6. Sinn

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Harry

"Bist du dir sicher, dass ich dich nicht nach Hause bringen soll? Ich kann dir auch schnell ein Taxi rufen?" Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, dass sie jetzt im Dunkeln und alleine nach Hause fährt. "Ich schaff das schon. Sonst ist auch keiner da, der sich Gedanken darum macht, wie ich nach Hause komme. Gleich in der Nähe ist eine U-Bahn Station die bringt mich fast bis vor meine Haustür. Also kein Stress." "Du bist unvorsichtig. Machst du dir nie Gedanken darüber, was passieren könnte?" Junes Nase ist ganz rot von der Kälte. Wir sind auf dem Rückweg nicht durch den Park, sondern haben den längeren Weg entlang der Straße genommen. "Sicher mache ich mir Gedanken und es ist mir auch bewusst, dass es Nachts alleine gefährlich ist, aber wenn ich mich immer wieder Frage was wäre wenn, dann würde ich ja ständig in Angst leben und das will ich nicht. Ja es passieren viele schreckliche Dinge auf der Welt, aber ich will mein Leben genießen. Ich bin nicht naiv Harry." Um ihre Aussage zu Untermauern reckt sie ihr Kinn in die Höhe. Sie sieht dabei wirklich niedlich aus. Ihre Augen glänzen. "Das habe ich auch nicht behauptet." Sie winkt ab, steckt ihre Hände in die Taschen ihres langen schwarzen Mantels und kuschelt sich in ihren riesen Schal. "Ich sollte los. Es ist kalt." Sie will meine Hilfe wirklich nicht. Irgendwie kommt ein Gefühl von Enttäuschung in mir auf. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, weil sie mich nicht braucht oder weil der Abend zu Ende ist. Ich habe ihre Gesellschaft wirklich genossen. 

"Darf ich dich zum Abschied drücken?" Mit geweiteten Augen schaue ich sie an. Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Ich will nein sagen aber mein Körper ist ein mieser Verräter. Mein rechter Fuß macht einen Schritt nach vorne und ich öffne meine Arme. Ich bin wie ferngesteuert. Ich warte darauf, dass Panik in mir aufsteigt, aber da ist nichts. Ich fühle nichts, außer ein leichtes Kribbeln in der Magengegend. June schenkt mir ein breites Lächeln, stellt sich auf ihre Zehenspitzen, breitet die Arme aus und drückt ihren schlanken Körper an meinen. Ich horche in mich hinein. Da ist nichts außer kribbeln. Ich schließe die Augen und ich würde sagen ich genieße die Nähe. Ich schließe meine Arme um ihre Schultern und lege meinen Kopf schief. Mein Gesicht landet in ihrem riesen Schal. Fusseln von der Wolle landen auf meinem Mund und kitzeln in meiner Nase. Ich löse mich schnell aus der Umarmung und mache einen Schritt zurück... HAAAAATTSCCCCHIIIIIII. "Gesundheit. Bist wohl allergisch auf meine Schlange?" "Ich wusste nicht, dass Schlangen so ein gefährliches Fell haben." Wir lachen beide laut los und es fühlt sich gut an. Ausgelassen. Ohne Angst ohne Panik. "Ich muss jetzt wirklich los. Es ist schon spät und ich will die nächste Bahn nicht verpassen. Machs gut Harry." "Du bist dir sicher, dass ich dir kein Taxi rufen soll? Darf ich dich wenigstens zur U- Bahn bringen?" "Tschüß Harry." Sie dreht sich um und geht. "Danke Frühling." Rufe ich ihr hinterher. Sie dreht sich noch einmal um und winkt mir zu. Danach verschwindet sie in der Dunkelheit. 

Mit zittrigen Händen suche ich nach meinem Schlüssel. Ich weiß was jetzt kommt und ich weiß auch, was morgen kommt. Nach so einem Hoch kommt meistens ein richtig mieses Tief. Ich versuche diesen Gedanken ab zu schütteln und vor der Tür zu lassen. Ich hänge meine Jacke in die Garderobe und schlüpfe aus meinen Sneakern. Mein Magen meldet sich. Mist ich habe außer Frühstück bei June nichts gegessen. Ich muss wirklich besser auf meinen Körper acht geben. Ich weiß wie schnell man in eine Essstörung rutschen kann. Ich habe es damals bei Zayn gesehen. Er ist daran fast zerbrochen. Ich muss morgen unbedingt Lia anrufen und einen Termin vereinbaren. Mein Kühlschrank ist leer. Einkaufen war ich heute auch nicht. Klappt ja richtig gut, wie ich mich an meine Pläne halte. Ich sollte mir für morgen eine To-Do-Liste schreiben, um überhaupt was auf die Reihe zu bekommen. Vielleicht hilft das. Ich öffne das Gefrierfach. Meine Mom gibt mir immer ihren halben Hausstand mit, wenn ich bei ihr bin. Ich habe Glück. Von meinem letzten Besuch ist noch etwas Lasagne eingefroren. Danke Mom. Ich schiebe sie in die Mikrowelle und ein schlechtes Gewissen überkommt mich. Ich habe mich lange nicht bei ihr gemeldet. 

"Hallo Sonnenschein. Schön das du dich meldest. Wo treibst du dich rum?" "Hi Mom, schön deine Stimme zu hören. Störe ich?" "Harry du störst nie. Hör auf so etwas zu denken." Gibt sie mit strenger Stimme zurück. "Geht es dir gut? Es ist schon spät." Gehe ich den einfachen Weg und sage, es ist alles gut? Oder sage ich ihr die Wahrheit? Sie wird es eh raus bekommen. Sie erkennt immer sofort, wenn etwas mit ihren Kindern nicht stimmt. Ich weiß nicht, ob Mütter für so etwas einen 6. Sinn haben. "Es ist gerade schwer." Fange ich vorsichtig an. Ich höre, wie sie sich ein Glas aus dem Schrank holt und einen Korken aus einer Flasche zieht. Danach höre ich das vertraute Geräusch, wie Wein aus einer Flasche läuft und in einem großen Glas landet. Meine Mom trinkt gerne roten Wein. Roten schweren Wein. Gerne würde ich jetzt mit ihr an dem großen Esstisch sitzen. Gerne würde ich jetzt in ihre warmen Augen blicken. In ihr strahlendes Gesicht. Ich liebe sie wirklich. Sie sagt nichts. Sie gibt mir wie immer genug Raum. Sie drängt mich nicht und das schätze ich. Sie wartet, bis ich anfange zu erzählen. Sie weiß, dass es nichts bringt Fragen zu stellen. "Ich musste Termine absagen, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Ich musste weg. Es war zu viel." "Ich weiß Sonnenschein. Es ist okay." Ich höre wie sie einen Stuhl zurück schiebt und sich setzt. "Ich habe mein Versprechen gebrochen. Ich habe nicht auf mich aufgepasst. Ich habe nicht vernünftig gegessen, nicht das richtige getrunken, wenig geschlafen. Ich habe nicht auf meinen Körper gehört. Mom ich habe die letzten 6 Tage im Bett verbracht und außer dem Lieferdienst die Tür zu öffnen, nichts gemacht. Ich war nicht duschen oder habe mir die Zähne geputzt. Ich war einfach nur da. Nur körperlich anwesend. Das macht mir Angst Mom. Ich will das nicht." "Hattest du Panikattacken?" "Ja einige. Das zählen hat geholfen." "Hast du mit Lia gesprochen?" "Nein, aber ich will sie morgen anrufen. Ich war heute den ersten Tag nach Paris wieder draußen. Ich war in einem Cafe und im Park und eben habe ich es mit Pilates versucht." "Pilates? Wie kommst du denn dazu." "Das war total verrückt und spontan." "Du und spontan?" Sie kann sich ein Lachen nicht verkneifen. Ich liebe ihr Lachen. Es tut gut das zu hören. Ich merke, wie es mich von innen wärmt. "In dem Cafe arbeitet ein Mädchen. Ihr Name ist June. Sie hat mich mitgenommen. Sie ist anders als die Frauen die ich sonst kennen lerne." Das ist sie wirklich. "Harry das ist wunderbar. Also erstmal das du es alleine raus geschafft hast und dann auch noch jemanden getroffen hast. Wie geht es jetzt weiter? Willst du her kommen? Ich kann mich auch ins Auto setzten und zu dir kommen. Du weißt, dass ich immer für dich da bin?" "Ja das weiß ich. Ich versuche es erstmal alleine. Ich weiß, dass ich immer zu dir kommen kann." "Pass bitte auf dich auf." "Das mach ich Mom." Das laute Ping der Mikrowelle lässt mich zusammenzucken. "Oh du hast gekocht? Was gibt es schönes?" "Lasagne von meinem letzten Besuch bei dir." "Dein Kühlschrank ist leer oder? Soll ich wirklich nicht kommen und dir helfen?" "Nein Mom, ist schon okay. Ich werde jetzt essen und danach ins Bett. Morgen rufe ich Lia an und gehe einkaufen. Ich schaff das." "Okay. Ich liebe dich Sonnenschein. Melde dich bitte wieder, ja?" "Mach ich. Versprochen. Ich liebe dich." Ich lege auf.  

Touchless \\Harry StylesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt