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📍Jungkook

Was für ein Pech, dass ich als erster am alten Caféhaus ankomme und auf die anderen warten muss. René - hätte ich gewusst, dass sie ihn einlädt, hätte ich dem nie zugestimmt. Unsere ‚Beziehung', wenn man es so nennen will, hielt gerade mal einen Abend und war eher ein Zweckgrund von uns beiden unsere ersten Erfahrungen zu sammeln, als die wahre Liebe.

Dennoch werden meine Knie weich, als ich ihn von weitem sehe. Die blonden Locken trägt er noch immer halb auf der Stirn. Seine Haut ist nicht mehr so blass, sondern leicht braun von der Sonne. Die Augenbrauen aber noch genauso gerade und einrahmend. Seine aschgrauen Augen treffen genau auf meine. „Salut Jungkook!" Er gibt mir einen Kuss auf jede Wange - in Frankreich begrüßt man sich so, dennoch überfordert es mich etwas.
„Hey!", entgegne ich. „Ich wusste gar nicht, dass du hier bist."

Er lächelt noch immer. Sein französischer Akzent ist ihm nicht zu verkennen, doch er spricht deutlich besser, als wir uns das letzte mal sahen. „Moi aussi, aber meine Gasteltern haben mich invité. Pour célébrer Noël!" - Um Weihnachten zu feiern!
Ich muss willkürlich schmunzeln. „Aber was machst du so, Jungkook? Wie geht es dir?"
„Gut." Bevor ich weiter auschweifen kann, treffen Marie und Levender ein. Die beiden müssen sich auf dem Weg getroffen haben. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass Levender nicht wusste, dass ich auch auf Jungs stehe, doch die Konstellation scheint ihn zu verwirren. „Ihr zwei kommt also auch mit?", fragt er.
Oui!", sagt René.
„Ja, Levender. Und hallo Marie."

Sie winkt mir flüchtig zu. Levender schüttelt nur den Kopf und geht auch schon mit ihr voran. „Wohin gehen wir?", fragt René mich.
„Nur ein bisschen Bummeln."
„Aha", sagt er interessiert. „Ich habe diese ville vermisst. Und dich auch."
„Wirklich?" Ich weiß nicht, warum mir mit einem Mal wärmer um die Brust wird.
„Natürlich. Café nach Café, alles wunderschön, oui."
„Wie ist es in Frankreich?"
Bien, aber ich bin froh, wenn die Schule vorbei ist. Die Prüfungen sind anstrengend."
„Du sagst es." Er dreht sich zu mir und sieht mich fragend an. Er hat mich nicht verstanden. „Das denke ich auch", wiederhole ich. Er nickt.

René hat so eine freudige Art an sich, die mir schon gefallen hat, als er das erste Mal hier war. Für ihn ist die Welt leicht, jede Ecke sehenswert und so vieles beeindruckend. In einer gewissen Weise, ist er Taehyung ziemlich ähnlich, obwohl man es vielleicht zunächst nicht denken würde. Die Sicht für das Schöne teilen sie beide, obwohl letzterer das wahrscheinlich nicht zugeben würde.

Mich stört, dass meine Gedanken in jeder freien Sekunde zu Taehyung abschweifen. Ich frage mich, was er wohl tut, wie es ihm geht, ob er seine Untersuchungen im Krankenhaus als lästig oder hilfreich empfindet. Doch ich kriege keine Antwort - zumindest hat er noch immer nicht auf meine Nachricht reagiert.

René, mit seinem hellgrauen Mantel, der genauso nur dunkler auch aus Taehyungs Garderobe stammen könnte, stopft seine Hände in die Taschen, nachdem er einmal seine Handinnenflächen aneinander reibt. „Ist dir kalt?", frage ich.
„Nur ein bisschen. Kanadischer Winter ist anders als französischer. Aber danke, dass du fragst."

Wir schreiten an Cafés vorbei, an welchen René mutmaßt, wie es wohl wäre ihn ihnen zu arbeiten. Hier bekommt man viel Trinkgeld, dort gibt es zu jeder Saison spezielle Getränke. Als ich nach vorn blicke, hält Levender Maries Hand. Sie wirken vertraut. Ich verstehe gar nicht, warum Marie erst so abgeneigt von ihm war.

„Weißt du Jungkook." Ich wende mich zu René, er schaut aber weiter geradeaus. „Es gibt nicht viele Menschen wie dich."
„Was meinst du damit?", frage ich.
„So ehrlich, umsorglich? Ist das ein Wort?"
„Ja. Prendre soin de l'autre." - Sich um jemand anderen kümmern. „Ich denke, es gibt viele wie mich. Ich bin nichts besonderes." Diesen Gedanken habe ich schon verworfen, als mir klar wurde, dass aus mir kein Lacrosse Ass wird. „Niemand ist das", sagt René. „Aber du sagst das nur, weil du zu bescheiden bist."

Seine Worte lassen mich noch lange nicht los. Wir Lachen, berühren den anderen dabei flüchtig am Arm oder der Schulter. Irgendwann lösen wir uns von Marie und Levender und setzen uns in eins der Cafés, das René auf dem Hinweg als besonders schön erachtete. Wie der Zufall es will, heißt es Vivre comme en rêve. Leben wie im Traum. Wahrscheinlich hat er es auch deswegen ausgewählt, weil ihm das Französisch so heimisch vorkam.

Leben wie im Traum. Der Satz kreist durch meinen Kopf. „Würdest du gerne... vivre comme en rêve?", fragt er ungeschickt. 
„Wer würde das nicht wollen?"
„Ich weiß nicht, aber sind Träume nicht mehr irréel als réel?"
„Träume lehnen sich an das Leben an, wie Filme oder Bücher."
„Das macht sie noch lange nicht réel."

Aber ich möchte, dass sie réel sind. Alle meine Gedanken, meine Hoffnungen, die Szenarien in meinem Kopf. Ich will, dass sie so leicht sind wie Träume. Genauso einfach und unkompliziert.

Vielleicht sind es seine Augen, in die ich sehe, die mir sagen, ich bin so ein Traum. Irreal und doch real. Diese zwei Worte bleiben mir auch lange im Kopf. Alles von heute. Er.

Auf jeden Fall sage ich ja, als er mich fragt, ob ich noch mit zu ihm kommen will. Seine Gasteltern sind gerade einkaufen, als er die Haustür öffnet. In seinem Gästezimmer lässt er sich auf sein Bett fallen. Ich setze mich an die Kante.
„Bequem?", frage ich.
„Sowasvon."

Und wie es geschieht, komme ich ihm näher und näher, stütze mich leicht über ihn und mache die Zentimeter zwischen unseren Lippen zunichte. Alles ist so... federleicht. Wie ich seine Locken um die Finger zwirble und er mir meinen Pullover auszieht.

Es ist dann, als mir mit einem Mal unwohl wird.

Hitze | VkookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt