44 LIZ ‖ Seidener Faden

1.5K 131 83
                                    

Ich wache auf und bin glücklich. Wahrscheinlich sollte ich es nicht sein, denn mir ist nur allzu bewusst, dass mein Glück an einem seidenen Faden hängt, doch im Moment will ich mir darüber keine Gedanken machen.

Ich habe mich in jemanden verliebt. In jemanden, der so ganz anders ist, als ich anfangs dachte. Aber das Schönste daran ist, dass er unglaublicherweise auch in mich verliebt zu sein scheint. Und zwar in mich selbst – unabhängig von meinem Aussehen oder meinem Erfolg.

Eigentlich ist das der absolute Jackpot, denn jemand Besseren werde ich nie mehr finden. Oder jemand Ehrlicheren. Oder jemand Heißeren. Oder jemanden, der so verdammt gut zu mir passt, dass es mir schon fast Angst macht. Oder jemanden, der mich schon mit einer winzigen Berührung um den Verstand ...

Es klopft. Jetzt weiß ich auch, warum ich gerade aufgewacht bin. Es hat davor schon mal geklopft.

„Ja?!", rufe ich. Meine Stimme klingt heiser, denn wir haben viel zu viele Nirvana-Songs mitgesungen und dazu viel zu viel Wein getrunken. Luke hat mir gesagt, dass er meine Stimme liebt. Verträumt starre ich die Zimmerdecke an, als ich an die Taxifahrt denke, bei der wir wild rumgeknutscht haben. Genauso lange, bis er seine Hände in meine Haare schieben wollte. Was mich wieder einmal zur Erkenntnis bringt, dass ich ihm unbedingt alles erzählen muss.

„Oh gut, Sis. Du bist wach."

„Jetzt ja. Danke, Jo. Ich bin echt noch hundemüde. Wie viel Uhr ist es?"

Als keine Antwort kommt, richte ich den Blick auf die Tür, die mein Bruder gerade hinter sich schließt. Erstaunt reiße ich die Augen auf, denn er ist Nerd-Jo. Er trägt den Fatsuit, seine Brille samt Kontaktlinsen und hat die Gelfrisur.

„Sieben", murmelt er und lehnt sich dabei an die Zimmerwand.

Sieben Uhr? Sein Ernst? Was will er hier um diese Zeit? Und warum zur Hölle trägt er die Verkleidung?

Ich blinzle, runzle die Stirn und überlege fieberhaft. „Wir haben doch Sonntag, oder? Oder hab' ich vielleicht einen Tag durchgeschlafen und es ist schon Montagmorgen?"

„Nein, das passt schon. Es ist Sonntag und ich verstehe deine Verwirrung. Wie war dein Date gestern?"

Mit dieser Frage hat mich Jo am Wickel, denn ich kann es nicht verhindern, dass ein breites, seliges Grinsen auf meinen Lippen erscheint, während ich mich im Bett aufrichte und ans Kopfteil lehne. „Unglaublich schön. Fantastisch. Überragend. Es hat nur eine einzige Sache gefehlt, um das Glück vollkommen zu machen, aber die willst du nicht wissen."

„Schon gut, ich kann mir denken, was." Jo hebt abwehrend beide Hände.

„Ich hab' jetzt einen Freund, Jo." Ich seufze glücklich.

„Und ich eine Freundin."

Meine Augenbrauen zucken nach oben und ich starre meinen Bruder aus großen Augen an. „W... Was? Wer? Pat?"

Jo rollt theatralisch mit den Augen. „Nein, Rhianna. Natürlich Pat, du Genie."

„Natürlich", wiederhole ich perplex, bevor ich nachdenklich meine Stirn runzle. Deshalb das Nerd-Outfit. „Sie ist hier." Jo nickt. „Hast du ... Also habt ihr ... Aber wie?"

Er schüttelt den Kopf. „Natürlich nicht. Abgesehen davon, dass es schlecht möglich gewesen wäre, ohne dass sie das hier entdeckt ...", er deutet auf seinen runden Oberkörper, „... hätte ich das sowieso nicht gemacht. Ich will es langsam angehen lassen."

„Also schläft sie im Gästezimmer."

„Nein, in meinem Bett, aber wir haben nur ein bisschen rumgemacht. Komplett angezogen." Die leuchtenden Augen meines Bruders lassen mich aufspringen.

Rock me, Baby! ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt