Erik eilte zu Katrinas am Boden liegender ohnmächtiger Gestalt und kniete sich neben sie. Ganz sanft schob er die Arme unter ihren Körper und hob sie hoch. Behutsam trug er sie zu dem nahegelegenen schwarzen Sofa aus feinstem Leder und legte sie darauf nieder. Dann setzte er sich schweigend neben sie, um sie zu betrachten. Gierig sog er jedes noch so kleine Detail ihrer Erscheinung in sich auf, ihre zu einem Pferdeschwanz zurück gebundenen Locken, die seidigen Wimpern, die wie Schmetterlingsflügel auf ihren Wangen ruhten, ihr sanft geschwungener Mund, der förmlich zum Küssen einlud.
Seine Finger bebten, als er sie zögernd ausstreckte und zärtlich ihre Wange berührte, die sich glatt und warm unter seinen Fingerspitzen anfühlte. Sie sah zerbrechlich aus wie sie so da lag und zugleich so wunderschön, dass sich sein Herz schmerzhaft zusammen zog. Gott, was hatte er sie vermisst!
In den quälend langen Jahren, die er hatte ohne sie verbringen müssen, hatte er sich unzählige Male diesen einen Moment ausgemalt, in dem er sie wieder sah, doch sie nun wirklich hier bei sich zu haben, kam dem nicht einmal ansatzweise gleich. Ohne sie war er nur ein halber Mensch gewesen, hatte die Erinnerung an sie wie einen kostbaren Schatz in seinem Innersten gehütet und diesen Tag verzweifelt herbei gesehnt.
Endlich hatte das elende Warten ein Ende. Nun war sie wieder bei ihm. Und dieses Mal würde er wirklich für immer bei ihr bleiben können. Nie wieder wollte er von ihr getrennt sein. Sie war sein. Seine Frau. Für alle Zeit.
Ihre Augenlider begannen zu flattern und kurz darauf schlug sie ihre wunderschönen blau-grauen Augen auf und sah ihn mit solch einem sehnsüchtigen Blick an, dass ein Zittern seine Glieder durchlief.
„Dann war es also kein Traum“, wisperte sie. „Du bist wirklich hier.“
In seinen Augen stand ein Ausdruck unendlicher Zärtlichkeit, als er sie nun anlächelte. „Ja, das bin ich, mein Engel. Ich bin hier. Bei dir. Endlich sind wir wieder vereint.“
Einen Moment lang sah sie ihn einfach nur aus großen Augen an, dann entrang sich ihrer Kehle ein klagender Laut und sie warf sich in seine Arme. „Oh, Erik!“ schluchzte sie und schmiegte sich eng an ihn. Er hielt sie fest umfangen, während sie weinte, und strich ihr beruhigend über den Rücken, leise tröstende Worte murmelnd.
Für sie musste es ein Schock sein ihn so unverhofft wieder zu sehen. Er dagegen hatte jede Menge Zeit gehabt sich vorzubereiten. Viel zu viel Zeit, die viel zu langsam verstrichen war, dachte er mit einem Anflug von Bitterkeit.
Schließlich versiegten ihre Tränen und sie löste sich sacht von ihm. „Ich dachte, ich hätte dich für immer verloren“, schniefte sie und sah hoch in sein Gesicht. „Aber als ich die Rose erblickte, umwunden von einem schwarzen Band aus Satin, da habe ich so sehr gehofft sie wäre von dir. Dass es tatsächlich du warst, der mich aus meiner brennenden Wohnung gerettet hat.“
Ihre Worte beschworen jenen Moment wieder herauf und er erinnerte sich an jedes Detail so deutlich, als würde er erneut durch das flammende Inferno wanken, um ihre bewusstlose Gestalt zu bergen. Beinahe meinte er den beißenden Rauch auf der Zunge spüren zu können, hörte fast wieder das wilde Prasseln der Flammen, die gierig alles verschlungen hatten, was ihnen in die Quere kam.
Er schauderte, als er daran dachte wie nahe Katrina dem Tod gewesen war, als er sie fand. Es war von enormer Wichtigkeit gewesen, dass er genau den richtigen Augenblick abpasste, um sie zu retten. Ein gefährliches Spiel, das er da gespielt hatte, ein Spiel mit ihrem Leben. Wie leicht hätte er sie endgültig verlieren können! Und doch hatte es so und nicht anders ablaufen müssen, wenn sie beide eine gemeinsame Zukunft haben sollten.
Welch ein Glück, dass alles gut gegangen war. Sie lebte und war wieder bei ihm. Das war alles was zählte.
Seine Stimme klang merkwürdig erstickt, als er nun zu ihr sprach: „Ich hätte es niemals verwunden, wenn dir etwas zugestoßen wäre. Du bist mein Herz, meine Seele, mein Licht in der Finsternis, das mich leitet und ein Leben voller Liebe und Glück verheißt. Ich würde durch die Hölle gehen, um dich zu finden und vor jeglichem Schaden zu bewahren. Denn ohne dich kann ich nicht sein. Ich liebe dich, Katrina.“
Ehe sie etwas sagen konnte, verschloss er ihre weichen Lippen mit einem fordernden Kuss, dem die Sehnsucht von Jahrzehnten anhaftete. Es war unbeschreiblich ihr nach all der Zeit wieder so nahe zu sein, sie zu fühlen, zu riechen und zu schmecken. Ihr lieblicher Duft berauschte seine Sinne und das Gefühl ihrer samtenen Haut unter seinen Fingern tat sein übriges, um ihn mit wildem Begehren nach ihr zu erfüllen. Er stöhnte leise, als sie sich wie eine Ertrinkende an ihn klammerte und seinen Kuss leidenschaftlich erwiderte. Ihr Busen drückte sich an seine Brust und weckte längst vergessene Empfindungen zu neuem Leben.
Lustvolle Sekunden vergingen, in denen sich sein Puls beschleunigte und sein Blut sich in heiße Lava verwandelte, die feurig durch seine Adern strömte und ihn in Versuchung führte es nicht nur bei diesem Kuss bewenden zu lassen wie er es vorhatte.
Doch er widerstand der Verlockung und löste sich schließlich von ihr. In seinen Augen loderte ein grünes Feuer, als er nun ihre vor Verlangen geröteten Wangen und leicht geöffneten Lippen betrachtete. Sie sah so verführerisch aus, dass er sich nur mühsam zügeln konnte, um sie nicht erneut in seine Arme zu ziehen und leidenschaftlich zu küssen. Später, tröstete er sich insgeheim und atmete tief durch.
Sanft schob er ihr eine widerspenstige Locke hinters Ohr, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatte. „Ich habe dich vermisst, mein Engel. Mehr als du dir vorstellen kannst. All die Jahre war ich nur ein Schatten meiner Selbst, ein halber Mann, denn mir fehlte die Hälfte meiner Seele, die Hälfte meines Herzens.“
„Oh, Erik“, flüsterte sie ergriffen und strich mit den Fingerspitzen zart über seine unbedeckte Wange, ihr Blick innig mit dem seinen verwoben. „Ich liebe dich so sehr.“
Er schmiegte sein Gesicht in ihre Handfläche und hauchte einen zarten Kuss darauf. „Und ich liebe dich. Endlich kann uns nichts mehr trennen. Weder Zeit noch Raum, noch irgendeine launische Gottheit.“
Ein dunkler Schatten huschte über seine Gesichtszüge, als er an Zeus und seine unverzeihliche Tat dachte. Die Wut über das, was geschehen war, brodelte noch immer in ihm, trotz der vielen Jahre, die seitdem vergangen waren. Der Göttervater konnte von Glück sprechen, dass er ihm nie persönlich unter die Augen gekommen war.
Verwirrt musterte Katrina ihn. „Wie meinst du das? Was haben denn die antiken Götter damit zu tun?“ Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, als ihr jäh ein Gedanke kam. „Warte. War das alles etwa die Schuld von Nyx? Tragen sie und Melpomene die Verantwortung dafür, dass ich mich plötzlich in Luft aufgelöst habe und wieder in meiner Zeit zu mir kam in dem festen Glauben, ich hätte dich für immer verloren?“ Ihre Augen verengten sich zu zwei schmalen Schlitzen und ein zorniges Funkeln trat in sie.
Erik schüttelte den Kopf und blickte sie beschwörend an. „Nein, du darfst die beiden nicht dafür verantwortlich machen. Sie hatten nichts mit alledem zu tun. Im Gegenteil. Sie haben geholfen alles zu bereinigen und großen Anteil daran, dass wir wieder vereint sind.“
„Ach ja?“ Sie klang nicht sonderlich überzeugt.
„Du kannst ihm ruhig Glauben schenken, meine Liebe, denn er spricht die Wahrheit.“
Erik und Katrina zuckten zusammen, als sie die kühle Stimme vernahmen, die von Autorität und Macht kündete. Erschrocken sahen sie zu dem Zweisitzer ihnen gegenüber hinüber, auf dem die Göttin der Nacht mit anmutig übereinander geschlagenen Beinen saß und sie tadelnd aus ihren unheimlichen Augen musterte.
tbc
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No backward glances
FanfictionEin Mann, gezeichnet von einem grausamen Schicksal, gefangen in unendlicher Einsamkeit. Eine Frau, die alles zu tun bereit ist, um ihn aus diesem Elend zu befreien und ihm den Weg ins Licht zu weisen. Göttliche Einmischung, die alles durcheinander w...