📍Taehyung
Im Bus auf dem Rückweg, sitze ich wieder neben Seungmin. Es ist, als wäre nichts zwischen der Hinfahrt und jetzt passiert. Obwohl, das ist es doch, denn nun, spricht Jungkook nichtmal mehr mit mir.
Als ich zu ihm ein paar Sitze nach hinten schiele, starrt er abwesend aus dem Fenster. Ich tue es ihm gleich und lehne meine Stirn an die kühle Scheibe. Das ist das Näheste, das ich wohl an ihn herankomme.
Wir steigen aus in die Dunkelheit vor der Schule. Ich will meinen Koffer aus dem Kofferraum des Reisebusses ziehen, da kommt mir Jungkook zuvor. „Hier", sagt er nur, ohne mich richtig anzusehen und überreicht ihn mir. Anstelle ein danke zu erwidern, zwinge ich mir nur ein halbherziges Lächeln auf die Lippen. Für einen Moment glaube ich, dass es noch etwas von sich gibt, dann verschwindet er aber mit seinem Gepäck Richtung Busstation.
Meinen kleinen Koffer muss ich selbst nach Hause transportieren. Die Busfahrt stößt in mir Gedankenspiralen bezüglich Jungkook an und auch als ich vor meiner Haustür stehe, ist es nicht besser. Ich betätige die Klingel, von innen hört man darauf Schritte. „Hallo mein Schatz!", sagt meine Mutter freudig und zieht mich in eine feste Umarmung. Wie ein Baumstamm stehe ich starr da, kann aber nicht anders, als leicht zu schmunzeln.
Frau Carterfield nimmt die Rolle als meine Mutter wirklich gut ein. Und irgendwie wird sie auch immer meine Mutter bleiben, auch nachdem ich volljährig bin, da bin ich mir ganz sicher. Aber meine leibliche Mutter ist sie trotzdem nicht. Das wird sie nie sein können. Diese unterschwellige Verbindung durch die DNA, das wortlose Verstehen und das Ziehen in meiner Brust, als ich sie sterben sah: Das gehört nur meiner Mutter.
Mein Vater kommt herangetreten und nimmt mir meinen Koffer ab, um ihn mir dann die Treppe hochzutragen. Obwohl ich nie einen anderen Vater kannte, fühle ich zu ihm eine größere Distanz als zu Frau Carterfield. Aber ich glaube, dass das mit Vätern normal ist.
Der schrecklichste Mensch, den ich kenne, taucht hinter meiner Mutter auf, als sie mich loslässt. Die Arme unschuldig hinter dem Körper versteckt, ein hässliches Grinsen zeichnet sein Gesicht. „Hallo Bruder, Willkommen zuhause. Wie war die Fahrt?", fragt er. Seine Stimme ist wie ein Dominostein, der umkippt und mich innerlich zerrüttet. So habe ich das noch die wahrgenommen.
„Hallo Erik."
„Ich glaube ihr habt euch ein bisschen was zu erzählen. Ich mache dann schonmal das Abendessen fertig. Ihr könnt solange noch hochgehen, ich rufe euch dann", sagt meine Mutter, wirft mir noch ein Lächeln zu und verschwindet in der Küche.Ich brauche ein bisschen, um mich darauf einzulassen, schwirren Jungkooks Worte durch meinen Kopf.
Mich kann man nicht lieben. Selbst du konntest es nicht. Und du bist der netteste, nachsichtigste und beste Mensch, den ich kenne. Wer soll es dann schon können?
Meine Glieder fangen an zu Zittern. Minimal, sodass er es wahrscheinlich nicht merkt... „Warum so nervös?", fragt Erik auf einmal mit gesenkter Stimme. Oder doch. Mein Atem ist schwer, meine Lunge sogar erdrückend schwer. Ich tapse ungeschickt zur Seite und stütze mich am Regal, während ich versuche tiefer und langsamer zu atmen. „Was ist los?", fragt er. Ich will glauben, dass seiner Frage ein wenig Mitleid beischwingt. Aber das tut es nicht. Ich weiß es selbst nicht.
Erik, mein großer Bruder. Sind ältere Geschwister nicht dafür da, dass man sich sicher bei ihnen fühlt? Denn das tue ich nicht. Ich fühle mich nie sicher bei ihm. Ich fühle mich nirgendwo anders unsicherer.
Meine Beine sind schwach und geben unter mir nach. Die Welt dreht sich nicht, steht aber auch nicht still.
Er tritt nach vorn und tastet meine Schulter, so wie ich verwirrt auf dem Boden sitze. Ich schrecke weg, als ich spüre, wie er mich berührt und schreie leicht auf. Ich bin wie in einer Trance und kann es nicht kontrollieren. „Scheiße, hör auf damit!", mahnt er mich leise an und stupst mich unsanft mit dem Fuß.
Hilflos versuche ich meine Augen aufzuhalten, denn sie sind schwer wie Beton. Scheiß Lunge, scheiß vererbte Krankheit, die mich irgendwann auch noch in die Knie zwingen wird. Und vielleicht ist das jetzt. Aber wäre das schlimm? Ich bin kaputt, ich bin kaputt, ich bin kaputt, wiederhole ich. Tränen sammeln sich in meinen Augen. „Mama!", ruft Erik und sieht alarmiert in die Küche. Nachgebend lasse ich meine Augenlieder zufallen. Meine Wangen werden heiß und nass. An meinem Körper fühle ich nur noch punktuell Hände und Arme. Jedes Mal, wirklich jedes einzelne Mal, schreie ich auf, zucke in mich zusammen und schlage sie weg. Wie ein Impuls blitzen sie durch mich hindurch, bis an die Fingerspitzen und Zehen, und mein gesamtes ich wehrt sich dagegen. Ich will nie wieder angefasst werden. Will nicht, dass Erik mir nochmal wehtut, mich hämisch angrinst oder in mein Zimmer kommt. Aber gleichzeitig, ist es mir auch egal. Denn das Leben ist sowieso traurig und voller Schmerz. Der Preis, es ist der Preis, denke ich. Aber ich kann ihn nicht mehr bezahlen.
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Drama is coming.
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Hitze | Vkook
Fiksi PenggemarLuft, Sauerstoff, Co2 - etwas, das jeder Mensch zum Leben braucht. Taehyung fehlt es, denn er ist krank. Kalt - Das ist das Erste, was Jungkook über seinen neuen Mitschüler denkt. Der aufgeschlossene neunzehnjährige ist fasziniert von ihm, nicht zu...