Rock me, Baby! ✓

60 LIZ ‖ Motivationsgespräch

„Das kann ich komplett vergessen, Mädels. Er sieht mich nicht mal an. Er hasst mich und will, dass ich von hier verschwinde. Er wird mir nie die Gelegenheit geben, mit ihm zu reden. Er wird mir nicht zuhören. Es sei denn, man sperrt ihn mit mir in eine Gefängniszelle." Frustriert stütze ich mein Kinn auf meiner Hand ab, denn mein Hals kann meinen Kopf auf einmal kaum mehr tragen. Der Geruch der verschiedenen Mittagsgerichte vermischt sich, hängt schwer in der Luft und verursacht eine quälende Übelkeit in meinem Bauch. Schon wieder.

Veronica zuckt elegant mit ihren Schultern. „Das war klar. Er ist ein sturer Esel, aber auf mich hört ja keiner. Ich hab dir gesagt, du sollst nichts mit dem Idioten anfangen."

„Das ist nicht hilfreich" faucht Pat, die links neben mir in der Mensa an unserem Nerdtisch sitzt. Sie bedenkt Veronica zu meiner Rechten mit einem giftigen Blick. Verblüfft mustere ich meine sonst so zurückhaltende Freundin. Ich hatte gar nicht gewusst, dass sie in der Lage ist, solche tödlichen Blitze aus ihren Augen zu abzuschießen.

„Du hast recht, tut mir leid. Denken wir lieber darüber nach, was wir unternehmen können", lenkt Veronica sofort ein. „Liz, du hast definitiv noch eine Chance. Nicht Hass ist das Gegenteil von Liebe, sondern Gleichgültigkeit. Wenn du ihm egal wärst, dann wäre das sehr viel schlimmer. Damit, dass er dich hasst, können wir arbeiten, denn das heißt, dass er nach wie vor starke Gefühle für dich hat."

„Ehrlich gesagt kann ich nicht besonders gut damit umgehen, dass er mich hasst", gestehe ich resigniert. Mein Blick wandert, ohne dass ich das will, zur Mitte des Saals an den VIP-Tisch und sucht nach ihm. Da wir nun nicht mehr Mitglieder der Band sind, haben Jacob und ich unsere Sitzberechtigung – oder auch Sitzpflicht – dort verloren und sind an unsere alten Plätze zurückgekehrt. Auch Veronica hat bei uns Asyl gefunden. Lukes Platz ist leer, genauso wie der von Linda, die neuerdings normalerweise an seiner Seite sitzt. Was vermutlich bedeutet, dass die beiden gerade zusammen sind.

Ich seufze leise als mein Blick verschwimmt, die Stimmen um mich herum zu einem undefinierbaren Geräuschpegel im Hintergrund verklingen, und stattdessen sein Bild vor meinem inneren Auge auftaucht. So klar und deutlich, als würde er direkt vor mir stehen. Ich muss mich zusammennehmen, um nicht die Hand nach ihm auszustrecken.

Seine dunkelblauen Augen. Das Funkeln darin, wenn er mich ansieht. Sein Lächeln, das mich glücklich macht. Seine Berührungen, die eine unglaubliche Hitze in mir entfachen. Seine weichen Lippen auf meinen. Seine starken Arme, die mich so sicher halten.

Die tiefe Sehnsucht in mir braust auf und wird zu einem tosenden Sturm, der meine Seele mit sich reißen will. Mit schrecklicher Gewissheit ist mir klar, dass ich sie nie mehr wiederfinden werde, wenn ihm das gelingt.

„Liz? Liz, was ist los?" Pats sanfte, besorgte Stimme schafft es, zu mir durchzudringen. Sie ist wie der rettende Schutzraum, in dem mir der wirbelnde Tornado nichts antun kann. Ich blinzle mehrmals und bin zurück im Hier und Jetzt.

„Gott sei Dank. Du warst irgendwie total weggetreten." Veronica ergreift meine Hand und streichelt ununterbrochen mit ihrem Daumen darüber, während sie mich forschend mustert.

„Soll ich dich nach Hause bringen, Sis?" Jo, der neben Patricia sitzt, beugt sich ein Stück vor und fängt meinen Blick mit seinen Augen ein, in denen sich die Sorgen spiegeln, die er sich seit Tagen um mich macht. Nachdenklich ziehe ich die Brauen zusammen.

„Ich weiß nicht." Mit einem leisen Seufzer lasse ich mich zurück in meinen Stuhl sinken, denn ich bin so erschöpft und ratlos wie selten zuvor. Aber eines weiß ich sicher: Wenn Jo mich jetzt nach Hause bringt, werde ich nicht mehr hierher zurückkehren. Dann bedeutet das meine endgültige Kapitulation und ich werde Nitas Angebot annehmen und von hier verschwinden. In diesem Fall werde ich die Tour mit ihr machen, auch wenn ich nicht restlos davon überzeugt bin, dass das die richtige Entscheidung ist. Bei meinem derzeitigen Gemütszustand bin ich mir nicht hundertprozentig sicher, ob ich den Verlockungen von Alkohol und sonstigen Rauschmitteln genügend entgegenzusetzen hätte.