PROLOG

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Die zehn Minuten direkt nach dem Verlassen der Bühne verbringe ich immer alleine im Freien.

Ungestörte Zeit, die ich jedes Mal brauche, um den Kick des Konzerts zu verarbeiten. In mir pulsiert die grenzenlose Energie des Auftritts und des Publikums. Adrenalin rauscht durch meine Adern, weshalb mein Herz so sehr rast, dass es meine Brust zu sprengen droht. In mir brodelt es so heiß, dass ich selbst im tiefsten Winter nicht frieren würde.

Ich lehne mich an die kühle, schmutziggraue Außenwand der Halle, während die massive Stahltür hinter mir zufällt.

Mit geschlossenen Augen lasse ich den Abend in bunten, schrillen Bildern noch einmal an mir vorbeirauschen. Ein zufriedenes Lächeln huscht über meine Lippen, denn es war ein verdammt guter Auftritt. Jedes unserer Konzerte auf dieser Tour war bis auf den letzten Platz ausverkauft, aber das heutige Event in der Columbiahalle war ein Heimspiel und somit der krönende Abschluss.

Vom ersten Song an sprang der Funke auf das Publikum über und es war einfach unglaublich. Die Leute haben jedes einzelne Lied mitgesungen, sind total abgegangen und teilweise sogar völlig ausgerastet. Und zwar nicht nur bei den Songs von Jo, bei dem das dank seiner immer größer werdenden Schar an Groupies mittlerweile ganz normal ist, sondern auch bei meinen.

Endlich haben wir es geschafft und können uns ab nächster Woche voll und ganz auf die Plattenaufnahmen konzentrieren. Beim Gedanken daran, wie kurz wir vor dem endgültigen Durchbruch stehen, breitet sich ein erwartungsvolles Kribbeln in meinem ganzen Körper aus. Gleichzeitig spüre ich, wie die Erschöpfung langsam in meine Glieder kriecht, denn der Kick, den mir das Lampenfieber verpasst hat, lässt von Minute zu Minute nach.

Mit einem leisen Quietschen öffnet sich die schwere Tür neben mir erneut. Ich wende meinen Kopf und verdrehe die Augen, als ich unseren Schlagzeuger Denny erkenne. Doch schon im selben Moment hoffe ich, dass er es nicht bemerkt hat. „Hier bist du also", stellt er mit hochgezogenen Augenbrauen fest.

Als ob er das nicht wüsste. Und als ob er nicht ganz genau wüsste, dass mir meine zehn ungestörten Minuten nach dem Konzert heilig sind. Okay, vielleicht ist es ein bisschen meine Schuld, dass er mich jetzt stört, schließlich bin ich ihm in den letzten drei Wochen konsequent aus dem Weg gegangen. Etwas, das sich wirklich schwierig gestaltet, wenn man gemeinsam in einer Band spielt, auf Tour ist und quasi rund um die Uhr zusammen abhängt. Da war es fast unvermeidlich, dass er mich irgendwann alleine erwischt.

Denny kommt heraus, die Tür fällt hinter ihm ins Schloss und er lässt sich neben mir an die Wand sinken. Mit einem schiefen Lächeln reicht er mir eine Flasche Bier, fast wie ein Versöhnungsangebot. Dabei streiten wir gar nicht. Aber vielleicht müssen wir ein paar Dinge klären.

Ich nehme ihm die eiskalte Flasche ab und drücke sie an meine heiße Wange. Die Kälte tut gut und vertreibt die Müdigkeit, die in mir lauert und kurz davor ist, mich zu überwältigen. Ich lächle ihn an, als ich ihm ins Gesicht schaue und ein „Danke" murmle.

Seine schwarz gefärbten Haare sind zu einer coolen Strubbelfrisur gestylt, die den Auftritt dank Unmengen von Haarspray völlig unbeschadet überstanden hat. Ich schlucke, als mein Blick über seinen muskulösen Oberkörper gleitet, an dem das verschwitzte, schwarze, ärmellose T-Shirt mit dem blassen Totenkopf-Print klebt. Seine kräftigen Arme sind von den Schultern bis zu den Handrücken bunt tätowiert.

Der Typ ist ein Kunstwerk. Und ein verdammt guter Schlagzeuger. Kein Wunder, dass ich schwach geworden bin.

Ich reiße meinen Blick von seinem Körper los und richte ihn wieder auf sein Gesicht. Seine dunkelbraunen, mit schwarzem Kajal betonten Augen verengen sich und fixieren mich erwartungsvoll, gleichzeitig verziehen seine Lippen sich zu einem breiten Grinsen, weil ihm natürlich nicht entgangen ist, wie intensiv ich ihn gerade abgecheckt habe.

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