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📍Taehyung

Habe ich gehofft, dass Jungkook wie ich in Südkorea geboren ist? Ja, vielleicht. Macht das den einzigen Grund, warum ich mit ihm mitgekommen bin zu Nichte? Auch: ja, vielleicht. Plus Lebensfreude, ohne sie wäre ich wahrscheinlich auch nicht hier.

Gemeinsamkeit, etwas, dass das Herausstechen aus der Masse erträglicher macht. Und doch assimiliert sich Jungkook mit Perfektion. Er spricht die zweite Landessprache, gehört zu den bekanntesten Schülern unserer Schule, wahrscheinlich auch wegen Erik.

Ich esse den Crêpe auf und werfe Serviette und Pappteller in einen nahestehenden Mülleimer.
„Du hast noch Puderzucker an der Wange", bemerkt Jungkook. Er zeigt auf die rechte. Ich wische mit der Hand darüber.
„Ist immer noch da." Er nimmt den letzen Happen in den Mund und zerknüllt den Teller. „Warte."
Mit seiner Serviette streicht er mir kurz über die Gesichtshaut. Wäre er nicht so schnell, hätte ich sein Handgelenk gegriffen, es festgehalten und vielleicht auch, ich mache das selbst, gesagt. Aber so kommt es nicht. So ist es nicht. Stattdessen kribbelt meine Wange und ich denke, dass seine Finger weich sind. Weich.

„Wollen wir weitergehen?", fragt er.
„Ja." Ja und ja.

Er bewegt sich weiter und ich gehe neben ihm her. Es ist sein Schritt dem ich folge, nicht andersherum. Nach zwei Jahren und den durch Weihnachtszeug verklärten Wegen kenne ich mich hier nur wenig aus. Ich war nie oft in der Innenstadt, vielleicht nur drei-, viermal. Jungkook wohl schon deutlich öfter, oder er hat ein fotografisches Gedächtnis oder sowas.

Nein, er ist einfach nur nicht krank wie du.

Genauso oft wie mir Menschen unter die Nasenlöcher starren, ignorieren sie mich auffällig absichtlich, um nicht unhöflich zu sein. Ersteres finde ich deutlich schlimmer. Sollen sie mich ruhig als Schatten sehen, diese Rolle habe ich mir doch auch selbst zugeteilt - oder nicht?

„Bist du morgen auch beim Lacrossespiel?", fragt Jungkook nach einiger Zeit.
„Ich hatte nicht vor hinzugehen."

Seine Schritte sind langsam. Ein langsames Schlendern und ab und an tritt er Schnee mit der Fußspitze.

„Dein Bruder spielt doch?"
„Ja."
„Du bist wohl nicht so daran interessiert."
Nein. Ich mag Lacrosse nicht. Ich finde dieses Spiel sogar albern. „Können wir bitte nicht über Erik reden?"
„Ja, natürlich, tut mir Leid", sagt er sanft. „Was machst du denn gerne, in deiner Freizeit?"

„Ich-..." - Was mache ich gerne?, „höre Musik", antworte ich.

„Was für welche?" Sein Blick schweift umher. Stände, an denen man heiße Schokolade kaufen kann, und ein kleiner künstlicher Wald, in dem man Glühwein trinkt, ziehen an uns vorbei.

„Verschiedenes."
„Du hörst also Hard Rock und Balladen?" Er stößt einen kleinen Lacher aus.
Nein, eigentlich nur Acoustic." Mir ist peinlich, dass ich mich nicht dazu bringen konnte, ihm gleich richtig zu antworten.
„Die Acoustic-Playlist von Apple Music, kennst du die?", fragt er.
„Ja."
„Manchmal, wenn ich nicht schlafen kann, mache ich die an."
Das tue ich auch. Die höre ich sogar immer: auf dem Weg zur Schule, im Wartezimmer beim Pneumologen. „Ich habe bestimmt jeden einzelnen Song mit einem Herz markiert, damit mir Apple Music endlich gute Musik-Vorschläge macht", sage ich. Ich merke wie mir Blut in die Ohren steigt.
„Der Algorithmus ist nicht gut, oder?"
„Nein." Hastiger als ich will, schüttle ich den Kopf.

„Was für Musik magst du?", frage ich.
„Kennst du die beiden DPR-Künstler?"
„Ist das K-Pop?"
„Ja. Vielleicht ein bisschen Cliché, die haben aber wirklich gute Lieder, also Ian und Live."
Cliché, weil er koreanische Wurzeln hat. Verständlich nicke ich.

„Ich habe noch nie was von denen gehört", murmle ich. Auf einmal hält mir Jungkook seine Kopfhörer hin. „Wird Zeit das zu ändern." Erwartend sieht er mich an. Ich nehme den linken Ohrstecker, damit die Kabel noch für ihn ausreichen und er steckt sich den rechten ins Ohr. Auf seinem Handy öffnet er das hellrote Kästchen mit weißem Musikzeichen und sucht nach Moodswings in This Order. Wir gehen weiter, im Hintergrund läuft leiser Rn'B-Pop. Ich habe keine Ahnung was es ist, und es ist auch nicht wirklich mein Geschmack, aber spätestens nach den ersten 30 Sekunden von Welcome to the Show, glaube ich nicht, dass meine Ohren bluten müssen.

„Ist Gut", sage ich also.
„Findest du? Ich dachte, wahrscheinlich magst du es nicht."
„Nein, ich mags." Ich halte ihm den Ohrstecker hin und lächle ihn leicht an, damit er seine plötzliche Nervosität verliert.

Er stopft die Kopfhörer in seine Jackentasche und fasst sich durch sein schwarzes Haar. Ich beobachte ihn unauffällig (zumindest glaube ich das) von der Seite. Ein unwohles, stechendes Gefühl überkommt meinen Magen. Warum bin ich eigentlich mit einem der besten Freunde von Erik gemeinsam auf dem Weihnachtsmarkt?

Es braucht mich einen Moment zu realisieren, dass das stechende Gefühl auf meine Brust übergeht, nein, sogar schon die ganze Zeit von ihr stammt.

Nein. Ich denke einfach nur nein, nein, nein.

Hitze | VkookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt