58 LIZ ‖ Die Fremde

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„Du willst also ernsthaft diesen Idioten wieder zurückerobern? Bist du dir sicher, dass er den Einsatz wert ist?"

„Nenn ihn nicht so!", fahre ich meinen Bruder an. „Und ja, er ist es definitiv wert."

Jo wirft mir einen kurzen Blick zu, bevor er die Augen wieder auf die Straße richtet. Da wir nun keine Bodyguards mehr benötigen, fahren wir heute selbst zur Schule. Er steuert einen kleinen, silbernen Elektro-Mietwagen durch den dichten Morgenverkehr, weil wir beide die Limousine für übertrieben halten.

„Ich nenne ihn so, weil ich es idiotisch finde, dass er nicht mit dir redet. Die Chance, es zu erklären, sollte jeder bekommen. Und ich frage mich, ob er es wert ist, weil er noch in derselben Woche, in der er sich von dir getrennt hat, schon mit der nächsten Freundin ums Eck kommt. So jemand hat es meiner Meinung nach nicht verdient, dass man noch großartig um ihn kämpft."

Ich spüre ganz genau, wie die Worte meines Bruders, die leider einer gewissen Logik nicht entbehren, wieder Zweifel in meinem Herzen aufkeimen lassen. Sofort versuche ich, diese mit Totschlagargumenten zu vernichten, bevor sie mich erneut ins Grübeln bringen.

„Jo, glaub mir, es gibt gute Gründe dafür, warum er mir nicht zuhört. Er hat mir vertraut, obwohl er Probleme damit hat, jemandem zu vertrauen. Und ich habe ihm die ganze Zeit etwas vorgespielt, ihn angelogen und ihn damit sehr enttäuscht und verletzt."

„Oh ja, er macht es sich verdammt leicht. Drückt auf die Tränendrüse und kommt mit schwieriger Kindheit und Vertrauensproblemen an, um damit sein Kindergartenverhalten zu rechtfertigen. Für mich ist das alles kein Grund. Man sollte jemandem, der einem wichtig ist, wenigstens die Gelegenheit geben, sein Verhalten zu erklären. Er ist nun mal kein kleines Kind mehr. In seinem Alter sollte er es so langsam besser wissen."

Als ich leise schniefe, weil ich kaum die Tränen zurückhalten kann, richtet mein Bruder für einen kurzen Moment erneut seinen Blick auf mich. Seine Züge werden sofort weicher. „Sorry, Liz. Es ist mit mir durchgegangen. Ich weiß, wie viel er dir bedeutet, und hätte das nicht so hart sagen sollen." An seinem Tonfall kann ich deutlich hören, dass ihm seine Wortwahl aufrichtig leidtut. Trotzdem ist mir klar, dass er nur das ausgesprochen hat, was er wirklich denkt.

„Auch wenn du das nicht tust, Jo – ich verstehe ihn. Ich hätte es ihm damals sagen müssen, als er mir alles über sich erzählt hat. Eigentlich wusste ich das ganz genau, aber ich war zu feige. Vielleicht habe ich es vor mir selbst damit gerechtfertigt, dass ich dir versprochen hatte, nichts zu sagen, aber das war nicht der wahre Grund. Der Grund dafür war, dass ich eine riesengroße Angst hatte, ihn zu verlieren. Und diese dumme Angst hat nun dazu geführt, dass ich ihn erst recht verloren habe. Wenn er es von mir erfahren hätte, dann hätte er mir verzeihen können, das weiß ich. Das wirklich Schlimme an der ganzen Sache war, dass er es selbst herausfinden musste."

„Kann schon sein, dass du recht hast." Mir ist klar, wie schwer es Jo fällt, dieses Zugeständnis zu machen, deshalb schleicht sich ein kleines Lächeln auf mein Gesicht.

„Stell dir vor, es ginge um Pat. Würdest du nicht um sie kämpfen? Selbst wenn sie mit einem anderen Typen rumhängen würde?"

Er presst für einen Moment die Lippen zusammen und ich bemerke, wie seine Hände das Lenkrad fester umklammern. Der Gedanke scheint ihm gar nicht zu gefallen. „Doch, das würde ich. Ich würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, damit sie mir wenigstens zuhört." Er seufzt und nickt leicht. „Na schön, Sis. Meine Unterstützung hast du. Sag Bescheid, wenn ich dir irgendwie helfen kann. Und ... ähm ... bist du sicher, dass dein Outfit hilfreich ist, wenn du ihn zurückerobern willst? Auch wenn ich zugeben muss, dass das ein sehr schicker und geschmackvoller Pulli ist." Er hebt seine Brauen und lässt bedeutungsvoll seinen Blick über mich schweifen.

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