📍Taehyung
„Ok, in Ordnung."
Ich gebe ihm ein kleines Lächeln als Verabschiedung, ehe ich mich umdrehe und so schnell wie möglich im Gehschritt abhaue, ohne, dass es wie Power-Walking aussieht. Mein Atem wird schnell - Zu. Viel. Anstrengung.
In den nächst besten leeren Gang biege ich ein. Eine Fensterbank dient mir als Stütze, während ich versuche meinen Atem zu beruhigen. Hektisch taste ich meine Hosentasche ab. Das Notafallspray, es ist da. Ein wenig Erleichterung durchfährt mich.
Er hat mich gesehen, angeschlossen an Sauerstofftanks und etliche Luftfilter. Zugedröhnt mit Beruhigungsmitteln, sodass ich sein Gesicht fast nicht wiedererkannt hätte. Aber nur fast. Niemand sonst an der Schule hat so weiße Haut und pechschwarze glatte Haare wie er.
Ahh ist das peinlich.
Könnte man sich in Luft auflösen, wäre das jetzt eine gute Gelegenheit es auszuprobieren. Doch ich bestehe nicht aus gasförmigen Teilchen, die in der Atmosphäre davonziehen. Nein, nur festes Gewebe und eine kaputte Lunge.
Die Klingel läutet. Mit langsamen Schritt bewege ich mich in Richtung der Kunsträume.
Meine Mutter meinte, ich solle noch nicht wieder zur Schule kommen bis ich mich nicht besser fühle. Aber ich werde mich vielleicht nie besser fühlen als jetzt.
Als ich den Kunstraum im Keller der Schule betrete, bin ich froh den Jungen nicht zu entdecken. Ich kenne auch sonst niemanden. Zwei Jahre weg und schon ist mir mein Jahrgang bis auf wenige Menschen wie fremd.
Ich setze mich alleine in die erste Reihe. Nur wenige würdigen mich ihres Blickes. Ich bin wie ein Schatten, sage ich mir. Unbemerkbar, nur sichtbar für diejenigen bei denen ich es will. Wie der Junge in mein Gesicht starrte, ploppt in meinem Verstand auf. Dabei sah er mir nicht in die Augen, sondern nur unter meine Nase auf die Kabel. Er fuhr sie entlang, bis hinter die Ohren und bis sie unter meinem Schal verschwinden. Wahrscheinlich wollte er es gar nicht, das Starren. Und doch ist der Kunststoff an mir verlockender als alles andere.
Ist es nur das was Leute an mir sehen?, habe ich Erik mal gefragt. Wir waren jünger, unsere Beziehung war anders als jetzt. Er zuckte nur mit den Schultern. Ich könnte jetzt lügen und dir sagen, dass es nicht so ist. Aber ich weiß es nicht.
Stillarbeit, wir dürfen aber keine Musik hören. Kubismus ist unser Thema. Nachdem ich mich von einer Google-Bilder Recherche inspirieren lasse, greife ich zu Pinsel und Tuschkasten. Mir fehlt etwas um meinen Pinsel zu befeuchten. Ich muss aufstehen, den Rucksack setze ich dabei unauffällig auf. Die Sauerstoffflasche für einen achtstündigen Schultag ist schwer, doch ohne sie komme ich nicht weit.
Am Waschbecken nehme ich einen Becher und befülle ihn mit etwas Wasser. Jemand tritt neben mich. Ein großer rothaariger Junge blickt auf mich herab und starrt genauso wie der Junge vorhin unter meine Nase. „Was hast du?", fragt er. Er deutet auf die Kabel.
Wie ich diese Frage hasse. Sie ist unsensibel, sodass ich mir keine Form von Empathie erlaube. Ich rede einfach nicht gerne darüber. Nicht mit ihm oder anderen; mit niemandem.
Jemand taucht neben ihm auf. Vielleicht ein Freund. Zumindest packt er ihn an der Schulter. „Sowas fragt man nicht einfach so", ermahnt er ihn.
„Seungmin, jetzt spiel hier nicht die Moralapostel."
Seungmin ist so groß wie ich, trägt braunes wuscheliges Haar und hat genauso weiße Haut wie der Junge und ich. Seine Augen sind zu einem engen Strich verzogen als er mich ansieht, bei seinem Lächeln fühle ich mich gleich besser.Unbeholfen stehe ich mit dem Becher vor den beiden. „Setz dich ruhig wieder", Seungmin nickt zu meinem Platz.
„Danke."Die Doppelstunde vergeht rasend schnell. Hin und wieder drehe ich mich nach hinten, nur um zu sehen, dass ich einer der einzigen bin, die etwas zu Papier kriegen. Seungmin und der Rothaarige unterhalten sich angeregt mit ein paar anderen Jungs. Bei Ersterem kann ich sogar eine Zeichnung auf dem Tisch erkennen, während die anderen leere Blätter vor sich liegen haben.
Als es zum Schulschluss läutet, habe ich vor mir ein halb-fertiges Bild. Die anderen stürmen raus, Seungmin lässt sich mehr Zeit und verabschiedet sich sogar noch an der Tür von mir, bevor ich der letzte im Raum bin. Meine Lehrerin muss nicht abschließen, sie meint, ich kann noch etwas hierbleiben, wenn ich will und verlässt den Kunstkeller. Hierbleiben - es ist aber bedrückend leer.
Licht fällt nur über schmale Fenster auf Deckenhöhe in den Keller. Ich will aufstehen und die Deckenbeleuchtung einschalten, da sehe ich jemanden im Türrahmen stehen.
Der Junge lehnt sich mit verschränkten Armen gegen den grauen Eingang. „Ich wusste nicht, dass du Kunst hast", sagt er. Es klingt wie eine Rechtfertigung oder sowas. Ach, ich hab keine Ahnung.
Ohne ein Wort tritt er zu mir und betrachtet über die Schulter mein mit Pinselstrichen gefülltes Papier. „Ein Baum?", fragt er.
Er hat es erkannt, trotz der abstrakten Formen. „Ja."„Geometrische Formen... Habt ihr Kubismus?"
„Ja", antworte ich. Wieder nur ein ja. Ja und ja.„Deine Ärmel sind dreckig", sagt er.
Ich hebe meine Arme und drehe sie vor mir. An den Ärmeln meines dunkelgrauen Wollpullovers befinden sich verschieden grünfarbige Flecken. Hell und dunkel. Dazwischen ist auch ein wenig Braun.
„Sowas kann man rauswaschen, weißt du?"
Nein, weiß ich nicht. Ich liebe diesen Pullover und jetzt ist er hin. Ich will seufzen, tue es aber nicht.Den Stuhl schiebe ich zurück und stehe auf. Der Junge weicht einen Schritt zurück, bevor er meinen Tuschkasten greift. „Ich helfe dir."
Am Waschbecken gefrieren meine Finger beim Auswaschen der Pinsel von dem kalten Wasser. Der Junge lässt das Wasser über den Tuschkasten laufen. Ich verstehe nicht weshalb er mir hilft und wieso er schon wieder in meinem Leben aufkreuzt. „Bist du mit Erik verwandt?", fragt er auf einmal.
Ich nicke nur.
„Sein Bruder?"
„Ja."„Wie alt bist du denn dann?", fragt er. Den Tuschkasten tupft er mit einem Tuch vorsichtig ab und schaut immer wieder zu mir auf.
„Siebzehn." Im Sommer geworden, würde ich sagen, wenn wir Freunde wären, aber das sind wir nicht.Die Befragung lässt mich unwohl fühlen. Ich merke, wie ich meinen Atem unterdrücken will, damit mein Herz langsamer schlägt, doch ich darf nicht aufhören zu atmen. „Warum bist du hier?", frage ich.
„Ich muss meine Kunstmappe mitnehmen. Zur Oberstufe habe ich Musik gewählt, jetzt liegt sie hier nur noch rum."
„Du hast es also verpeilt."
„Kann man so sagen, ja."Jungkook reicht mir den trockenen Tuschkasten, wobei seine Finger meine streichen. Kalt, genauso wie meine. Ich will mich bedanken, vergesse es aber. Ich bin viel zu sehr davon abgelenkt, dass er sich schon wieder in meiner Nähe aufhält. Ich spüre wie verkrampft meine Schultern sind und lasse sie locker.
Er wendet sich auch schon von mir ab und wühlt in den Kisten neben dem Eingang. „Es sieht so aus, als hätten viele verpeilt ihre Sachen mitzunehmen." Verpeilt, er benutzt meinen Wortlaut.
Zwischen den Kunstmappen zieht er seine heraus. DIN A2, ganz schön groß. Sie passt gerade mal unter seinen Arm. Das Namensschild richtet sich zu mir, als wolle es, dass ich es lese: Jungkook Jeon, in hässlicher Druckschrift. Jungkook kommt auch aus Korea.
„Man sieht sich", verabschiedet er sich und winkt einmal. Nachdem er durch den grauen Türrahmen verschwindet, höre ich nur noch seine Schritte auf der Treppe, dann ist es still.
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Hitze | Vkook
FanfictionLuft, Sauerstoff, Co2 - etwas, das jeder Mensch zum Leben braucht. Taehyung fehlt es, denn er ist krank. Kalt - Das ist das Erste, was Jungkook über seinen neuen Mitschüler denkt. Der aufgeschlossene neunzehnjährige ist fasziniert von ihm, nicht zu...