52 LIZ ‖ Verdammter Irrer

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Völlig kopflos renne ich durch die dunklen Gänge des Schulhauses bis ins Foyer. Dort stehen jede Menge Menschen in Gruppen zusammen, aber ich schlängle mich durch und erreiche schließlich den Ausgang. Hier im Gebäude fehlt mir die Luft zum Atmen. Ich muss unbedingt nach draußen, sonst ersticke ich.

Weil sich auch im Hof vor der Schule einige Leute befinden, biege ich nach links in Richtung des Parks ab. Ich brauche dringend ein paar Minuten Einsamkeit und Ruhe. Außerdem will ich nicht, dass mich jemand in diesem Zustand sieht und irgendwelche dummen Fragen stellt.

Erst als die Dunkelheit außerhalb der Lichterkegel der Straßenlaternen mich umfängt werde ich langsamer und finde mich schließlich bei der alten Gartenhütte wieder. Die Nacht ist für die Verhältnisse in L.A. relativ dunkel. Abseits der Wege gibt es im Park keine Laternen und es steht nur eine schmale Mondsichel am Himmel, die immer wieder von vorüberziehenden Wolken verdeckt wird.

Ich bin völlig außer Atem und hole ein paar Mal tief Luft. Jegliche Emotionen haben meinen Körper verlassen. Ich würde gerne vor Wut kochen, doch ich empfinde keine Wut. Ich empfinde gar nichts mehr.

Wie betäubt lehne ich mich entkräftet an die Wand der Holzhütte, starre hoch zum Himmel und versuche zu verdauen, was da gerade passiert ist.

Sie hatten alle recht und ich habe mich grausam getäuscht. Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit würde Luke mich betrügen, ohne mit der Wimper zu zucken.

Und weil das so ist, bin ich mir plötzlich sicher, dass all meine Befürchtungen stimmen und die ganzen Gerüchte wahr sind. Die Geschichte des Mädchens, das sein Tattoo kannte. Die Andeutungen von Linda bei meinem Spind schon am ersten Tag unserer sehr kurzen Beziehung. Höchstwahrscheinlich betrügt er mich schon die ganze Zeit mit ihr.

Er hat mich von vorne bis hinten angelogen. Jedes einzelne seiner Worte stelle ich nun in Frage. Womöglich war sogar seine herzzerreißende Lebensgeschichte nichts anderes als eine Lüge.

Ich schniefe, als ich merke, dass das Taubheitsgefühl in mir allmählich nachlässt und die Enttäuschung und der Schmerz sich in Form von Tränen machtvoll an die Oberfläche drängen.

Doch gleichzeitig ist da noch ein weiteres Gefühl. Eines, das ich nicht einordnen kann.

Ein Kribbeln verbreitet sich von meinem Nacken aus über meinen ganzen Rücken, und zwar keines der angenehmen Art. Ein seltsames Unwohlsein beginnt in meinem Bauch zu rumoren. Ich überlege fieberhaft, wann ich dieses unbestimmte Gefühl schon einmal hatte, und meine Augen weiten sich vor Schreck, als es mir plötzlich einfällt.

„Liz, Liz, Liz ..." Ich schnelle panisch herum, weil ich hinter mir eine unglaublich tiefe, schaurig klingende Stimme vernehme. „Du bist einfach viel zu unvorsichtig."

Das Blut gefriert in meinen Adern als ich sehe, wer da steht – höchstens drei Meter von mir entfernt, direkt neben der Gartenhütte. Ein Typ in dunkler Hose und schwarzem Hoodie, dessen Kapuze ihm weit ins Gesicht reicht. Mund und Nase hat er mit einem schwarzen Schal bedeckt. Ich bewege mich nicht, bleibe wie versteinert an meinem Platz, weil ich nicht in der Lage bin, auch nur einen Finger zu rühren. Mein Herzschlag beschleunigt sich mit jedem zittrigen Atemzug und das Blut rauscht unnatürlich laut durch meine Adern.

Er macht langsam einen Schritt auf mich zu, dann einen weiteren und endlich kann ich mich aus meiner Starre lösen. Automatisch weiche ich zurück, um den Abstand beizubehalten.

Oh Gott, was soll ich nur tun?

Okay. Denk nach ... Denk nach ... Denk nach ... Wie ein Mantra wiederhole ich in meinem Kopf immer wieder diese Worte.

Mir fällt nur eine Sache ein.

Ich drehe mich um und renne.

Doch ich komme nicht weit. Eisern umgreift eine schwarz behandschuhte Hand meinen Oberarm und bringt mich so ruckartig zum Anhalten, dass ich beinahe falle.

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