5 Dinge

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Harry

In Jogginghose und Hoodie sitze ich auf der großen dunklen Couch und warte auf mein Essen. Aus den 45 Minuten sind bereits über 60 geworden. Mit der Fernbedienung des großen Fernsehers steuere ich wahllos durchs Programm. Nichts was mich anspricht. Ich bleibe beim National Geographic Channel hängen und schmeiße die Fernbedienung achtlos in die Ecke. Es läuft eine Dokumentation über den Klimawandel, die Welt ist grausam. Ich muss mich mehr einbringen und mehr tun. Sofort kommen wieder die dunklen Gedanken. Ich mach zu wenig. Reicht es was ich tue? Ich habe so eine große Reichweite, ich muss sie mehr nutzen. Warum tue ich nicht genug? Was kann ich tun. Es rattert und rattert. Mein Kopf schmerzt, ich lass ihn in meine Hände sinken und reibe meine Schläfen. Bin ich genug? Es klopft an der Tür, mit nackten Füßen tapse ich über den Holzboden, um die Tür zu öffnen. Der Zimmerservice. Ich bedanke mich bei dem älteren Herren und gebe ihm ein Trinkgeld. Den Wagen lass ich an der Tür stehen, nehme mir nur den Teller und das Besteck und gehe rüber zum Esstisch. 

Es sieht köstlich aus. Ich habe mich für Fisch mit Gemüse entschieden. Dazu etwas Brot. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Beim Essen verfolge ich aufmerksam die Dokumentation. Wenn ich nicht noch weiter abrutschen will, sollte ich in den nächsten Tagen kritische Themen meiden, einfach zum Selbstschutz. Schnell habe ich meinen Teller leer gegessen. Ich merke wie langsam wieder Energie durch meinen Körper fließt und trotzdem macht sich eine Schwere breit. Den Teller und das Besteck räume ich zurück auf den Wagen und rolle ihn vor die Tür. Mit einem großen Wasser und einer Schmerztablette suche ich mir wieder einen Platz auf der Couch. Ich ziehe die große graue Decke über meine Beine, schlucke die Tablette und mache es mir auf dem Sofa gemütlich. Ich scrolle durch die Mediathek und bleibe bei Ghost- Nachricht von Sam hängen. Ein wenig Herzschmerz lenkt mich vielleicht von meinen eigenen Problemen ab. Eine Liebe die sogar den Tod überbrückt. Wer wünscht sich nicht so eine innige Liebe.  Es geht nicht um den Sex. Ich vermisse Intimität, vermisse es berührt zu werden, angeschaut zu werden, bewundert zu werden, belächelt zu werden und mit jemandem zu lachen. Sich sicher fühlen. Das Gefühl haben, dass jemand mich wirklich versteht. Das mich jemand sieht, den wirklichen Harry. Nicht den der auf der Bühne steht. Der alles weglächelt und charmant ist. 

Ich ziehe mir die Decke bis hoch zur Nase und kuschel mich in die Kissen. Mir fallen immer wieder die Augen zu und ich gebe mich der Schwere hin. Mein Körper und meine Seele sind in einem schwebendem Zustand. Mit den Gedanken an meine Wünsche und Sehnsüchte falle ich in einen tiefen Schlaf. Das Hämmern an meiner Tür lässt mich aufschrecken. Es ist hell und ich muss ein paar mal blinzeln, um mich an das grelle Licht zu gewöhnen. Das Hämmern an der Tür wird immer lauter. Himmel was ist hier los. Ich muss wohl auf der Couch eingeschlafen sein. Ich versuche mich aus dem Gewirr an Decke zu befreien und stolpere zur Tür. Ich öffne sie und schaue in Jeffs besorgtes Gesicht. "Man Harry, ich habe mir Sorgen gemacht. Ich hab versucht dich anzurufen, dir geschrieben. Du warst nicht zu erreichen. Nur die Mailbox. Was ist los mit dir?" "Komm rein. Mein Akku ist leer und ich hab vergessen es anzuschließen. Sorry, es ist alles okay." Nein ist es nicht, schreit meine innere Stimme, doch ich versuche sie zur Seite zu schieben. Ich belaste andere nicht gerne mit meinen Problemen und versuche sie immer mit mir selbst aus zu machen. 

"Erzähl mir keinen Mist Harry. Du siehst fürchterlich aus." Er schiebt mich zur Seite und steuert direkt auf die Couch zu, um sich dort zu setzen. "Erzählst du mir jetzt was los ist? Du sagst nie einfach so deine Termine ab. Was ist passiert?" Jeff ist nicht nur mein Manager sondern auch einer meiner engsten Freunde. Natürlich kann ich ihm nicht einfach etwas vor machen. "Du hast Recht. Es geht mir nicht gut. Ich kann nicht schlafen. Zu viele Gedanken, zu viele Fragen die nicht beantwortet werden. Jeff ich möchte nach Hause. Ich brauche eine Pause. Ich möchte fit für die Tour sein. Ich schaff das nicht." Meine Schultern sacken nach unten und meine Beine fühlen sich auf einmal an wie Gummi und ich befürchte sie geben gleich nach. Jeff steht auf und kommt auf mich zu. An seinem Blick sehe ich, was jetzt folgt. Er breitet die Arme aus und kommt auf mich zu. Ich halte die Luft an, ich kann das nicht. Ich mache einen großen Schritt zurück. Jeff lässt die Arme sinken und schaut mich wieder mit diesem besorgten Blick an. "Ist es wieder so schlimm? Ich dachte du hättest das im Griff?" Verlegen starre ich auf den Boden und schiebe meine verschwitzten Hände in meine Hosentasche. "Ich weiß es nicht. Es ist gerade einfach alles zu viel. Das Album, die Termine, die Hotels, die Menschen. Ich möchte einfach nach Hause." "Harry ich bin dein Freund. Warum hast du nicht schon vorher was gesagt? Pack deine Sachen und ich buche dir ein Flug. Deine Termine übernehme ich. Müssen die halt vorlieb mit mir nehmen. Das ist nicht das Problem. Wo hin soll ich den Flug buchen? LA, Manchester oder London?" 

"Hampstead bitte. Ich kann nicht zu meiner Mum. Sie würde sich sofort wieder Sorgen machen und ich weiß nicht, ob ich das schaffe. LA ist mir zu viel. London ist okay. Danke Jeff. Für alles." "Kein Problem. Such dein Kabel und schließe dein Telefon an. Ich schick dir nachher eine Nachricht mit all den Infos die du brauchst. Hör auf dir den Kopf zu zerbrechen und kümmer dich erstmal um dich selbst. Alles andere machen ich und das Team." Er drückt kurz meine Schulter und ist so schnell wie er hier aufgetaucht ist, wieder verschwunden. Noch immer stehe ich mitten im Raum, mit gesenktem Blick und den Händen in den Taschen. Es hat mich einiges an Überwindung gekostet, ehrlich zu Jeff zu sein. Einen Augenblick verharre ich noch in meiner Starre, um dann mein Kabel zu suchen und meinem Telefon wieder Leben einzuhauchen. Wo ist das Kabel für Menschen? So einen Energieschub könnte ich auch gebrauchen. Wenn das so einfach wäre. Ich suche meine Sachen zusammen und schmeiße sie lieblos in den Koffer und meine Tasche. Ich lasse den Blick noch einmal durch alle Zimmer schweifen. Nach all den Jahren bin ich geübt im Packen und vergesse nicht mehr so häufig wie am Anfang Sachen in den Zimmern. 

15.00 Uhr geht mein Flug nach London. Das heißt ich bin heute Abend zu Hause und kann in meinem eigenen Bett schlafen. Meine eigenen vier Wände. Morgen werde ich mich dann um einen Termin bei meiner Therapeutin kümmern. Ich hätte ihr Angebot annehmen sollen. Ich hätte zu den Online-Sitzungen nicht nein sagen sollen. Zu lange ist es her, dass ich mit ihr gesprochen habe. Zu sehr bin ich wieder in meine alten Muster gefallen. Zu sehr befinde ich mich wieder in dem Strudel aus Gedanken. Zu sehr frisst mich alles wieder auf. Zu sehr... Mein Puls rast, meine Atmung geht viel zu schnell. Der Raum wird immer kleiner. Der Stein auf meiner Brust ist zurück. Mir wird schwarz vor Augen. Harry konzentriere dich. 

5 Dinge im Raum die du sehen kannst: 

Bett, Lampe, Pflanze, Fenster, Fernseher


Es hilft nicht. Zähl weiter.


4 Dinge die du anfassen kannst:

Decke, Teppich, Türklinke, Lichtschalter


Mein Blick wird klarer. Weiter


3 Dinge die du hören kannst:

Autos, Stimmen auf dem Flur, das Ticken der Uhr


Mein Körper entspannt sich. Den Termin brauche ich dringend. Es muss sich etwas ändern. Eine Panikattacke, ausgelöst nur durch meine Gedanken, schreit nach Hilfe. 




Touchless \\Harry StylesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt