36 LIZ ‖ Gefühlschaos

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„Willst du echt den ganz normalen Schultag durchziehen, Jo? Ernsthaft? Kannst du das?", rede ich wie ein Wasserfall auf meinen Bruder ein, als wir zusammen auf dem gepflasterten Weg vom Parkplatz zum Schulgebäude laufen.

„Denkst du, dass es besser ist, wenn wir zu Hause sitzen und Däumchen drehen? Wir sollten uns doch lieber hier ablenken lassen, bevor wir noch durchdrehen. Oder wohl eher, bevor einer von uns beiden durchdreht", gibt Jo lässig zurück, während er mir einen kritischen Seitenblick zuwirft. Mir ist vollkommen klar, wen von uns er mit 'einer' gemeint hat.

„Haha. Also wenn das kein Grund zum Durchdrehen ist, dann weiß ich auch nicht mehr." Ich kapiere es nicht. Unsere Karriere fällt gerade wie ein Kartenhaus in sich zusammen und Jo will lockerflockig zur Schule gehen. So langsam verstehe ich ihn nicht mehr. Unsere Zwillings-Connection scheint zur Zeit lahmgelegt.

Wie zur Bestätigung meiner Theorie bildet sich in diesem Moment ein glückliches Lächeln auf seinem Gesicht. Ich fasse es nicht! Wie zur Hölle kann er so debil vor sich hin strahlen, wenn wir gerade so eine Hiobsbotschaft erhalten haben?

Ich folge seinem Blick und entdecke eine Gestalt auf dem Weg, die auf uns zu warten scheint und dabei fröhlich winkt. Da wird mir doch so einiges klarer. Wie hypnotisiert starrt mein Bruder auf Patricia und trotz allem bildet sich auch auf meinem Gesicht ungewollt ein kleines Lächeln. Eigentlich ist mir überhaupt nicht zum Lachen zumute, aber es ist zu niedlich, wie verknallt mein Zwillingsbruder ist. So langsam begreife ich, warum Jo sich gar nicht so sehr aufregt und sogar noch einigermaßen zufrieden aussieht.

Oh Gott, hoffentlich lächle ich nicht auch immer so dämlich vor mich hin, wenn ich Luke sehe!

„Du hast mir immer noch nicht erzählt, wie es bei eurer Shoppingtour war, Jo." Ich kneife meine Augen leicht zusammen, während ich im Gesicht meines Bruders nach Antworten forsche. Vielleicht ist dort etwas passiert, was mir bisher vollkommen entgangen ist, weil ich gerade nur noch um mich selbst kreise? „Pat lässt sich auch jedes Wort aus der Nase ziehen. Habt ihr überhaupt was gekauft? Sie läuft immer noch genau gleich rum wie vor eurem Shopping. Also rück endlich mal mit der Sprache raus, Brüderchen", bohre ich weiter.

„Es war gut, hab' ich doch schon gesagt", erwidert mein Bruder abwesend und abweisend. Gerade kommen wir bei Pat an und sie begrüßt uns mit einer herzlichen Umarmung. Uns alle beide.

Aha. 

Na, dann werde ich die zwei mal alleine lassen.

„Ich geh schon mal rein, ich hab's heute eilig", murmle ich vor mich hin.

„Äh, ja, bis später, Liz. Wir sehen uns später in Englisch", ruft mir Pat noch beiläufig hinterher, bevor sie sich wieder ganz meinem Bruder zuwendet. Ich schüttle grinsend den Kopf über die beiden. Pat scheint inzwischen nicht mehr so verlegen in Jos Nähe zu sein und sie verstehen sich offenbar besser denn je. Das freut mich unglaublich für meinen Bruder.

Die Glasschiebetüren der Schule öffnen sich automatisch als ich davorstehe und ich betrete das lichtdurchflutete Foyer. Für ein paar Sekunden fühle ich mich tatsächlich etwas besser, habe wirklich die Hoffnung, dass sich die ganze Sache mit Hurricane als Missverständnis herausstellt und alles wieder gut wird. 

Leider ist die Besserung meiner Stimmung nur von sehr kurzer Dauer. Mein Blick streift auf der Suche nach Jacob, Pete oder Susan durch das Foyer, stattdessen entdecke ich Luke. Diesmal steht Linda nicht bei ihm, aber dafür Lucy Simmons. Das Mädchen, mit dem er auf der Party am Samstag rumgemacht hat. Sie steht verdammt nahe bei ihm. Soeben streicht sie sich mit einem koketten Lachen ihre Haare hinter die Schulter und legt damit ihren schlanken Hals frei. Der Ausdruck 'flirten' ist meiner Ansicht nach stark untertrieben dafür, was die beiden da gerade machen.

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