46 LIZ ‖ Das Tattoo

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„Danke, Sis! Echt. Das werd' ich dir nie vergessen." Das glückliche Lächeln und die leuchtenden Augen meines Bruders bringen mich zum Schmunzeln, obwohl wir in der letzten Woche eher Abstand gehalten haben und die Stimmung zwischen uns so mies war wie selten zuvor.

„Große Worte, Brüderchen. Schon okay, ich hab' dir nur ein Treffen verschafft, den Rest musst du selbst geregelt kriegen." Jo zwinkert mir zu, seine Laune ist anscheinend innerhalb von Sekunden vom Kartoffelkeller auf die Dachterrasse gestiegen.

„Das werde ich. Hoffentlich." Das letzte Wort ist nur noch ein von einer gerunzelten Stirn begleitetes Flüstern. Von jetzt auf gleich sieht er nicht mehr so selbstsicher aus, stattdessen zupft er nervös am Kragen seines beigen Streifenhemds.

„Hey. Sie hat mir versprochen, dass sie dich alles nochmal erklären lässt. Sei einfach du selbst, Jo, dann wird das schon."

„Tja, wenn ich wüsste, wer ich bin ..."

Der Satz hängt schwer in der Luft und ich fühle ihn zu hundert Prozent, denn mir geht es in letzter Zeit genauso.

„Du hast den ganzen Nachmittag Zeit, um in Ruhe mit ihr zu sprechen. Ich werde dich nicht stören, ich hab' bis heute Abend Bandprobe." So wie jeden Tag. 

Ich seufze. Diese Schulband übt beinahe öfter und länger als ‚Hurricane'. Zusammen mit der Schule und dem Lernen ist das inzwischen um vieles anstrengender als am Anfang und Freizeit ist absolute Mangelware geworden.

„Meinst du, ich sollte mich als Original-Jo mit ihr treffen?" Mein Bruder starrt Löcher in die Luft und zieht nachdenklich die Augenbrauen zusammen.

„Auf jeden Fall!", rufe ich fassungslos mit großen, erstaunten Augen. Er scheint maximal verunsichert zu sein, wenn er darüber auch nur nachdenken muss. „Aber zieh' dir vielleicht diesmal ein Shirt an." Mein Bruder verdreht hingebungsvoll die Augen und ich muss kichern.

„Ja, danke Sis. Nett, dass du mich immer wieder daran erinnerst. Okay, ich bin dann mal weg. Drück mir die Daumen."

Er dreht sich um und taucht in der Menge der sich so langsam in Richtung ihrer Klassenzimmer bewegenden Schüler unter.

Ich seufze und schließe meinen Spind. Es ist es Montagmorgen, aber diesmal hat mich Luke nicht abgeholt. Er hat das Wochenende bei seinem Dad verbracht und kommt von dort aus direkt zur Schule.

In der letzten Woche haben wir uns zwar häufig gesehen, aber immer nur im Beisein von anderen. Während der Unterrichtsstunden, in der Mittagspause und bei der Bandprobe. Inzwischen fahre ich auch wieder zusammen mit meinem Bruder zur Schule und zurück, weil es für Luke einen großen Umweg bedeutet, wenn er jedes Mal extra bei mir vorbeifährt. Ich will ihm nicht noch zusätzlich diesen Stress zumuten, denn er hat noch wesentlich mehr zu tun als ich, da Frank ihn offenbar rund um die Uhr um sich herumhaben will. 

Ich lächle vor mich hin als ich daran denke, dass er sich kaum dazu überreden ließ, seine Chauffeurdienste bleiben zu lassen. Ich musste meine sämtlichen Überredungskünste aufbieten und er hat sich nur bis nach dem Herbstball darauf eingelassen.

Da ich noch ein paar Minuten Zeit bis zum Beginn der ersten Stunde habe, beschließe ich, kurz die Toilette aufzusuchen. Mr. Parson hatte mir schließlich vor zwei Wochen dringend nahegelegt, das auf keinen Fall während seiner Chemiestunde zu erledigen.

Außer mir befindet sich niemand mehr auf dem stillen Örtchen, die meisten sitzen wohl schon im Klassenzimmer. Als ich fertig und gerade im Begriff bin, meine Kabine wieder zu verlassen, erstarre ich in der Bewegung, denn zwei sich unterhaltende Mädchen betreten den Raum und ihre Worte lassen augenblicklich das Blut in meinen Adern gefrieren. „Und? Erzähl! Ist Luke denn tatsächlich so gut, wie man hört?"

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