59 LIZ ‖ Der zweite Versuch

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„Okay, Liz. Ich drück dir die Daumen. Du wirst es hinkriegen." Mit einem aufmunternden Lächeln tätschelt Pat meine Schulter, das Mitgefühl springt mir aus ihrer Miene und ihren traurigen, goldbraunen Augen entgegen.

„Ja, bestimmt." Wenig überzeugt zwinge ich mich, ihr ein Lächeln aufzutischen und begebe mich dann auf Wackelpuddingbeinen zu meinem Sitzplatz in der letzten Reihe des Chemiesaals. Kaum habe ich mich niedergelassen, präsentiert mir mein Gedächtnis Bilder von den vergangenen Malen, an denen ich hier gesessen habe. Ich denke an unseren Streit am ersten Tag, ich denke an seine Hand, die sich am Montag nach der Party so frech auf meinem Oberschenkel auf und ab bewegt hat und ich denke an den Morgen, an dem wir hier zum ersten Mal als Pärchen aufgetaucht sind und ich glaubte, mit ihm an meiner Seite jedes Hindernis überwinden und absolut alles überstehen zu können.

Mein verschwommener Blick richtet sich auf den leeren Platz neben mir. Ich blinzle hektisch meine Tränen weg.

Luke ist noch nicht da, obwohl der Unterricht in zwei Minuten beginnt. Plötzlich kommen Zweifel in mir auf, ob er überhaupt erscheinen wird. Ein Gedanke, der die krampfenden Schmerzen in meinem Bauch nochmals verstärkt.

„Elisabeth, schön dass du wieder hier bist." Ich hebe meinen Kopf und begegne dem freundlichen Blick aus Mr. Parsons braunen Augen. Er steht direkt vor meinem Tisch.

„Danke", murmle ich leise. Meine Finger krallen sich unter der Bank in den Stoff meines Hoodies, weil ich das Gefühl habe, mich irgendwo festhalten zu müssen. Ich beiße die Zähne zusammen, um ihm nicht zu zeigen, wie miserabel es mir geht.

„Ich bin über die Gründe für deine kleine Maskerade nicht vollkommen im Bilde, aber ich gehe davon aus, dass das seine Berechtigung hatte, wenn die Schulleitung damit einverstanden war. Auf jeden Fall bin ich froh, dass die Gefahr nun überstanden scheint, welcher Art sie auch war."

„Ja, das geht mir auch so", gebe ich möglichst teilnahmslos von mir.

Er nickt lediglich, weil die laute Schulglocke gerade einsetzt und jede weitere Unterhaltung verhindert. „Gut. Und wo ist nun dein Nebensitzer abgeblieben? Kannst du mir das sagen?", fragt er, als das Klingeln endlich aufhört.

„Das wüsste ich auch gerne." Wenn er nach Hause gegangen ist und sich – wie ich letzte Woche – für eine Weile dort verschanzt, habe ich keine Chance mehr, mit ihm zu reden. In den nächsten Tagen muss ich mich entscheiden, ob ich Nitas Angebot annehme. Falls ich das tue, werde ich nicht mehr hierher zurückkommen.

Die Angst davor, ihn nie wieder zu sehen, nimmt mir mit einem Mal den Atem. Glücklicherweise hat sich Mr. Parson schon umgedreht und macht sich durch die Bankreihen auf den Weg nach vorne, so dass er nicht mitbekommt, wie Panik in mir aufsteigt und ich nach Luft schnappe. Mit Sicherheit werde ich dabei noch einen Tick blasser, als ich es sowieso schon bin.

Dank der jahrelangen Erfahrung, meine Atmung auf der Bühne unter Kontrolle zu bringen, bekomme ich es hin, mich zu tiefen, regelmäßigen und ganz bewussten Atemzügen zu zwingen. Nach einer Weile geht das furchtbare und erschreckende Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, endlich wieder vorbei. Nachdem ich mehrere Male langsam von Zehn abwärts gezählt habe, bin ich in der Lage, meine Sachen aus meiner Tasche zu kramen. Obwohl ich bereits weiß, dass ich vom Stoff dieser Stunde kein einziges Wort aufnehmen werde, greife ich mir einen Stift aus meinem Mäppchen. Indem ich geistlos und mechanisch mitschreibe, was Mr. Parson von sich gibt, bin ich wenigstens abgelenkt.

Zehn Minuten nach Unterrichtsbeginn lässt ein Klopfen an der Tür mich aus meiner Teilnahmslosigkeit aufschrecken. Als sie sich öffnet und Luke das Zimmer betritt, gerät mein Herz ins Stolpern. Seine Wangen sind gerötet und seine Haare total verwuschelt, so als hätte er gerade ...

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