Kapitel 95

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Nachdem sie alle noch eine lange Zeit zusammengesessen hatten, hatten Yoongis Bruder und dessen Frau die Runde aufgelöst. Da Geum-jaes Frau bereits hochschwanger war, musste sie sich viel ausruhen und deshalb waren sie die ersten, die ins Bett gingen.
Das hatte So-mi als Anlass genommen, um sich ebenfalls zu entschuldigen. Sie hatte sich den warmen Strickpullover von Frau Min übergezogen und war dann für eine Weile alleine nach draußen in den Garten gegangen.
Schon bei ihrer Ankunft heute Mittag war So-mi die hübsche, kleine Gartenlaube mit der Bank darunter aufgefallen, die mit einer Lichterkette geschmückt war und jetzt, da es dunkel draußen war, wunderschön leuchtete.

Gedankenverloren setzte So-mi sich auf die kleine Bank aus Holz und sah dann in den abendlichen Himmel hinauf. Leider konnte sie heute keine Sterne erkennen, da der Himmel komplett von den Wolken verdeckt war, aber dafür konnte So-mi den fallenden Schnee beobachten.
Eine Bewegung im Haus erregte So-mis Aufmerksamkeit und sie beobachtete durch das Fenster, wie Yoongi und seine Mutter sich im Wohnzimmer unterhielten. Anhand von Yoongis Gesichtsausdruck konnte sie erkennen, dass Yoongi sich mit dem Thema nicht besonders wohlzufühlen schien, was auch immer die beiden dort drinnen gerade besprachen.
Frau Mins Augen hingegen strahlten regelrecht und entlockten So-mi damit ein wehleidiges Lächeln.

>Ob ich wohl auch jemals die Chance auf so ein glückliches Familienleben gehabt hätte?<, fragte sie sich. Sie wusste zwar von Yoongi, dass es nicht immer nur gut für seine Familie gelaufen war und sie viele Jahre zwar nicht gestritten hatten, aber zumindest nicht gut aufeinander zu sprechen gewesen waren, weil Herr und Frau Min Yoongis Karriere als KPop-Idol nicht unterstützt hatten.
Dennoch schien mittlerweile zwischen ihnen wieder alles im Reinen zu sein und sich für Yoongi freuend, sah So-mi dabei zu, wie er seine Mutter umarmte und dann ebenfalls das Wohnzimmer verließ.

Deshalb lenkte So-mi ihre Aufmerksamkeit wieder weg vom Fenster und stattdessen zurück hinauf in den Himmel. So glücklich wie heute war So-mi an Weihnachten noch nie gewesen, weil es für sie der erste Heiligabend gewesen war, an dem sie mit einer Familie gefeiert und sogar ein Geschenk bekommen hatte - auch wenn es nicht ihre eigene Familie war.
Dies würde wohl nie passieren… ein Weihnachten mit So-mis Familie. >Was meine Eltern wohl gerade machen? Ob es ihnen gut geht? Denken sie an Tagen wie heute an mich?<.
Auch wenn So-mi bereits ihr ganzes Leben damit lebte, konnte sie es nicht verhindern, dass sie an solchen besonderen Tagen wie Weihachten manchmal sentimental wurde und sich fragte, wie ihr Leben wohl heute aussehen würde, wenn ihre Eltern sie nicht verstoßen hätten.

Das Auslösen eines Fotoapparats löste So-mis Gedanken auf und ließ sie zu Yoongi hinübersehen, der neben der Gartenlaube aufgetaucht war und soeben ein Foto von ihr geschossen hatte.
Sie lächelte ihm entgegen, als er mit ihrem Geschenk herumhantierte, doch ihr Lächeln erreichte ihre Augen nicht. „Na?“, sprach Yoongi sie mit sanfter Stimme an und legte ihr eine Jacke über die Schultern, die So-mi bisher nicht registriert hatte, weil er sie unter einen seiner Arme geklemmt hatte.
Danach setzte er sich zu ihr auf die Bank und hielt ihr das Polaroid entgegen, das er gerade geschossen hatte.

So-mi nahm es in die Hand und betrachtete ein wunderschönes Foto von sich selbst. Sie saß in der von Lichterketten erleuchteten Gartenlaube und starrte mit großen Augen in den dunklen Himmel hinauf, während um sie herum der Schnee herabrieselte.
„Du siehst traurig aus.“, stellte Yoongi fest. „Ach, nicht der Rede wert. Ich bin gerade nur ein bisschen sentimental.“
Sie sah auf ihre Füße hinunter, um ihn nicht ansehen zu müssen. „Du kannst ruhig wieder rein gehen. Gib mir noch eine Viertelstunde, dann ist alles wieder vorbei.“
Daraufhin schüttelte Yoongi allerdings den Kopf. „Lass dir Zeit damit. Es ist ganz normal und tut gut, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen… auch wenn sie negativ sind.“

Auf diese Aussage hin schwieg So-mi und betrachtete stattdessen erneut den fallenden Schnee. Auch Yoongi sagte nichts weiter und sie saßen einfach nur schweigend nebeneinander in der Stille der winterlichen Nacht.

„Ist es wegen deiner Eltern?“, fragte Yoongi irgendwann in das Schweigen hinein. „… oder ist es wegen mir?“. Die zweite Frage nuschelte Yoongi so leise, dass So-mi sie nur mit Mühe verstand. Sie seufzte unmerklich.
Auch wenn Yoongi natürlich die ganze Zeit über in ihrem Kopf war, würde sie es ihm heute mit Sicherheit nicht zum Vorwurf machen.
„Meine Eltern.“, antwortete So-mi deshalb ohne ihren Gesprächspartner anzusehen. Im Moment fühlte sie sich so aufgewühlt, dass sie Angst davor hatte, dass sie anfangen würde zu weinen, sobald sie Yoongi in die Augen sehen würde. „War es die falsche Entscheidung, dich mit zu meiner Familie zu nehmen?“.
Dass Yoongi sich scheinbar Vorwürfe machte, hatte So-mi nicht beabsichtigt, weshalb sie sogleich erwiderte: „Niemals. Dafür werde ich dir ein Leben lang dankbar sein. Es war das erste Mal, dass ich mit jemandem Weihnachten feiern durfte und ich hätte es mir nicht schöner vorstellen können.“

„Das freut mich.“ So-mi konnte deutlich Yoongis Lächeln hören und schluckte zittrig. Verdammt, sie war im Moment wirklich so nah am Wasser gebaut, dass sie gefährlich kurz davor stand einfach anzufangen zu weinen.
Diese Blöße wollte sie sich vor Yoongi allerdings nicht geben. Immerhin hatte sie trotz diesem schönen Tag nicht vergessen, dass er der Mann war, dem ihre Gefühle gehörten, aber der sie dafür zurückgewiesen hatte.

Wieder kehrte Stille zwischen ihnen beiden ein und So-mi sah zur Seite, als sie eine Träne doch nicht verdrängen konnte, die über ihre Wange kullerte.
So schön dieser Heiligabend gewesen war, er zeigte So-mi dennoch, wie alleine sie eigentlich auf dieser Welt war. Die heile Familie von Yoongi - so etwas hatte sie nicht. Geum-jaes schwangere Frau - so etwas würde So-mi nie erleben dürfen. Yoongi - ihn würde sie schon in wenigen Wochen verlassen und danach wahrscheinlich nie wieder sehen.
Und wenn sie dann gekündigt hatte, dann stand sie wieder einmal in ihrem Leben ganz alleine da.

So-mi zuckte leicht zusammen, als Yoongis Hand sie aus ihren trüben Gedanken riss. Er hatte sie auf So-mis Kopf gelegt und drückte ihn sanft in seine Richtung, sodass So-mis Kopf auf Yoongis Schulter ruhte.
Keiner von ihnen beiden sagte auch nur ein Wort und während So-mi stumm vor sich hinweinte, saß Yoongi wortlos neben ihr und sah ebenfalls in den dunklen Himmel hinauf.
Sie lauschte seinem Herzschlag, der überraschend schnell war und seiner Atmung, die ziemlich flach war. War Yoongi nervös? Ließ So-mi ihn mit ihrer Nähe unwohl fühlen?

Sie wollte sich wieder aufsetzen und ihm sagen, dass er gerne wieder nach drinnen gehen konnte, falls er sich unwohl fühlte, als Yoongi seine Hand auf So-mis Wange legte.
Verwirrt sah sie zu ihm auf und ihre Blicke trafen sich das erste Mal, seit sie beide hier draußen waren. In So-mis Innerem schmolz bei dem Anblick sofort wieder alles dahin und sie legte ihre Wange unbewusst mehr in die Wärme seiner großen Hand.
Gerade in dem Moment, als sie genießend die Augen schließen wollte, kam Yoongi ihr noch näher, als er ihr ohnehin bereits war. Und dann passierte etwas, dass So-mi nie mehr für möglich gehalten hatte.

Yoongi lehnte sich vor, überbrückte wie in Zeitlupe den letzten Abstand zwischen ihnen und dann legte er seine Lippen hauchzart auf die ihren.

SophiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt