June
Ich sitze gerade in einer Vorlesung zum Thema Online Marketing. Wir besprechen gerade Werbung durch Influencer auf Instagram. Ich halte von den ganzen sozialen Medien überhaupt nichts. Die App ist zwar meinem Telefon vorinstalliert, aber ich bin nicht angemeldet. Ich lausche meiner Dozentin und verstehe den Ansatz. Es ist Werbung, die mit wenig Aufwand und kleinem Budget machbar ist. Es geht um Followerzahlen und Ausarbeitung für Verträge. Mich langweilt das Thema. Es ist nicht das, was ich nach meinem Studium machen will. Irgendwann möchte ich in die Forschung. Medienwirkungsforschung ist meine Passion. Was wirken verschiedene Medien auf Geist und Körper. Meine Gedanken schweifen zu Harry. Ob die Medien einen Teil zu seiner aktuellen Situation beigetragen haben? Es ist sicher nicht einfach, so im Rampenlicht zu stehen. Vor 20 Jahren war es einfacher. Da gab es mal ein Bild in der Presse oder ein Bericht im Fernseher, aber heute? Das Internet ist rastlos. Alles wird gepostet und bewertet. Jeder Schritt. Jeder Fehltritt. Alles.
Ich weiß nicht, warum ich den Drang verspüre ihm zu helfen. Warum es mir so wichtig ist. Mir ist klar, dass er Hilfe braucht, professionelle Hilfe, aber ich möchte für ihn da sein. Irgendwas an ihm reizt mich. Ich möchte ihn kennen lernen. Ohne seine Ängste, ohne seine Panik. Ich glaube in ihm schlummert ein ausgelassener, fröhlicher Kerl. Ich bin es durch meine kleine Schwester gewohnt, mit psychischen Problemen umzugehen. April, ich verfluche meine Eltern bis heute, dass sie uns nach Monaten benannt haben, kämpft seit dem sie 14 Jahre alt ist, mit Depressionen. Einen Auslöser gab es damals nicht. Jetzt ist sie 20 Jahre alt und durch viele Therapien gefestigt. Ich weiß, dass es keine Wunderheilung für Depression gibt. Das man lernen muss, damit zu leben und dass es ein ewiger Kampf ist. Ich bin so unendlich stolz auf sie. Sie geht ihren Weg. Hat sich für ein Studium in Psychologie entschieden. Sie möchte ihrer Krankheit auf den Grund gehen, sie verstehen und anderen Menschen auf ihrem Weg helfen.
Mein Telefon vibriert in meiner Tasche und ich rolle mit den Augen. Eigentlich schalte ich es immer aus, wenn ich in Vorlesungen sitze. Ich falle nicht gern auf. Einige meine Kommilitonen drehen sich um, um die Herkunft des störenden Geräuschs aus zu machen. Lautlos greife ich in meine Tasche und schalte mein Telefon schnell auf stumm. Eine Nachricht von Maze blinkt auf. Ich hoffe sie will nicht, wie so oft, ihren Dienst tauschen. Ich freue mich auf meine freien Tage. April und ich haben einiges geplant. Durch die Uni und unsere Jobs haben wir kaum noch Zeit für einander. Wir wohnen zwar zusammen, aber mehr als guten Morgen und gute Nacht ist in letzter Zeit nicht drin. Wir wollten die Wohnung mal wieder auf Vordermann bringen, uns Essen bestellen und mit Gesichtsmasken vor dem Fernseher abhängen. Unikram stand auch noch auf dem Plan. Ich tippe auf die Nachricht und in Gedanken sehe ich das enttäuschte Gesicht von April.
Dieser Harry von gestern war hier und hat nach dir gefragt. Sah enttäuscht aus, als er dich nicht gefunden hat. Hab ihm gesagt, dass du erst Montag wieder da bist. Ich wünsche dir ein schönes langes Wochenende.
Ich schlucke den Kloß runter und rutsche nervös auf meinem Stuhl hin und her. Harry war im Cafe? So bedacht wie er auf meine Sicherheit war, wollte er bestimmt nur sicher gehen, ob ich wirklich zu Hause angekommen bin. Man könnte denken er wäre 85 Jahre alt. Ein alter Geist in einem jungen Körper. In einem gut aussehenden Körper. Ich muss an seine grünen Augen denken. Helle grüne Augen umrandet mit einem dunklen Ring. Wuschlige, lockige, dunkle Haare, eine markante Kieferpartie. Ein wirklich ansprechendes Gesicht mit müden, aber wirklich freundlichen Augen. Ich ärgere mich, dass ich nicht nach seiner Nummer gefragt habe. Normalerweise ist es kein Ding für mich und eigentlich ist er ja auch nur Harry aus dem Cafe. Er ist aber auch dieser Megastar, der durch die ganze Welt reist. Fragt man so einem Typen einfach nach seiner Nummer? Ich weiß es nicht.
Irgendwie bin ich jetzt traurig, dass ich heute nicht gearbeitet habe. Ich hätte ihn schon gerne gesehen. Sein schüchternes Lächeln. Ich atme hörbar aus, habe nicht mitbekommen, dass ich die Luft angehalten habe. Wäre es komisch, wenn ich einfach zu ihm fahre? Ich weiß ja jetzt, wo er wohnt. Nee, ermahne ich mich. Das wäre wirklich komisch. Wahrscheinlich denkt er, ich wäre ein verrückter Stalker, aber wie kann ich ihn denn erreichen? Ich denke nicht, dass ich seine Nummer im Telefonbuch finde. Meine Dozentin wirft, mit Hilfe des Beamers, das Instagram- Profil einer bekannten Influencerin an die Wand. Harry Styles wird doch sicher auch ein Instagram-Profil haben. Ich öffne die App auf meinem Telefon und trage seinen Namen in das Suchfeld. Melde dich bitte an um mehr zu sehen. Fuck. Naja komm. Für Harry. Mein Synonym ist schnell gefunden. Es muss etwas sein, dass ihm auffällt. Er bekommt bestimmt mehr als eine Nachricht am Tag. Schnell noch ein Profilbild. Beschreibung spare ich mir. Ich werde das Profil eh wieder löschen. Ich betrachte sein letztes Bild. Es ist vom 16.Juli 2019. Wahrscheinlich ist er gar nicht mehr aktiv und wird meine Nachricht eh nicht lesen. Wir haben Ende Februar. Er trägt eine pinke Brille und macht einen Entenschnabel. Er bedankt sich bei seinen Fans und seiner Crew. Scheint kurz nach der letzten Tour zu sein.
Ich bin nervös. Was schreibe ich? Ich tippe auf Nachrichten und ein leeres Fenster öffnet sich. Der blinkende Curser lacht mich aus. Es ist nur eine Nachricht. Ich tippe einfach los. Was habe ich zu verlieren?
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Touchless \\Harry Styles
Fanfic*** Hände, überall sind Hände die nach mir greifen. Ich bekomme keine Luft, mein Herz rast, Schweiß steht mir auf der Stirn. Mir wird schwindelig und ich falle. Es stürzen dunkle Gestalten ohne Gesicht auf mich. Hände berühren mich und ich schreie...