29 LIZ ‖ Unmoralisches Angebot

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Noch nie zuvor hat es eine Musikstunde gegeben, von der ich gehofft habe, dass sie möglichst schnell vorbei ist. Heute ist es so weit.

Luke ist nicht mehr aufgetaucht, nicht in der Mensa und auch nicht zum Musikunterricht. Worüber ich eigentlich auch ganz froh bin, denn es wäre sehr schwer für mich gewesen, seinen Anblick ertragen zu müssen.

Nach Schulschluss verlasse ich fluchtartig das Gebäude und renne schon beinahe zum Parkplatz, nur um festzustellen, dass unsere Limousine noch nicht da ist. Nervös trete ich von einem Fuß auf den anderen, denn ich will hier so schnell wie möglich weg. Ich will mir Nerdy-Liz vom Körper reißen und dann eine Stunde lang wie eine Irre auf dem Laufband rennen. Oder noch länger.

Nein, völliger Schwachsinn. Ich will mir meine Ibanez umhängen und in ohrenbetäubender Lautstärke etwa hundert Mal die Gitarrenstimme von Rammsteins 'Du hast' am Stück spielen und dabei so laut ich kann „Nein!" brüllen.

Ja, das ist es. Das ist es, was ich jetzt unbedingt brauche.

Ich fühle schon, wie sich ein klitzekleiner Hauch der Erleichterung in mir breitmacht, als ich mir das Ganze vorstelle. Ich muss nur schnell in die Villa kommen.

Suchend blicke ich mich um. Von Jo ist auch nirgends etwas zu sehen. Was ist da los?

Ich ziehe mein Handy aus meiner Tasche und eine Nachricht blinkt mir entgegen.

JO:
Mein Musikkurs ist ausgefallen. Ich fahre jetzt nach Hause. Luke hat mir gesagt, dass er sich nach der Schule mit dir trifft und dich dann heimfährt. Viel Spaß euch beiden! Und mach keinen Quatsch.

Wieso fühlt sich eigentlich ständig jeder dazu berufen, mir zu sagen, dass ich keine Dummheiten machen soll?

Ich schnaube. Soll ich jetzt ausrasten oder heulend zusammenbrechen?

Offenbar hat sich das Schicksal mich mal wieder als Opfer ausgesucht.

Ach komm, geben wir Liz doch nochmal eins aufs Dach. Sie hat ja erst ihre Familie, ihre Freunde, ihre Band, ihre Musikkarriere, ihre Heimat und ihr gutes Aussehen verloren.

Da geht doch noch was ...

Kurz überlege ich ernsthaft, ob ich zur Villa joggen soll, denn das würde mich garantiert wieder runterbringen. Mehr als fünf Kilometer können es eigentlich nicht sein. Dummerweise habe ich keine Ahnung, wie ich dahin komme. Sicher nicht über die Highways, die die Limousine immer nimmt.

Also bleibt nur ein Taxi als Alternative. Ich zücke gerade erneut mein Handy, als ein Auto auf den Parkplatz fährt.

Ein schwarzer Mercedes SL.

Verdammt. Auch das noch.

Panisch sehe ich mich um, denn ich muss hier schnellstens weg. Aber wohin? Die einzige Möglichkeit, sich irgendwie zu verstecken, ist das Schulgebäude. Also renne ich los.

„Liz!", höre ich Luke hinter mir rufen. Ich renne schneller, aber leider nicht schnell genug. Kurz bevor ich das Gebäude erreiche, greift mich jemand am Arm. Notgedrungen halte ich an und werde wieder losgelassen. Ich beuge mich vor und stütze meine Arme auf meinen Oberschenkeln ab, dabei keuche ich völlig außer Atem. Luke hinter mir scheint es nicht viel besser zu gehen.

Schließlich richte ich mich wieder auf und verschränke die Arme vor der Brust. Ich denke nicht daran, mich umzudrehen.

„Echt jetzt? Rennst du vor mir weg?" Der ungläubige Klang seiner Stimme lässt mich bitter auflachen.

„Wie kommst du bloß auf diese Idee?"

„Keine Ahnung? Sah gerade irgendwie danach aus. Ich würde ja gerne glauben, dass du schnellstmöglich zu unserem Date kommen willst, aber dafür rennst du leider in die falsche Richtung."

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