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📍Taehyung

Jungkook hat seinen Pullover hier gelassen. Es ist bereits Montagnachmittag, nach dem ersten Schultag nach den Winterferien. Mein Handy zeigt 17 Uhr an, ich selbst liege auf meinem Bett und ziehe Jungkooks Pullover unter meinem Kissen hervor, unter dem ich ihn versteckte, sodass Erik ihn nicht findet.

Den weichen Saum streiche ich mit den Fingern und inhaliere den Duft des Nackenstoffes. Jungkook riecht geborgen; nach zuhause. All die schönen Momente, die wir in den vergangenen neun Tagen sammelten, nachdem Silvester vorüber war. Ich liebe dich doch auch, Tae. Mein Herz macht einen Satz. Ich hatte immer Angst vor Beziehungen. Vor der Liebe. Davor, dass es so wäre, wie Erik mit mir umgeht. Und ich hatte Angst, dass ich mich so daran gewöhnt hatte, dass ich ohne es nicht mehr könnte, auf eine verzwickte beunruhigende Weise. Dass ich nicht dazu fähig wäre, gesund und wahrlich zu lieben. Aber das tue ich nun. Weil Jungkook meine Gesundheit ist. Mein Wohlwollen hervorbringt, das ich für ihn hege. Wie sanft er meine Lippen mit seinen berührt. Wie vorsichtig er ist, wenn seine Hände meine nackte Haut streichen. Ich dachte, es wäre nicht möglich, dass sich jemand so sehr für mich interessiert. Und ich merke es. Dass ihm meine Meinung wichtig ist. Dass er mich respektiert. Etwas, das Erik nie getan hat. Und nachdem auch meine letzte Begegnung mit meinem großen Bruder zu einer milderen Version aus dem zerfallen ist, was er mir sonst antut, erlaube ich mir für das erste Mal seitdem ich elf bin, Hoffnung auf Veränderung. Jungkook spielt da sicherlich eine große Rolle.

Ich umarme seinen Pulloverstoff und sehne mich danach ihn wiederzusehen. In der Schule unterhielten wir uns nur in der Mittagspause miteinander. Er wirkte ein wenig abwesend. Vielleicht wird er krank, dachte ich, um seine trübe Stimmung zu deuten. Vielleicht.

Eriks Zimmertür öffnet sich. Es ist ein kaum hörbares Geräusch und doch nehme ich es wahr, wie ein Alarmsignal. Ich habe mich schon zu sehr daran gewöhnt, es zu hören und Horror zu erwarten. Mein Körper spannt sich deshalb an. Ich drücke Jungkooks Pulloverstoff fester, anstelle ihn zu verstecken, als könne er mich vor dem retten, was mir vielleicht blüht. Vielleicht geht Erik aber auch nur runter oder ins Bad. Erik wird mir nichts tun. Das letzte Mal tat er es auch nicht.
Seine Schritte entfernen sich von mir, da vernehme ich den Riegel der Glastür zu unserem Flur.

Nein.

Ich stehe so eilig auf, dass ich dabei fast mit dem Fuß umknicke. Den Pullover stopfe ich unter meine Tagesdecke und stelle mich an die Wand neben der Tür, sodass er mich ihr nicht sieht, sobald er sie keine Sekunde später öffnet. „Taehyung, ich weiß, dass du zuhause bist", sagt er spielerisch. Meine Nackenhaare stellen sich auf und meine Hände sind fürchterlich schwitzig. Ich atme so schnell, dass ich bereits die Ansätze einer Panikattacke erlebe. Eriks Schritt trägt ihn in meine Zimmermitte und ich nutze die Gelegenheit, komme hinter der Tür hervor und renne in den Flur. Ich muss es nur nach unten schaffen. Dort ist es sicherer, als im Bad.

Erik bemerkt mich gleich und rennt mir in mindestens doppeltem Tempo hinterher. „Du verdammte kleine Hurre", flüstert er, als er mich einholt. Meine Fingerspitzen ruhen bereits an dem Drehschloss der Glastür, als er seine Hände um meinen Torso schlingt und mich von ihm wegzieht. „Wo willst du denn hin?" Meine Füße schleifen hilflos über den Boden, während er mich rückwärts mit sich zieht und sich meine Rettung immer mehr von mir entfernt. Ich versuche mich zu lösen, doch hat das nie funktioniert. Erik ist zu stark. Und ich bin schwach. Ein Lämmlein, das mit einem Löwen kämpft. Wer würde schon auf mich setzen?

Als ich zu seinen Armen hinuntersehe, finde ich Jungkooks Pullover in ihnen. Nein.
Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein.
Ich bekomme keine Luft mehr. Erik weiß bestimmt, dass das Kleidungsstück zu Jungkook gehört. Sie kennen sich doch so gut? Er wird es wissen. Das zwischen Jungkook und mir. Und er wird um sich fürchten. Dass ich weitererzähle, was er mit mir macht. Dass jemand wie Jungkook so viel vertrauen zu mir aufbaut, dass er mir glaubt. Denn wer würde es sonst tun? Erik, Captain des Lacrosseteams, gutaussehend, Frauenschwarm und dazu noch ein perfekter Schüler (durch mich). Wer würde mir glauben, wenn ich ihn beschuldige mir wehzutun? Und was würde dann aus mir werden? Wenn ich es den Carterfields erzähle, meinen Eltern? Erik ist immerhin ihr leiblicher Sohn. Ich bin es nicht.

Hitze | VkookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt