beuge. Was eine scheiß Angewohnheit. Das mache ich doch sonst nie. Warum bin ich also so perplex?
An meinem Schließfach brauche ich zwei Versuche um den Code richtig einzugeben. Ich hole meine Bücher heraus und schließe es zu. Ich erschrecke mich leicht, als dahinter plötzlich der Junge steht. „Oh, hallo", sage ich unbeholfen.
„Ich wollte danke sagen, wegen dem Zettel."
„Dafür musstest du mir nicht hinterherlaufen", entgegne ich und senke meine Hand von dem Schloss. Er bleibt Still, weswegen ich weiterrede. „Kein Ding."Ich möchte an ihm vorbei und wieder gehen, da positioniert er sich direkt vor mir. Mit der Brust stoße fast an seine. Ich weiche einen Schritt zurück. Fragend sehe ich ihn an. Seine Ohren sind rot.
„Am Freitag, warst du...?", er kommt nicht weiter.
„Ich war bei Eriks Geburtstagsfeier", helfe ich ihm.„Warst du oben? In meinem Zimmer?"
Ich nicke. Er erinnert sich also an mich. So genau wie er mein Gesicht betrachtet, muss er darüber nachgedacht haben.
„Du-... Ist irgendetwas passiert?"
„Inwiefern passiert?" Seine Fragen verwirren mich.
Ich will an ihm vorbei, da stellt er sich wieder vor mich. „Hör zu, du warst sehr müde und ich bin aus Versehen in dein Zimmer gekommen", stelle ich, von seinem Verhalten genervt, klar. Eher aus Neugier anstatt Versehen, aber egal.„Falls ich dich irgendwie bedrängt habe, tut mir das Leid."
Bedrängt, auf einmal bin ich hellhörig. Deswegen fragt er. Seine Ohren strotzen vor gepumpten Blut.
„Nein, hast du nicht."Seine Schultern entspannen sich und ich sehe etwas von seinem Kinn. „Wie heißt du eigentlich?", frage ich.
„Taehyung."Für einen Moment ist es still. Er reibt sich die Hände. Er hat lange, dünne Finger. „Vergessen wir das einfach, ja?", fragt er.
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Hitze | Vkook
FanfictionLuft, Sauerstoff, Co2 - etwas, das jeder Mensch zum Leben braucht. Taehyung fehlt es, denn er ist krank. Kalt - Das ist das Erste, was Jungkook über seinen neuen Mitschüler denkt. Der aufgeschlossene neunzehnjährige ist fasziniert von ihm, nicht zu...