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📍Taehyung

Ein Führungsguide erklärt und was zu den Gletschern am Berggipfel. Um uns herum tummeln sich Menschen in Skianzügen und -Brillen, mit Snowboards unterm Arm und Skistöcken in den Händen.

Meine Ohren hängen nur halb an ihm, denn innerlich zerwühlen mich meine Gedanken. Ich habe nämlich das Gefühl, einen Fehler wegen Jungkook gemacht zu haben. Dennoch fühlt er sich richtig an. Mit ihm zusammen zu sein. Ihm alles von mir offenlegen zu müssen.

Weil wir nicht ehrlich zueinander sind. Das ist gefährlich. Das führt zu nichts Gutem, verstehst du das?

Aber, das kann ich nicht.

Als ich ihn ansehe und sich unsere Blicke treffen, wird mir warm. Nicht, dass meine Finger aufhören zu frieren. Es ist das Gefühl, aufgehoben zu sein. Einen Platz zu haben, wo man hingehört. Dass ich irgendwie weiß, dass ich zu dir gehöre.

Als würden wir gerade dasselbe denken, schleichen wir uns hinter die Gruppe und entfernen uns ein paar Schritte, nur um dann unauffällig schnell zum nahestehenden Gasthaus zu laufen. Obwohl mir die Luft schon vor drei Schritten ausgegangen ist, lache ich und sprinte (was bei mir nicht so schnell ist) vor ihm weg. Es scheut ihm keine Mühe und er holt mich ein. Seine Arme schlingen sich um meine Mitte und wir fallen abrupt in den Schnee, ohne, dass er mich loslässt.

Das Lächeln, der Spaß, weichen nicht von meinem Gesicht und er drückt meine Taille fester. Von hinten küsst er ungeschickt meine Wange. Ich kichere, er tut es auch. Seine Lippen wollen tiefer an meinen Hals, doch ich ziehe meine Schulter hoch und klemme seinen Kopf ein. „Nicht hier", sage ich.
„Spaßverderber." Er zieht eine Schnute, da werfe ich ihm Schnee ins Gesicht. Er pustet ihn weg. Empört blickt er drein. Ich löse seine Arme von mir und laufe schnell weiter in die Skihütte.

Ich schließe die Tür hinter mir und stemme mich für ein paar Sekunden gegen sie, als er hinein will. Dann bewege ich mich im Schnellgang zur Herrentoilette. Kurz darauf tritt er ein. Rückwärts laufe ich in eine Kabine und er folgt mir. Mein Rücken drückt sich gegen die Wand zur Nachbarstoilette. Beide Arme stützt er auf einmal an die Seiten meines Kopfes. „So schnell läufst du mir nicht wieder weg." Erst jetzt fällt mir auf, wie schnell meine Brust sich noch bewegt. Ich atme rasch und tief. Er lehnt sich nach vorn und drückt seine Lippen auf meine, bevor er schnell weiter zu meinem Kiefer wandert und mein Ohrläppchen sanft berührt.

Wiederwillig muss ich seufzen. Ich kriege seine Seiten zu fassen und ziehe an seiner Jacke. „Was, wenn jemand hier ist?", flüstere ich rasch.
„Ist niemand", bringt er mit seiner tiefen Stimme hervor und öffnet den Reisverschluss meiner Jacke. „Ich habe nachgesehen." , flüchtig, würde er wohl hinzufügen, wenn er nun nicht damit beschäftigt wäre, meine Taille zu halten. Ich bewege meinen Kopf in seine Richtung, weil ich wieder seine Lippen auf meinen spüren will und er erwidert diese Geste. Wir küssen uns. Doller. Länger. Ich öffne meinen Mund und drücke meinen Kopf stärker in seine Richtung, als plötzlich...

Quietsch. Die Eingangstür öffnet sich. Wir verharren sofort, wie zwei Skulpturen. Meine Augen sind groß und ich versuche meinen Atem so weit zu unterdrücken, wie es nur geht. Jungkook dreht langsam seinen Kopf. Ich blicke geradewegs auf seine geschwollenen Lippen, was es nicht besser macht. Ich presse meine ängstlich aufeinander. Ein Wasserhahn geht an. Jemand ist am Waschbecken.

Das Reißen von Tüchern ertönt, dann das Aufeinanderfallen des Mülleimerdeckels auf sein Gehäuse. Er verschwindet wieder. Ich luke zur Seite nur um zu bemerken, dass unsere Kabinentür nicht abgeschlossen ist. „Das war knapp", sagt er, den Blick zur Tür gerichtet.
„Warum hast du nicht abgeschlossen?", ermahne ich ihn. Rasch sieht er mich an. „Ist es jetzt meine Schuld?" Er lässt von mir locker.
„In gewisser Weise schon, ja."
„Dein Ernst? Wirklich jetzt?", fragt er mit hoher Stimme und weicht noch ein Stückchen zurück.

Er schließt die Augen und lächelt zynisch, dabei schüttelt er den Kopf. „Tae, es ist doch nichts passiert", sagt er beruhigend.
„Aber uns hätte jemand sehen können!"
„Die kennen uns doch nichtmal!"

Ich weiß nicht, was ich dem noch entgegenwerfen kann. Mein Herz schlägt unruhig und schnell. Vor Wut werden meine Hände warm. „Warum ist dir das überhaupt so wichtig?", fragt er. Ich weiß sofort was er meint.

Ich will nicht, dass jemand von uns weiß. Niemand.

„Weil-... Weil das alles für mich so neu ist. Du sagtest doch, dass ich jünger bin als du, also lass mir auch den Raum dazu."

Doch es ist nicht die Wahrheit. In mir herrscht diese große Angst, Erik könnte davon erfahren. Erik.
Sein Name kreist omnipräsent in meinem Verstand, als könne er nie verschwinden. Er ist immer da und vermiest alles, was ich tue.

Jungkook sinkt in eine Hocke, sein Gesicht vergräbt er in seinen Händen. Irgendwie ist es ulkig, das in dieser Toilette zu tun. Hier hatte bestimmt noch niemand einen Nervenzusammenbruch, einen Streit oder seinen zweiten richtigen Kuss. „Du hast Recht. Ich bin der schlechteste Freund der Welt", murmelt er.

Rasch hocke ich mich zu ihm und lege ihm meine Hand auf den Rücken. „Nein! Das bist du nicht."
„Ich bedränge dich doch, ich tue's, oder nicht?"
„Nein, hör auf damit." Ich zerre an seinen Armen, damit er wieder aufsteht, aber er folgt meinen Anweisungen nur gemächlich.

Als er wieder neben mit steht, reibt er sich den Hinterkopf und stößt einen tiefen Seufzer aus. „Ich glaube, wir haben das überstürzt, du und ich."

Weil ich nicht weiß, was ich dazu sagen soll, bringe ich einfach nur: „Das kann sein", hervor.

Er sieht mich kurz an, schaut dann aber wieder zur Tür. „Vielleicht ist es besser, wenn wir fürs Erste ein wenig Abstand voneinander halten. Eine Pause. Verstehst du das? Ja?"

Ich schlucke. „Liegt es daran, was ich gesagt habe? Ich nehme es zurück!", entgegne ich emotionaler als ich will.
„Nein-... Nein, es-... ich brauche ein bisschen, um mich darauf einzulassen", sagt er langsam.
„Bin ich dir zu kompliziert?"
Ich bin kompliziert, und überemotional. Deswegen mochte ich dich wahrscheinlich auch schon, als ich dich das erste Mal in der Schule gesehen habe. Ich kann nicht dasselbe andersherum erwarten."

Aber ich will keine Pause. Ich schaffe es nicht, die Wörter laut auszusprechen, denn im nächsten Moment drückt er die Tür und setzt zum Gehen an. Voller Mitleid betrachte ich, wie er mir ein letztes Lächeln schenkt. „Tut mir Leid", sagt er und verschwindet.

Eine Pause. Ich will aber keine Pause. Ich hasse mich dafür, dass ich wirklich denken konnte, dass es funktioniert. Wie konnte ich das überhaupt erwarten, nachdem ich ihn zuerst nur küsste, um Erik zu vergessen? Aber das stimmt nicht. Du mochtest ihn schon immer. Anders als er, kann ich den Zeitpunkt aber nicht benennen. War es, als wir gemeinsam einen Crêpe auf dem Weihnachtsmarkt aßen? Als du mir wenig später deinen Lieblingskünstler vorgespielt hast? Oder als wir unter der Tribüne, beim Lacrossespiel standen? Kalt wie Alaska, habe ich gesagt. Aber mit dir, fühle ich mich nicht kalt. Mit dir ist mir heiß. Ich spüre Hitze am gesamten Körper, als ich auf mich herunterblicke und meine geöffnete Jacke betrachte.

Nein, ich kann nicht ehrlich zu dir sein.
Das werde ich wohl nie können.

Ich trete raus ans Waschbecken und stütze meine Hände daran. Als ich plötzlich Seungmin im Spiegel sehe, erschrecke ich mich und zucke wild zusammen. „Tut mir Leid", sagt er und legt mir seinen Arm um die Schultern. „Ich wollte nicht, dass du dich so erschreckst."

Ich schüttle seinen Arm ab. „Nein, alles Gut." Meine Arme halte ich vor meinem Oberkörper. Jungkook hat gerade... mit mir Schluss gemacht. Irgendwie. Ist Pause denn nicht ein Synonym für Schlussmachen?

„Ist alles okay?", fragt Seungmin und bleibt wie angewurzelt stehen.

Ich atme einmal tief ein. „Ja."
„So sieht es aber nicht aus." Weil es auch nicht so ist.

„Was machst du eigentlich hier?" Ich hebe meinen Kopf.
„Ich musste auf... Toilette?" Ein Fragezeichen ballt sich in seinem Gesicht. „Aber du hast Recht, wir sollten uns beeilen. Die fahren sonst noch ohne uns."

Hitze | VkookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt