Erik war schon seit dem Morgen von einer inneren Unruhe befallen. Er konnte sich auf nichts wirklich konzentrieren und verbrachte den Tag in wachsender Anspannung. Nicht einmal die Macht der Musik vermochte ihn zu beruhigen, so aufgewühlt war er. Nervös wartete er darauf, dass es dunkel wurde. Es schien ewig zu dauern, bis die Sonne endlich am Horizont versank und die Dämmerung hereinbrach.
Wie sehr hatte er diesen Abend in den letzten Tagen herbeigesehnt! Endlich hatte das Warten ein Ende, endlich würde er erfahren, ob die Muse recht behielt und er die Chance erhielt seinen unverzeihlichen Fehler wieder gut zu machen und seine Katrina ein für alle Mal zurück gewann.
Bang fragte er sich ob sie ihn überhaupt noch wieder haben wollte. Was wenn sie nicht kam? Wenn sie sich in den vergangenen Tagen nicht hatte blicken lassen, weil sie die Hoffnung aufgegeben hatte? Er könnte ihr nicht einmal einen Vorwurf daraus machen nach allem, was gewesen war. Wie er sie behandelt hatte, war unentschuldbar. Er wusste, dass er es nicht verdiente, dass sie ihm vergab und doch wünschte er sich nichts sehnlicher.
Er seufzte einmal schwer und versuchte nicht mehr daran zu denken, ehe er begann alles für die Premiere seiner Oper vorzubereiten. Lautlos wie ein Geist huschte er nach oben bis fast unter das Dach des Opernhauses und gelangte unbemerkt in den Raum, in dem ein dickes Seil über eine Winde lief, welches den riesigen Kristalllüster hielt, der den Aufführungssaal erhellte. Mit einem grimmigen Zug um den Mund löste er eine der schweren Eisenketten der Winde aus ihrer Halterung, so dass der Lüster nun nicht mehr fest verankert war. Wenn er es wollte, könnte er ihn jetzt jederzeit hinab auf die Bühne sausen lassen.
Nach einem letzten prüfenden Blick begab er sich wieder hinab in sein Reich, um sich umzukleiden. Er zog die eng anliegende schwarze Hose an und streifte das weiße mit Rüschen besetzte Hemd über, das einen verwegenen Ausschnitt besaß und viel seiner nackten Brust enthüllte. Erik verzog das Gesicht bei dem Gedanken daran, was für einen Anblick er wohl bot. Er fühlte sich etwas unwohl in dieser recht offenherzigen Kleidung, denn für gewöhnlich verließ er seine Behausung nie ohne ein korrekt zugeknöpftes Hemd und ein ordentlich in Falten gelegtes Krawattentuch.
Doch als er daran dachte, was Katrina wohl sagen würde, wenn sie ihn so erblickte, stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen. Gewiss war sie hingerissen, denn es hatte ihr immer sehr gefallen, wenn er sich in ihrer Gegenwart leger kleidete und sich nicht so streng und förmlich gab.
Ah, Katrina! Er schloss für einen kurzen Moment die Augen und sah ihr Gesicht so deutlich vor sich, als würde sie vor ihm stehen. Wie sehr er wünschte sie wäre wirklich hier.
Bei ihm.Er gab einen erstickten Laut von sich und schüttelte hastig den Kopf um ihr Bild daraus zu vertreiben. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt um in traurigen Erinnerungen zu schwelgen und vor Selbstmitleid zu vergehen. Er musste darauf vertrauen, dass alles gut werden würde und sich bis dahin ganz auf sein geplantes Vorgehen konzentrieren.
Er zog die zum Kostüm gehörige Jacke an, befestigte den Umhang an seiner rechten Schulter und vervollständigte seine imposante Aufmachung mit dem passenden Kummerbund und kniehohen Stiefeln. Sorgfältig überprüfte er den Sitz seiner Perücke, ehe er seine übliche weiße Halbmaske durch eine schwarze Maske ersetzte, die lediglich seine Mundpartie frei ließ.
Nun war er fertig und hatte sich in Don Juan, den ewig siegreichen, den perfekten Verführer verwandelt. Dieser Mann war das genaue Gegenteil von ihm, denn er konnte mit Leichtigkeit jede Frau haben, die er begehrte. Auch Erik wollte in dieser Nacht eine Frau für sich einnehmen und das war nicht Christine. Nicht mehr.
Die einzige Frau, nach der er sich verzehrte, war Katrina und es war ihr Herz, das er im Sturm erobern wollte. Sie gehörte einfach zu ihm und wenn sie tatsächlich kam, dann würde er sie nie wieder gehen lassen. Denn sie war die Seine. Für alle Ewigkeit.
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No backward glances
Fiksi PenggemarEin Mann, gezeichnet von einem grausamen Schicksal, gefangen in unendlicher Einsamkeit. Eine Frau, die alles zu tun bereit ist, um ihn aus diesem Elend zu befreien und ihm den Weg ins Licht zu weisen. Göttliche Einmischung, die alles durcheinander w...