Leine aus dem Sumpf

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Harry 

30 Minuten später parke ich meinen Wagen und hole noch einen Wein und einen Strauß Blumen aus dem Laden an der Ecke. Ich trage einen Hoodie, eine dicke Mütze und eine dunkle Sonnenbrille, um nicht erkannt zu werden. Ich habe wirklich keinen Nerv darauf und die Adresse meiner Schwester preis zu geben. Die Situation gerade lässt mich wieder an das Gespräch mit June denken. Es ist nicht immer leicht, aber ich bin damit groß geworden. Für Außenstehende wirkt es vielleicht befremdlich. Für mich ist es okay. Nicht jeden Tag, aber die meisten. Ich möchte mein Leben nicht tauschen. Auch kann ich mir nicht vorstellen, irgendeinen normalen Beruf auszuüben. Ich liebe es auf der Bühne zu stehen und ich liebe diese Aufmerksamkeit. Unauffällig blicke ich mich noch einmal um, ehe ich in die kleine Gasse abbiege in der Gemma wohnt.

Mit einem Strahlen steht sie in der Tür und begrüßt mich freudig mit einem "Na Kleiner." Ich ziehe sie in eine feste Umarmung und muss grinsen, weil ich locker mein Kinn auf ihrem Kopf ablegen kann. Es ist schön sie so glücklich zu sehen, da sie ein paar harte Jahre hinter sich hat. Gemmas Kampf gegen die Depressionen hat sie gwonnen und ich könnte nicht stolzer auf sie sein. Ich drücke ihr einen Kuss auf den Scheitel und löse mich aus der Umarmung. "Schön, dass du Zeit für mich hast. Es ist einfach zu lange her, dass wir uns gesehen haben." gebe ich zu. "Mhh. Du besuchst mich aber nicht nur einfach, weil du Sehnsucht hast. Spucks aus. Was ist los?" Sie ist einfach viel zu schlau und kennt mich gut. Ich schlüpfe aus meinen Schuhen und mein Blick bleibt an meinem rosanen und weißen Schnürsenkel hängen und ich muss sofort an June und die Nacht nach dem Club denken. Ich ziehe mir die Mütze vom Kopf und stopfe sie in die Tasche meiner Jacke die ich in die Garderobe hänge, um danach in die Küche zu gehen. Wie als wäre es meine Wohnung, hole ich ein großes Glas aus dem Schrank, um es mit Wasser für die Blumen zu befüllen. "Ich habe auch Vasen." Kommentiert Gemma mein Tun. Ich zucke nur mit den Schultern, da ich finde, dass sie auch in einem Glas zu Geltung kommen. "Möchtest du Wein?" frage ich und gehe gar nicht weiter auf ihre Bemerkung ein. Noch einmal greife ich in den Schrank, um zwei zweitere Gläser raus zu holen. Es sind keine Weingläser und sicher hat sie auch die passenden Gläser dafür. Ich sehe an ihrem Ausdruck, dass sie sich ihren Kommentar verklemmt.

Mit einem Seufzen und einem vollen Glas Wein lass ich mich auf die durchgesessene Couch fallen. Ich liebe Gemmas Wohnung. Sie ist gemütlich und viele alte Dinge, gemischt mit neuen versprühen ihren ganz eigenen Charm. Gemma ist Nachhaltigkeit wichtig und sie kauft viel Second Hand. Sie tut wenigstens etwas für diese Erde, ruft die fiese Stimme aus dem dunklen Winkel in meinem Kopf. Aber sie hat ja Recht. Ich sollte auch mal einen Zero-Waste Monat einhalten. Oder wenigestens eine Woche. Nicht genug. "Ja ich weiß, nicht genug." antworte ich und versuche die Stimme zu verdrängen. "Was ist nicht genug?" fragt Gemma überrascht. Ich bin mindestens genauso überrascht, dass ich das gerade laut gesagt habe. "Schon gut. Ich habe mit mit selbst geredet." gebe ich zu. "Muss ich mir Sorgen machen?" Nein sie nicht, aber ich sollte mir Sorgen machen, wenn ich jetzt schon anfange auf die Stimme in meinem Kopf zu antworten. Ich nehme einen großen Schluck Wein. Es ist vollmundiger, süßer roter Wein, weil ich weiß das Gemma ihn gerne trinkt. Ich nicht, ich bekomme davon Kopfschmerzen. Aber wenn ich es nicht übertreibe wird es wohl gehen. Meine Gedanken sind durcheinander und aufgewühlt und ich hoffe der Wein hilft mir, sie zu sortieren und mich zu entspannen. "Willst du mir jetzt erzählen was los ist oder klärst du das mit dir alleine? Du scheinst ja einen guten Gesprächspartner gefunden zu haben. Mit mir hast du bisher nur drei Worte gesprochen." Ungeduld und Sarkasmus. Sie hat sich nicht geändert. Früher hat sie mich mit ihrer Ungeduld tierisch genervt. Sie meinte immer, das liegt an ihrem Sternzeichen. Da kann sie überhaupt nichts für. Schützen sind so. Davon habe ich keine Ahnung und ich denke, sie hat es einfach als Ausrede für ihre Ungeduld benutzt.

"Ich habe jemanden kennengelernt." platzt es aus mir heraus. "Und jetzt ist jemand schwanger und ihr müsst heiraten?" scherzt Gemma. Ich finde es überhaupt nicht witzig und knurre warnend ein "Gemma." Entschuldigend hebt sie ihre Hände und fuchtelt wild, damit ich weiter erzähle. Ich erzähle. Ich erzähle ihr einfach alles. Von Paris, von meinem Game of Thrones Marathon, von meiner ersten Begegnung mit June und alles was danach passiert ist. Ich lasse nichts aus. "Flo musst du mir mal vorstellen, der hört sich interessant an." unterbricht sie mich zwischendurch, doch ich erzähle einfach weiter. Bis wir am heutigen Morgen ankommen, an dem June sich einfach aus dem Staub gemacht hat. Und jetzt sitze ich hier, am frühen Nachmittag. Mit einem Glas Wein in der Hand bei meiner Schwester. "Mhhh, hört sich kompliziert an. Was erwartest du jetzt von mir, Harry? Wie du weißt, bin ich vielleicht nicht der richtige Ansprechpartner, wenn es um Beziehungen geht." Sie wickelt sich ihre langen Haare zu einem unordentlichen Knoten zusammen und setzt sich gerade hin. "Bist du dir sicher, dass du bereit für so etwas kompliziertes bist? So wie sich das anhört, seid ihr beide etwas, naja wie soll ich sagen...verkorktst? Was sagt denn dein Herz? Ist es vielleicht einfach nur das Gefühl, dass da wieder jemand in deinem Leben ist, der sich um dein Herz kümmert?" Das Wort Herz setzt sie mit ihren Fingern in Anführungszeichen. "Versteh mich nicht falsch. Ich kenne June nicht. Aber sie hat dich in einer Phase in deinem Leben getroffen an dem es dir nicht gut geht. Sie hat dir vielleicht dabei geholfen, aus diesem Sumpf zu kommen. Aber liegt dir was an dem Menschen oder nur an diesem Gefühl?" Ich muss wirklich über ihre Worte nachdenken und habe nicht sofot eine Antwort. Würde es an June liegen, sollte ich dann nicht sofort eine Antwort haben? "Ich habe keine Ahnung. Ich weiß es wirklich nicht." Gebe ich kleinlaut zu. "Du solltest sie weiter kennenlernen, wenn sie dir diese Chance gibt. Versuche herauszufinden, ob sie dir wichtig ist oder ob sie nicht doch nur die Leine aus dem Sumpf ist." Sie hat Recht. Ich kenne June kaum und wir haben beide unser Päckchen zu tragen. Ich werde es herausfinden. Ich lade sie zu einem Date ein und wir gucken einfach wie es weiter geht. Sollte sie mir diese Chance geben.

Wir bestellen uns noch etwas zu Essen und verbringen den Nachmittag zusammen. Es tut gut bei Gemma zu sein. Nach dem Essen rufen wir noch zusammen bei unserer Mum an. Das Telefonat ging über eine Stunde. Als ich beschließe mich wieder auf den Weg nach Hause zu machen, ist es bereits dunkel. Bevor ich den Motor starte schreibe ich June eine Nachricht.

Ich würde gerne mit dir auf ein Date gehen. Sag mir bitte, wann es bei dir passt.

H.

Touchless \\Harry StylesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt