📍Jungkook
Mein Herz rast als ich die Stufen hinuntergehe. Habe ich Tae bedrängt? Was ist Bedrängen überhaupt?
Manchmal fühle ich mich wie in eine Rolle gedrückt, die ich gar nicht bin. Ein Schauspieler auf der Bühne, der hinter den Vorhängen aber ganz anders ist. Auch bei ihm, immer bei ihm. Die Schulter zum anlehnen, der gefasste Schülervorstandsvorsitzende. Wieviel davon ist wahr, wieviel gelogen? Wie sehr bräuchte ich selbst so eine Schulter, wie sehr will ich sie am Liebsten für alle sein?
Aber wieviel versteckst du vor mir hinter einer Maske? Bist du das Phantom oder doch echt? Ich will, dass du echt bist. Sei echt bei mir, gerne auch nur bei mir.
Scheiße, bist du mir wichtig.
Verdammt, verflixt, Mist.Ich mache mir viel zu viel Kopf, oder?
...
Am nächsten Tag sitze ich im Politikunterricht. Risiken eines Staates, steht groß an der Tafel. So verträumt wie ich bin, habe ich den Anschein, dass mein Lehrer nur zu mir spricht. Aus seinen Mundbewegungen lese ich, ihr müsst Risiken eingehen (obwohl er wahrscheinlich etwas ganz anderes sagt). Will ich Risiken eingehen?
Der laute Dong reißt mich aus meinen Gedanken. Risiken, denke ich. Als ich Erik am Schuleingang entdecke, schwingt es in Risiko um. Erik weiß, dass ich bisexuell bin; spätestens seitdem er mich auf Lukas Weihnachtsparty letztes Jahr mit einem französischen Austauschschüler hat rumknutschen sehen. Heute bin ich darauf nicht stolz. Heute denke ich, dass die Liebe etwas besonderes ist, das nicht in einem Abstellraum hinter halb-verschlossener Tür praktiziert werden sollte. Aber geschlafen, habe ich noch nie mit wem.
Und vielleicht denke ich auch nur wegen dir so.
Erik, das Risiko. Hey Erik, ich glaube, ich habe mich in deinen Bruder verknallt. Weißt du, ob er auf Jungs steht? Als er mich anspricht, wird mein Rücken kalt und schwitzig. „Was geht?", fragt er und nimmt brüderlich meine Hand.
„Ach nichts. Nichts los Mitte Dezember", entgegne ich so beiläufig ich nur kann.Ich will mich gerade von ihm zum Bus verabschieden, als er nach mir ruft. „Du fährst doch mit Taehyung auf Klassenfahrt."
„Kursfahrt", berichtige ich ihn - „ja." Ich werde nervös. Ahnt er etwas? Er weiß noch immer nicht, dass Tae bei mir übernachtet hat. So wie er sich weigerte zuhause zu nächten, glaube ich auch nicht, dass er sich dazu gebracht hat, Erik davon zu erzählen.„Pass auf ihn auf, okay? Du weißt schon, wegen seiner Lunge und alldem."
Alldem - als wäre er... Ich weiß nicht was, aber es klingt nicht gerade nett.
„Mach ich."Vielleicht, denke ich, ist Erik ja besorgt um Taehyung. Ich will glauben, dass er ihn deswegen nie erwähnt hat. Dass es nicht an unserem Mangel an Freundschaft oder seiner schlechten Beziehung zu seinem Bruder liegt. Und obwohl Tae da so verschlossen mit umgeht, ist der Junge, den ich gerade mal seit knapp zwei Wochen kenne, dann doch aufschlussreicher als mein langjähriger Kumpel.
📍Taehyung
Eine halbe Woche vergeht und die Kursfahrt steht an.
Jungkook sehe ich das erste Mal nach unserem Ausflug aufs Schuldach aus nächster Nähe wieder, als sich unser Biokurs zusammen mit dem Mathekurs vor dem Bus sammelt. Per Zufall finde ich mich neben Seungmin wieder. „Ich wusste gar nicht, dass du mitfährst?", nimmt er mir die Wörter aus dem Mund.
„Kann ich nur zurückgeben", entgegne ich. Wir lachen kurz.Ich schiele zu Jungkook hinüber. Parka, dunkle Jeans, einfacher Pullover: er sieht aus wie immer. Seine Anwesenheit ist mir peinlich. Ich muss an das Lacrossespiel denken, und wie mir dort auch alles peinlich war.
Wunderschönster Mensch - habe ich das wirklich zu ihm gesagt?
Im Bus macht Jungkook keine Anstalten sich neben mich zu setzen. Einerseits bin ich froh drum, andererseits strömen meine Zellen Parathormone aus; Stoffe der Traurigkeit. Vor einer Woche wusste ich noch nicht wie sie heißen. Aber letzte Nacht, nachdem ich fertig mit Packen war, habe ich gegoogelt. Mittel gegen Trauer. Unbrauchbare Artikel über 10 Gründe warum frische Luft glücklich macht, bis hinzu Mami-Ratgebern, inwiefern tägliches Spazieren fit hält.
Parat-hormone, als hätte man sie eben immer parat. Man kann jeden Moment traurig werden; immer wäre es mir möglich zu weinen. Irgendwie macht mir das Angst, diese Verletzlichkeit. Ich will nicht mehr verletzlich sein. Aber wie soll das mit einer kaputten Lunge gehen, die jede Sekunde von meinem eigenen Körper verletzt wird?
Seungmin unterhält sich lange mit mir. Es ist, als würden seine Sätze nie enden. Nicht auf eine nervige Weise, eher ist es bemerkenswert, wie viel ihn begeistert. Und doch ist mir irgendwann nach Ruhe. Schlaf. Ich will in mein Bett.
Als wir durch einen dichten Wald fahren, schweifen meine Gedanken widerwillig zu Jungkook. Daran wie es sich anfühlt, wenn er mich berührt. Die Gänsehaut, die meine Haut am Hals durchfuhr, das Kribbeln in meinen Lippen. Als würde ich es jetzt spüren, denke ich mich nur tief genug hinein. Wie ein tiefes Meer, in das ich mich werfe, ist es dennoch sicher in seinen Armen zu verweilen. Wärme, ich fühle mich so selten warm.
Nach zwei Stunden Fahrtzeit kommen wir an der Jugendherberge an. Ein riesiger See erstreckt sich hinter ihr. Umringt ist das einstöckige Haus, das von außen eher an eine Sporthalle erinnert, von einem dichten Nadelwald, der etwas von Twilight hat, wenn man mich fragt (als ich zwei Jahre zuhause war, hatte ich viel Zeit).
Zwei Jahre ans Bett gefesselt. Teilweise sind die Erinnerungen so traumatisch, dass ich sie gar nicht mehr aufrufen kann. 9 von 10 davon, haben mit Erik zutun. Bevor seine Triebhaftigkeit begonnen hat, fand er es besonders lustig, mir wehzutun. Nicht wie der offensichtliche Schubser in seine Regalecke Von letzter Woche. (Un-)Versehentlich verschüttete er mal heißen Tee auf meine Hände, wonach er sich zig Mal (scheinheilig) entschuldigte. Ein paar Tage danach, als er mir einen Topf Wasser zum Inhalieren hochbringen sollte, drückte er meinen Kopf gewaltsam in die Schale, sodass ich für eine Minute nicht atmen konnte. Ich war so schockiert, dass ich still bleib und ließ sie damit über es gleiten wie Nebel, welcher das Geschehene unsichtbar macht.
Es ist zu spät, denke ich. Es ist zu spät den Nebel zu lichten. Sobald er einmal da ist, geht er nicht mehr weg. Und doch ist mir das lieber, als völlig allein zu sein. Ich will nie wieder allein sein. Nicht wie damals auf der Krankenstation, als ich verwirrt umherirrte und niemand mir half.
Niemand dir helfen konnte.
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Kleines spätes surprise Update! 🌟
Von nun an werde ich versuchen die Kapitel ein wenig länger zu gestalten. Ich hoffe ihr habt noch ein schönes Wochenende :)
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Hitze | Vkook
FanfictionLuft, Sauerstoff, Co2 - etwas, das jeder Mensch zum Leben braucht. Taehyung fehlt es, denn er ist krank. Kalt - Das ist das Erste, was Jungkook über seinen neuen Mitschüler denkt. Der aufgeschlossene neunzehnjährige ist fasziniert von ihm, nicht zu...