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📍Taehyung

Scheiße, scheiße, scheiße. Warum erzähle ich ihm überhaupt davon?

Ich fühle mich verwirrt, als ich mich zusammenreißen muss, nicht zu weinen. Scheiße. Seit wann bin ich so nah am Wasser gebaut? Ich weine nie. Bevor ich Jungkook kennengelernt habe, kann ich die jedesmal an weniger als zwei Händen abzählen: 1. Finger, als meine Mutter krank geworden ist. 2. Finger, als meine Mutter in die Intensivstation eingeliefert wurde. 3. Finger, als meine Mutter gestorben ist. 4. Finger, einen Tag nachdem meine Mutter gestorben ist (und viele Tage danach noch). 5. Finger, als ich ins Kinderheim gekommen bin. 6. Finger, als ich das erste Mal bei den Carterfields war. Und zum Schluss der 7. und letzte Finger, als Erik mir das erste Mal eine Backpfeife gegeben hat.
Das letzte Mal weinen ist damit schon drei Jahre her. Sofern man den Ausrutscher hinter dem Restaurant nicht mitzählt.

Und jetzt stehe ich hier vor ihm und tue es wieder, sodass nichtmal Finger gemeinsam mit Zehen, Ohren und Augen dazu ausreichen würden, es zu zählen. Es ist mir unangenehm. Blut läuft in meine Ohrspitzen, meine Finger kribbeln vor Erregung des Schmerzes an meinen Armen. Auf eine mich-schämende Art, tut er gut. Eine Strafe für den elendigen Jammerhaufen, der ich bin.

„Du machst dir den Mantel kaputt", bemerkt Jungkook ruhig. Perplex von seiner Bemerkung, sehe ich auf. „Heyy, hör auf, ja?" Er zieht meine Hände behutsam von dem filzigem Stoff. „Das bringt nichts, auch wenn es sich so anfühlen mag. Außerdem schätze ich deine Aufrichtigkeit, ehrlich."

Unbeholfen und zögerlich zieht er mich in eine Umarmung. Obwohl meine Fingernägel sich nicht mehr in meine Jacke bohren, halte ich meine Arme noch immer eng umschlungen vor mir. In den Seinen drückt sich meine Schulter gegen seine Brust. Sein Herz spüre ich pochen, als würde es in meinem Oberarm schlagen, aber nur ganz leicht.

„Es geht schon, danke", sage ich und versuche mich aus seinen Armen zu winden. Es braucht ihn einen Moment, bis er seine Kraft löst und ich es schaffe.

Tae, geht es dir wirklich gut?", fragt er. Da ist so etwas bemitleidendes in seinem Blick, das mir die Kotze hochdrückt. „Ja", antworte ich nur und mache eine resignierende Handbewegung.

Auf einmal sind wir distanziert, wie zwei Fremde. Im Grunde genommen sind wir das doch auch. Und ich weiß nicht, ob ich das ändern will. Dass ich vor ihm nicht mein Maul halten kann, macht mir Angst. Er macht mir Angst, irgendwie.

Ich wende meine Augen von ihm ab und sehe zur Seite. „Erzähl das bitte keinem," sage ich trocken.
„Wieso willst du das nicht?"
„Liegt das nicht auf der Hand?", frage ich unfreundlicher als ich es will.
Er bleibt still, auf eine Antwort wartend. „Damit mir Leute wie du nicht nachlaufen. Versteh mich nicht falsch, aber ich hasse Mitleid." Ich schaue flüchtig zu ihm, um seine Reaktion zu begutachten, aber da passiert nichts in seinem Gesicht. Selbst wenn er konsterniert ist, versteckt er das wahnsinnig gut. Als würde er mich entwaffnen. Von hinten ein Messer in den Rücken rammen. Aber nein, Jungkook würde sowas niemals tun.

„Und doch erzählst du mir davon. Tut mir Leid dich zu enttäuschen, aber bevor du mir von deiner Krankheit erzählt hast, dachte ich, dass du nur eine schlimme Form von Asthma hättest oder so. Das jetzt ist deutlich schlimmer. Und ich muss dich nochmal enttäuschen, denn so schnell los, wirst du mich nicht." Ein leichtes, ironisches Lächeln malt sich auf seine Lippen. „Ich bin deine abweisende Art schon gewöhnt, also tu nicht so, als würdest du mich nicht mögen."
„Was soll das jetzt heißen?", sage ich empört.
Wunderschönster Mensch der Welt, ich habe dich nicht überhört."

„Mir ging's nicht gut", rechtfertige ich mich.
„Trotzdem", besteht er ungewohnt selbstgefällig.

Ich will ihm gegen die Brust hauen, lasse es aber, denn sonst wirke ich nur wie ein hilfloses Kind. „Du Arsch", sage ich stattdessen. Ich versuche ihn so unterschwellig wütend anzusehen, wie ich nur kann, aber es klappt nicht. Denn obwohl ich es will, bin ich nicht sauer.

Er stößt nur einen Lacher aus. „Die Wahrheit schmeckt nicht gut, oder?", sagt er.

Er wendet mir den Rücken zu und begibt sich Richtung Ausgang. Bevor er die Türklinke betätigt, dreht er seinen Kopf zur Seite. „Und übrigens: Ich behandle dich nicht anders wegen deiner Erkrankung. Aber falls du mal darüber reden willst, weißt du, zu wem du kommen kannst."

Die Tür schließt sich. Jungkook ist weg.

Hitze | VkookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt