📍Jungkook
Mein Puls schnellt mit einem Mal hoch, obwohl ich das gar nicht will.
„Ja", sagt er nur. Es ist so leise, dass ich es eher an seinen Lippen ablese.
Für einen Moment fühlen sich meine Gliedmaßen taub an, ehe ich mich dazu bringen kann, weiterzugehen. Ja, ohne weiteres. Ich sehe ihn an und denke ja. Aber es sollte nicht so sein. Dieses ja. Diese Lust, wenn ihn ihn ansehe.
Bevor ich meine Frage bereuen kann, bedankt er sich kleinlaut bei mir.
In meinem Kopf tummeln sich unendlich viele Gedanken, warum Taehyung nicht nachhause will, aber keiner erscheint mir realistisch. Wie kann ein 17-jähriger Junge in einer ruhigen Kleinstadt Feinde haben? Mir fällt nichts anderes ein. Keine Freundin oder kein Freund könnte ihn so festhalten, was auch die Frage nach den blauen Flecken an seinen Handgelenken offen lässt. Aber als ich selbst siebzehn war, wollte ich manchmal auch nicht zuhause schlafen. Ich bin schlussendlich doch jedesmal nachhause gefahren. Am Liebsten wäre ich jedoch meiner Mutter ausgewichen, da sie anfing, mir immer mehr Druck wegen Lacrosse zu machen:
Entweder, du gehst das richtig an und finanzierst dir so ein Stipendium, oder du gehst den schweren Weg und lernst. So muss jeder da durch, ohne Abkürzungen oder Schnellstraßen. Letztere Metapher habe ich mir selbst dazugedichtet.
Aber Taehyung und seine mögliche missbräuchliche Beziehung/Affäre: Tut er einem so nicht schon genug Leid?
Ich sollte sowas nicht denken, ermahne ich mich.
Und auch nicht, ob er überhaupt eine Beziehung hat. Das geht mich nichts an, er hat es mir doch selbst gesagt.Ich hatte heute und die letzten Tage keine Zeit, um nach chronischen Lungenkrankheiten zu googeln. Und jetzt wo er bei mir sein wird, muss ich das wohl auf morgen verschieben.
Ich stecke meine Hände an der Busstation in meine Jackentaschen. Etwas befindet sich in einer - ein kleines Blatt Papier. Als ich es rausziehe, erkenne ich, dass es abgerissen ist. Eine Telefonnummer steht darauf.
Taehyung sieht mich von der Seite an. Sein Ausdruck ist wie ein Rätsel, das ich nicht lösen kann. „Die Kellnerin", sagt er nur.
„Du hast es gesehen?", frage ich.
„Dass sie dich mag, schon."Ich mustere den Zettel nochmals, ehe ich die paar Schritte zum Mülleimer gehe und ihn wegschmeiße.
„Deine Freundin wäre wohl nicht froh darüber", sagt er kühl.
„Welche-..." Der Bus unterbricht mich. Wir steigen ein und bleiben im Innenraum stehen.Still halten wir uns nebeneinander an den oberen Griffschlaufen fest, sodass es mir fast unangenehm ist. Was sage ich zu ihm? Etwas, nicht-anzügliches? Etwas freundschaftlich distanziertes, das nicht in ziellosem Smaltalk endet? Mir fällt nichts ein. Doch nach drei Stationen sind wir bereits da.
„Mein Zuhause ist deutlich kleiner als deins", sage ich beim Aussteigen.
„Wohnst du gleich hier?", fragt er und nickt zum Hochhaus.
„Ja." Ja, Taehyung. Und du kannst gerne immer mit zu mir fahren.„Nochmal danke", bringt er langsam hervor. Er reibt sich den Hinterkopf, als wäre es ihm unangenehm. Aber das muss es nicht sein, immerhin habe ich es ihm angeboten.
„Nicht dafür", entgegne ich.
„Sicher, dass deine Eltern kein Problem damit haben?", fragt er.
„Ich lebe nur mit meiner Mutter und nein, das glaube ich nicht." Mir ist gerade nicht danach, ihm von der Scheidung meiner Eltern zu berichten. Er hackt auch nicht nach; ich bin sehr dankbar dafür.Während ich den Schlüssel vor der Wohnungstür aus meiner Tasche krame, sehe ich flüchtig zu ihm auf. Wie distanziert wir uns miteinander verhalten, tut mir weh. Aber dazu trage auch ich bei. Und das solltest du auch.
Da fällt mir noch was ein. Sally, Taehyung muss mich mit Sally gesehen haben, als wir eislaufen waren. Sally ist meine beste Freundin, die nicht an unsere Schule geht, sondern immer in den Nachbarort fährt. Ich kenne sie über den Französischunterricht seitdem wir Kinder waren. Marie aus der Schülervertretung ist ihre beste Freundin und ich nehme dann wohl neben ihr den Platz als bester Freund ein. „Übrigens habe ich keine Freundin", sage ich noch beiläufig, bevor ich die Tür öffne.
„Hallo Jungkook!", ruft meine Mutter schon gleich und ihre Stimme hallt durch den Flur.
Ich begrüße sie ebenfalls durch Wände und ziehe meine Schuhe und Jacke aus, wozu ich Taehyung auch anleite, der einen Moment braucht, bis er mir in die Wohnung folgt. Habe ich ihn irgendwie aus dem Konzept gebracht? „Mama, ich bin nicht alleine", füge ich hinzu.Aus der Küche duftet es bereits nach frischem Essen.
Ich trete herein und lehne mich gegen den Türrahmen. Am Herd steht meine Mutter und öffnet den Reiskocher, ihren Kopf wendet sie zu mir. „Mama, das ist Taehyung, ein Mitschüler von mir. Kann er heute hier übernachten?", frage ich.Schüchtern steht Tae zur Hälfte hinter der Wand und lächelt sie unbeholfen an. „Natürlich! Freunde von Jungkook sind hier immer willkommen", sagt sie herzlich. „Komm ruhig rein." Sie gestikuliert rasch mit der Hand, schaltet den Herd aus und stülpt die Backhandschuhe von ihren Händen.
Ich wusste, dass sie nichts dagegen haben wird. Meine Mutter ist nämlich nett, hilfsbereit und offenherzig. Zumindest meistens. Wenn es nicht um dich geht, Jungkook.
Mit dem Arm weise ich ihn zum Tisch, ehe ich mich ebenfalls hinsetze.
Meine Mutter stellt das Essen auf die Tischplatte und schenkt uns Wasser ein. Ich bin froh, dass sie ihm nicht penetrant auf die Schläuche in seinem Gesicht starrt, sondern es nur unauffällig tut.
Taehyung beugt seinen Oberkörper ein wenig und bedankt sich bei meiner Mutter und mir. „Sag mal Taehyung, woher kommen deine Eltern?", fragt sie, als sie uns etwas von dem Reis und dem Kimchi auftut.
„Aus Südkorea. Ich bin dort auch geboren", sagt er. Überrascht heben sich meine Augenbrauen, was ich sofort unterbinde; ich habe nicht damit gerechnet, das er zu seinen biologischen Eltern referiert. Ich stelle mir das schmerzhaft vor, über sie zu sprechen. So wie wir beide miteinander reden und uns doch Sachen verschweigen.
„Sprichst du auch?", fragt sie interessiert, wobei sich ein Lächeln auf ihren Lippen bildet, das er erwidert.
„Ja-...Alltag-...fast nie-...benutzen", kann ich nur verstehen, denn Tae antwortet auf koreanisch, was ich nicht besonders gut beherrsche. Die wenigen Fetzen, die sich noch in meinem Gehirn festhalten, stammen allesamt noch aus meiner Kindheit.„Freuen mich", wahrscheinlich sagt sie eher Das freut mich, zumindest ist das Lächeln meiner Mutter soeben noch breiter geworden.
Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass meine Mutter mit Taehyung deutlich freundlicher und nachsichtiger umgeht als mit mir, doch mit einem Mal spüre ich Wut in mir hochkochen. Nicht sprudelnd heiß, eher wie eine kleine Kerze, die schon lange abbrennt. Auf jeden Fall ist mein innerer Drang dies zu beenden für einen Moment größer als mein Gewissen.
„Er ist der kleine Bruder von Erik, Mama", bringe ich schroff hervor.

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Hitze | Vkook
FanfictionLuft, Sauerstoff, Co2 - etwas, das jeder Mensch zum Leben braucht. Taehyung fehlt es, denn er ist krank. Kalt - Das ist das Erste, was Jungkook über seinen neuen Mitschüler denkt. Der aufgeschlossene neunzehnjährige ist fasziniert von ihm, nicht zu...