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📍Taehyung

Jungkooks Eltern sind geschieden. Woher ich das weiß? Er hat es mir gerade selbst gesagt. Und um ehrlich zu sein, habe ich mir das schon gedacht, als ich die kleine Wohnung gesehen habe.

Nicht, dass ich Vorurteile hätte, nein, ich nenne es lieber persönliche Erfahrung, aber das wird er vielleicht noch früh genug Erfahren. Oder nie.

Für ihn scheint es ein großes Ding zu sein, von der Scheidung seiner Eltern zu sprechen. Als wäre es ein Makel von ihm. Mit diesem Gedanken habe ich das Gefühl, Ansätze von Erik in ihm wiederzufinden. Aber Erik hätte mich nie bei ihm übernachten lassen. Obwohl, wahrscheinlich schon.

Ich frage mich, ob Jungkook mich das gleiche fragen möchte wie ich ihn. Natürlich nicht das gleiche, aber etwas, was ihn genauso persönlich betrifft. Wie etwa Welche Krankheit hast du?, und Wie lange sind deine Eltern geschieden?

Aber es bleibt ruhig.

In gewisser Weise ist Jungkook auch kalt, denke ich als er sich mit seinem Fuß am Stuhlbein hin- und herdreht und aus dem Fenster sieht.

Nicht, dass seine Art Kälte ausstrahlt. Viel eher ist sie eine Rüstung, welche die Außenwelt vor seinen inneren Gefühlen abschottet. Welche das sind?

Ich kann meinen Gedankengang nicht weiterführen, denn er dreht sich wieder zu mir. „Ich kann dir was zum Schlafen geben", sagt er ruhig. Kleidung? Tabletten? Eine weitere Decke? „Die Sachen sollten dir ein bisschen zu groß sein", fügt er hinzu. Also ersteres.

„Ja." Wie ein Hauch dringt es aus meinem Mund. Kurz darauf will ich mir jedoch den Kopf für meine Dummheit einschlagen. Ich kann doch nichts tragen, was keinen Rollkragen hat, ansonsten sieht er doch meinen Hals, der mindestens genauso schlimm aussieht, wie der Rest meines Körpers; seit gestern. „Oder es geht schon, a-alles Gut."

„Sicher?" Missbilligend schaut er mich an.
„Ja."
„Nein, ich gebe dir was. Was für ein Gastgeber wäre ich denn sonst", besteht er.

Er geht an seinen Schrank, zieht ein weißes T-Shirt und eine graue Jogginghose hervor und wirft sie mir zu. Ich blicke die Klamotten in meinen Händen an. Ein T-Shirt, gleich freier Hals und Arme. „Jungkook."
„Was ist?"
„Die Flecken, an meiner Haut, du weißt-...", stammle ich.

Auf einmal liegt eine Besorgnis in seinem Blick, die mich einfängt und ummantelt wie süßer Honig. Ehrlichkeit - warum bringst du mich dazu, sie in Erwägung zu ziehen? „Die sind-... von der Sauerstofftherapie! Ja, genau." Und warum fühle ich mich schuldig, dich anzulügen?

„Achso", sagt er nur. Verwundert blinzelt er und wendet sich ab. Es scheint ihn nicht weiter zu beschäftigen. Gut so.

„Ich-... Ich wollte es vorhin nicht sagen, i-ich weiß nicht wieso", füge ich hinzu.
„Und deine Seite? Hast du dich wirklich gestoßen?"
„Ja, wirklich. Ich habe nur-... so schwer Luft bekommen und für einen Moment die Welt vergessen." Oder verlassen.

Treppengeländer oder in die Ecke einer Kommode geschubst zu werden, was spielt es schon für eine Rolle?
Jungkook darf es so oder so nicht erfahren, denn sonst bin ich meine Familie los.

„O-Okay ja, verstehe", entgegnet er. „Ich dachte schon, dir wäre sonst was passiert." Peinlich berührt reibt er sich den Hinterkopf.

Verlegen lache ich, zu meinem Glück merkt er nicht, dass es inszeniert ist. Einfach alles. Aber vielleicht ist es auch zu seinem Besten.

„Ich gehe jetzt duschen. Du kannst dich schon hinlegen, wenn du willst. Ich werde nicht laut sein."
„Ja, mach ich", antworte ich.

Bevor er die Zimmertür hinter sich schließt, sieht er mich nochmal an. Dann ist er weg.

Rasch ziehe ich mich um. Die Sachen sind weich, aber das Oberteil ist viel dünner, als ich es gewohnt bin. Ich hatte lange nichts mehr mit solch dünnem Stoff an. Reflexartig lege ich meine Hände an den Hals. Vorsichtig tapse ich an einen Spiegel heran und löse sie. Dunkle, violette Flecken, genauso wie an meinen Handgelenken selbst, zeichnen meine Haut. Ob er mir das abkauft?

Das hat er doch schon, überzeuge ich mich. Kein Grund zur Aufregung.

Ich beruhige meinen Puls durch einige langsame Atemzüge und knipse das Licht aus, um mich schlafen zu legen.

Nach einer Weile öffnet sich die Tür. Jungkook bewegt sich zu seinem Bett und knipst eine kleine Leselampe an. Das Licht ist dumpf, sodass der Raum sich noch immer dunkel anfühlt.

„Tae?", fragt er leise.
„Ja?"
„Tae, oh mein Gott", sagt er auf einmal aufgebracht.
Er kniet sich vor meine Schlafmatte. „Was ist?", frage ich und setze mich rasch auf. Dabei vergesse ich völlig meinen Hals, auf welchen sich sein Blick sofort richtet.

Ich halte meine Hand an ihn, um es zu verstecken. Langsam fährt er mit seinen Fingern an meine Haut heran. Oh mein Gott, was macht er da?

Mit Feingefühl nimmt er meine Hände und legt sie beiseite.

„Ich habe noch nie sowas gesehen", murmelt er, noch immer fokussiert auf meinen Hals. Seine Finger streifen sanft meine Haut, wie Federn oder ein Federkissen. Ach, keine Ahnung, ich kann nicht mehr klar denken. Ich sehe nur seine Augen und die Konzentration, welche sie widerspiegeln.

Mit einem Mal wünsche ich mir, dass er mich am Hinterkopf greift und zu sich zieht, um mich zu küssen. Damit ich vergessen kann, wie sich Eriks Mund auf meiner Haut anfühlt. Wie sich seine Hände an meinem Hals anfühlen.

Mich überkommt eine schreckliche Gänsehaut.

Jungkook, was machst du mit mir?

Hitze | VkookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt